Nordische Ski-WM Richard Freitag - vom Weltmeister zum WM-Touristen
Trotz seines Rücktritts vom aktiven Sport ist Richard Freitag auch bei dieser Nordischen Ski-WM zu Gast, allerdings steht er in Planica diesmal auf der anderen Seite der Bande und feuert im Zuschauerbereich seine kleine Schwester.
Ein lautes und langes "Ziiiieeh" schreit der fünfköpfige Selina-Freitag-Fanklub am Samstag beim Teamwettbewerb der Skispringerinnen in Richtung Normalschanze, als Selina über den Hang segelt. Nach einem Sprung auf 97 Meter - dem weitesten in ihrer Gruppe - liegt das deutsche Team uneinholbar in Führung. Katharina Althaus bringt den Erfolg schließlich locker nach Hause. "Es ist cool, das mit der Familie zu erleben und schön, sich das von dieser Seite mal anzuschauen", erklärt Richard Freitag wenige Minuten nachdem seine Schwester bei der Siegerehrung auf das oberste Podest geklettert war.
Die Familie Freitag und der Skisprung sind eng miteinander verbunden. Aktuell steht Selina im Rampenlicht und hat in ihrem Bruder Richard einen großen Bewunderer. Dieser weiß, wie es ist, selbst Weltmeister zu werden. In Planica steht er mit seiner Freundin, seinen Eltern und dem älteren Bruder Christian in der ersten Reihe und feuert die Schwester an. Und bejubelt sie lautstark nach ihrem ersten Weltmeistertitel.
Freitag-Brüder sagen Goldmedaille voraus
Er kennt das Gefühl, stand selbst bei kontinentalen Titelkämpfen zweimal ganz oben auf dem Podest (2015 Mixed-Team in Falun, 2019 Team in Seefeld). "Sie haben diese Medaille so verdient, sie passt wie die Faust aufs Auge für dieses Team. Was ich von außen höre, muss die Stimmung wirklich sehr, sehr gut sein", sagt Richard Freitag. Die Dynamik in der Gruppe sei besonders, dadurch sind die Frauen ein Vorbild für den gesamten Skisprung-Nachwuchs.
Dass Schwester Selina eine Goldmedaille holen würde, hatten er und der ältere Bruder Christian im Sportschau-Podcast vorausgesagt - allerdings dachten die beiden da eher an das Mixed-Team: "Für das Teamspringen habe ich es mich nicht getraut, aber das war echt stark. Es war ein sehr, sehr spannender Wettkampf. Und super Werbung für das gesamte Frauen-Skispringen. So muss das sein. Es war echt genial. Ich bin überglücklich und stolz auf meine Schwester."
Richard Freitag: "Sagt einfach, wann grün ist ..."
Bis der Sieg feststand, musste allerdings länger gewartet werden als gewohnt, denn vor dem letzten Sprung kam der Wind ins Spiel. Das sollte aber letztlich keinen Einfluss auf das Ergebnis, sondern nur auf den Zeitpunkt haben. Die Situation von Althaus, die vor dem Goldsprung wegen des Windes mehrfach vom Balken musste, kennt auch Freitag noch aus seiner aktiven Zeit. Er glaubt aber nicht, dass es einen großen Einfluss auf die Einzel-Weltmeisterin gehabt hat: "Wenn du gut drauf bist, dann stört dich das nicht. Dann sagst du zu dir selbst: 'Sagt einfach, wann grün ist und dann passt das'."
Die Freitags sind eine wahre Skisprungfamilie, auch Vater Holger war einst im Weltcup unterwegs, konnte 1983 in Harrachov auch einen Weltcup gewinnen. Dann entschied sich erst der jüngere der beiden Söhne und später auch die Tochter fürs Skispringen. Nun ist Richard in gewisser Weise wieder auf den Spuren seines Vaters unterwegs. Dieser studierte nach seiner aktiven Zeit Medizin und wurde Facharzt für Orthopädie, Richard hat ein Studium der Osteophatie begonnen.
In Planica kommt ein bisschen die Lust zurück
Eine Rückkehr in den Skisprung-Zirkus ist daher aktuell auch keine Thema bei ihm - auch wenn es ihn beim Anblick der Schanzen in Planica schon ein bisschen juckt. "Wenn man das hier so sieht mit den Bedingungen bis jetzt, dann könnte man auch wieder anschnallen", erklärt Richard Freitag lächelnd. Während der laufenden Saison sind ihm solche Gedanken aber nicht gekommen: "Ich hatte gut mit mir selbst zu tun und musste Sachen organisieren, zu denen man nicht kommt, wenn man im Weltcup unterwegs ist." Zwar habe er immer mal geschaut, was die alten Kollegen so machen, richtig intensiv habe er die aktuelle Saison aber nicht verfolgt.
Auch über eine Trainerkarriere denkt er im Moment nicht nach, auch wenn er im vergangenen Sommer ein wenig mit dem Nachwuchs gearbeitet hat. "Dort habe ich gemerkt, dass es nicht ganz für mich passt, direkt in den Trainerjob hineinzugehen. Dafür war ich noch zu sehr 'in to it', wie man im englischen sagt", so Richard Freitag. Daher stehe nun zunächst einmal das Studium im Vordergrund. Aber wer weiß, was in Zukunft noch kommt: "Es hat sich so viel gedreht und gewendet in meinem Leben in letzter Zeit. Vielleicht kann ich es mir irgendwann doch vorstellen."
Keine Tipps, aber immer ein offenes Ohr
Tipps hat ihr Richard seiner Schwester vor der WM-Premiere nicht gegeben. Der Grund ist simpel: "Sie hatte nicht gefragt." Von sich aktiv werden wollte er auch nicht: "Das Team arbeitet super. Ich glaube auch, dass man da mehr kaputt macht." Sollte sie Fragen haben, habe Richard immer ein "offenes Ohr". Aber auch ohne seine Expertise ist ja bisher alles aufgegangen. Bereits den starken vierten Platz von Selina im Normalschanzen-Einzel hatte die Freitag-Familie vor Ort erlebt.
Dass es nicht zur Einzelmedaille auf der Normalschanze gereicht hat, sei kein Drama: "Dass sie so knapp an die Drei da vorne, die die letzte Zeit dominiert haben, ranspringt, war schon gigantisch. Das war Wahnsinn", so Richard, der glaubt, dass Selina in ihrer Karriere noch viele Chancen auf Edelmetall in einem Individualwettbewerb haben wird. So schon auf der Großschanze in der kommenden Woche. Durch den Erfolg im Team könne sie nochmal etwas Aufwind bekommen, glaubt Richard Freitag: "Ich bin gespannt." Zunächst einmal freut er sich auf weitere Tage im Tal der Schanzen und weitere Topleistungen seiner Schwester.
Selina holt Richard bei ihrer WM-Premiere ein
Am Sonntagabend sah er den nächsten Erfolg seiner Schwester. Durch den Sieg im Mixed-Team zog Selina mit ihrem Bruder gleich und hat nun in denselben Wettbewerben eine Goldmedaille. Allerdings hat Richard dafür fünf Teilnahmen bei Weltmeisterschaften gebraucht, Selina hat diese Erfolge bei ihrem ersten WM-Auftritt geschafft. Partytipps habe er seiner Schwester und ihren drei Mitstreiterinnen übrigens nicht geben müssen: "Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen, das bekommen die Mädels selbst hin."