
Biathlon-WM in Lenzerheide Franziska Preuß - Von Gold, "Bierle" und einer Kopfrasur
Nach Bronze und Silber vervollständigt Franziska Preuß mit Gold in der Verfolgung ihren Medaillensatz bei der Biathlon-WM in der Schweiz. Ein Triumph, der einige lustige und emotionale Nebengeschichten schreibt.
Im Englischen gibt es einen Begriff, der sich momentan großer Popularität erfreut. Immer wieder liest man vor allem in den sozialen Medien vom "Full Circle Moment". Zu Deutsch wäre wohl die zutreffendste Übersetzung: "Der Moment, in dem sich ein Kreis schließt". Genau so einen Moment erlebt Franziska Preuß nach der WM-Verfolgung in Lenzerheide.
Hilft der Konkurrenz aus der Bindung
Unmittelbar nach dem Zieleinlauf wirkt die 30-Jährige überglücklich, aber noch einigermaßen gefasst. Dennoch umarmt sie fast jede Konkurrentin. Wartet geduldig Zieleinlauf für Zieleinlauf ab, hilft den anderen Athletinnen, die erschöpft ihr Rennen beendet haben, aus der Bindung. Dabei geht sie jedes Mal in die Knie, es wirkt fast wie eine Verbeugung.
Eigentlich wäre sie jedoch diejenige, vor der man sich an diesem Tag verbeugen könnte. Und dann geht er auch schon los, der Interview-Marathon durch die sogenannte Mixed Zone. Als die Bayerin gerade mit der ersten Fragerunde durch ist und sich zum nächsten TV-Sender aufmacht, erspäht sie hinter sich ihre Eltern Elisabeth und Georg.
Wenn Eltern und Kind gemeinsam vor Freude weinen
Sofort lässt sie alles stehen und liegen, stürmt auf die Familie zu und umarmt ihre Mutter. Das Gesicht von Mama Elisabeth Preuß ist zu diesem Zeitpunkt schon freudentränenüberströmt.In diesen Sekunden kommt es zum "Full Circle Moment" bei Tochter Franzi. "Meine Eltern waren letztes Jahr auch bei der WM in Nove Mesto dabei, da lief es ja gar nicht so", rekonstruiert Preuß die Situation bei den Weltspielen in Tschechien, als sie ohne Medaille blieb. "Dass man jetzt auch mal einen Grund zur Freude hat, das ist der Wahnsinn."
Der Kreis, der mit Enttäuschungen in Nove Mesto begann, schließt sich. Jetzt, da Franziska Preuß ihre Eltern fest umschlingt, bricht es auch aus ihr heraus. Wie schon nach der Silbermedaille im Sprint weint die Ruhpoldingerin vor Rührung. Vor dem nächsten Interview mit dem norwegischen Sender "TV2" muss sich Preuß erstmal sammeln.
Weil die Tränen noch unkontrolliert fließen, setzt die Weltmeisterin ihre Sonnenbrille auf. "Ich glaube, Eltern wissen am besten, was in einem Sportler los ist, wenn es nicht läuft. Deshalb waren sie wahrscheinlich genauso erleichtert wie ich."
"Das perfekte Rennen zum richtigen Zeitpunkt"
Und genau das trifft zu. Als Elisabeth und Georg Preuß ein paar Minuten später zum Interview kommen, strahlen sie über beide Ohren. "Wir haben so viele zähe Jahre hinter uns. Es ist jetzt einfach eine Genugtuung. Niemand hat es ihr so gewünscht wie wir, die wir immer so nah dran waren", berichtet Mama Preuß.
Immer wieder konnte Franziska Preuß den großen Erwartungen in der Vergangenheit nicht gerecht werden. Immer wieder hatte sie fantastische Ansätze gezeigt, um dann in den entscheidenden Momenten doch nicht das gesamte Potenzial abzurufen und zu scheitern. Geplagt von vielen Krankheiten und Verletzungen, kam die Bayerin nie so richtig in Tritt.
"Die Fassung verloren"
In dieser Saison ist alles anders.Die Gesamtweltcup-Führende ruht in sich, macht sich vor jedem Rennen glasklare Pläne und verfolgt diese bis ins letzte Detail. Genau das gelingt ihr in der Verfolgung - einem "perfekten" Rennen, wie sie selbst sagt. Als einzige Topathletin bleibt sie am Schießstand fehlerfrei - wer Preuß beobachtet, zweifelt in keiner Sekunde daran, dass der Sieg nur über sie führt.
Aber die vergangenen Jahre haben auch Franziska Preuß’ Eltern auf schmerzhafte Weise gelehrt, dass Leistungssport so brutal und grausam sein kann. Das bleibt Elisabeth und Georg in der Arena von Lenzerheide erspart. "Ich habe mich nach dem vierten Schießen mal kurz auf den Boden gesetzt, weil ich die Fassung verloren habe. Das sind einmalige Momente."
Die Konkurrenz gönnt Preuß den Erfolg
Wie sehr die Biathlon-Welt - und damit ist ausdrücklich auch die internationale Konkurrenz gemeint - Franziska Preuß diesen Erfolg gönnt, spiegelt sich in den Aussagen der Schweizerin Lena Haecki-Gross wider. Die Lokalmatadorin, die mit Franziska Preuß gemeinsam in Ruhpolding trainiert, wurde Fünfte in der Verfolgung.
"Ich habe mich so sehr für Franzi gefreut. Das ist so verdient", sagt die 29-Jährige, die phasenweise mit Preuß zusammen an der Spitze des Feldes gelaufen war. "Sie hat so eine tolle Saison bislang hingelegt. Ich bin richtig stolz auf sie."
Trainer Olsbu Roiseland rasiert sich die Haare ab
Ein Weltmeister-Titel, vor allem so ein emotionaler, schreibt ja oft noch seine Nebengeschichten. Eine davon ist die des deutschen Trainers Sverre Olsbu Roiseland. Am Abend vor der Verfolgung gab der Norweger bei der Team-Besprechung ein Versprechen ab. "Ich habe den Mädels gesagt, wenn eine von ihnen Gold holt, dann rasiere ich mir die Haare auf dem Kopf ab. Naja, mal schauen, wie das dann aussieht." Ob seine Ehefrau, die Ex-Weltklasse-Biathletin Marte Olsbu Roiseland, in die Wette eingeweiht war, ist nicht überliefert.
Zur Feier des Tages ein "Bierle"
Es ist bislang die WM von Franziska Preuß. Zur Feier der ersten WM-Goldmedaille ihrer Karriere wollen die Eltern Elisabeth und Georg dementsprechend gebührend anstoßen. "Wir trinken jetzt erst einmal ein 'Bierle' und schauen, was noch so passiert", sagt Elisabeth Preuß und lacht. Ob Franzi denn auch eins mittrinkt? Papa Georg dreht sich um, schüttelt kurz an seinem Rucksack - es klirrt. "Da sind ein paar 'Bierle' drin – und Franzi kann schon gerne eins mittrinken. Wir kommen schließlich aus Bayern!"
Es ist ein "Full Circle Moment" - der Kreis, der sich schließt. Nach all den Enttäuschungen der vergangenen Jahre gibt es ein Happy End für Franziska Preuß und ihre Familie. Und das Verrückte ist: Bei der WM ist erst Halbzeit. Vielleicht beginnt Franziska Preuß ja kommende Woche mit der Zusammenstellung eines zweiten Medaillensatzes.