
Skilanglauf extrem 220 Kilometer durch die Arktis - und nicht mal eine Medaille
Wie besessen muss man sein? Auf den Spuren der ersten Polarforscher bestreiten jedes Jahr ein paar Hundert Skilangläufer das längste Rennen der Welt, den "Nordenskiöldsloppet". Ein unvorstellbarer Kampf gegen Dunkelheit, Müdigkeit - und gegen die eigenen Psyche.
Allein auf Skiern durch die endlosen Weiten Lapplands am nördlichen Polarkreis, vorbei an Rentierherden, über riesige gefrorene Seen, nur begleitet von den durch Schnee gedämpften Klängen der Natur - diese fast schon klischeehafte skandinavische Idylle bildet den Rahmen für das Ultrarennen im nordischen Skisport schlechthin, den "Nordenskiöldsloppet". 220 Kilometer im klassischen Stil, das ist fast dreimal so lang wie der weltberühmte Wasalauf.

Thomas Koch aus Stralsund ist zum zweiten Mal dabei. Der 60-Jährige ist sowohl auf Skiern als auch zu Fuß ein alter Hase in Sachen Ultrarennen. "So ein Rennen ist wie Meditation. Je länger es dauert, desto tiefer tauchst du ein", beschreibt er vor dem Start seine mentale Strategie. Genau darum gehe es auch bei solchen extremen Belastungen, den Kopf als Antrieb nutzen und nicht zur Blockade werden lassen. Wahrscheinlich herrscht deshalb hinter der kleinen Gruppe der Spitzenathleten, im großen Feld der insgesamt 400 Teilnehmer, darunter 50 Frauen, auch keinerlei Hektik. "Hier geht's den wenigsten um die Zeit, sondern darum - wenn möglich - die einmalige Natur zu genießen", sagt Koch. Nur allzu viel bummeln ist nicht. Nach schlappen 30 Stunden muss man spätestens im Ziel sein.
Auf den Spuren von 1884
Der "Nordenskiöldsloppet" findet in diesem Jahr zum sechsten Mal statt, hat aber eine viel, viel längere Tradition. Er geht zurück auf das Jahr 1884. Um seine erfolgreiche Grönlandexpedition aus dem Jahr zuvor für die Öffentlichkeit nachzustellen, rief der Polarforscher Adolf Erik Nordenskiöld einen Wettbewerb ins Leben, in dem eine Strecke von 220 Kilometern an einem Tag bewältigt werden musste. 18 Männer waren am Start. Der Schwede Pavva Lasse Nilsson Tuorda siegte in einer Zeit von 21 Stunden und 22 Minuten, inklusive einer zweistündigen Pause. Seine Siegerzeit markiert bis heute eine magische Schranke: Wer darunter bleibt, bekommt eine Medaille. Wer darüber bleibt, keine.
Für Thomas Koch wird es knapp. Denn die Natur schlägt zurück. Es ist viel zu warm. "Teilweise stehst du knöcheltief im Wasser, es gibt immer wieder Stürze. So macht Skifahren keinen Spaß", japst Koch schon ziemlich ausgelaugt zur Hälfte des Rennens. Das Klima ist die größte Herausforderung für die Organisatoren. Normal wären jetzt Temperaturen um minus zehn Grad Celsius und echte Schneemassen. Die bizarre Realität: Um eine halbwegs passable Loipe zu schaffen, hat die Gemeinde Jokkmokk Schnee aus den Gärten geschippt und herübergekarrt.
In der Dunkelheit der arktischen Nacht
Der Sieger ist bereits im Ziel, da macht sich Thomas Koch gerade erst zum Rückweg auf. Knapp zwölf Stunden stehen schon auf der Uhr. Jetzt noch mal 110 Kilometer. Größtenteils in der Dunkelheit der arktischen Nacht. "Wenn die Müdigkeit kommt und du dir ausrechnest, dass du noch die ganze Nacht unterwegs bist, ist das schon eine psychologische Komponente", umschreibt Koch die monströse mentale Belastung fast niedlich.
Mit jeder Stunde in der Dunkelheit geben mehr und mehr Läufer auf. Entkräftet, psychisch am Ende oder auch aus Sicherheitsgründen. Am Ende erreichen drei Viertel der Gestarteten das Ziel.
Stürze und vereiste Beine
Thomas Koch schafft es auch. Nach mehreren Stürzen. Seine Beine sind vereist, er bekommt heißes Wasser über die Bindungen gegossen, um die Skier zu lösen. "Jetzt habe ich erstmal genug vom Winter und freue mich auf den Frühling", witzelt er - um auf die Frage nach einer Wiederholung zu sagen: "Wenn du mich jetzt fragst, auf keinen Fall!"

Knapp 22 Stunden auf Skiern durch die Arktis. Thomas Koch bekommt keine Medaille, weil er die Siegerzeit von 1884 um eine halbe Stunde verfehlt hat.