Franziska Preuß behält beim Biathlon-Sprint in Lenzerheide den Durchblick

Biathlon-WM in Lenzerheide Franziska Preuß - Unter Druck entstehen Diamanten - und Medaillen 

Stand: 14.02.2025 20:31 Uhr

Zum ersten Mal seit zehn Jahren gewinnt Franziska Preuß eine Einzelmedaille bei einer WM. Dass die Bayerin zum Saison-Höhepunkt topfit ist und ihre Leistung abrufen kann, ist nicht selbstverständlich - der Weg zum Erfolg war lang.

Von Jonas Schützeberg und Uri Zahavi, Lenzerheide

Druck, der. Substantiv, maskulin. Druck ist eine "gewaltsame, zwanghafte, jemanden bedrängende Einwirkung von außen". So steht es im Duden. Druck ist im Leistungssport ständiger Begleiter. Druck kann lähmen. Druck kann aber auch beflügeln. Franziska Preuß hat in ihrer Karriere oft Druck verspürt. Die 30-jährige Biathletin, so ehrlich muss man sein, ist immer wieder an genau diesem zerbrochen. Nicht aber in der aktuellen Weltcup-Saison und erst recht nicht an diesem 14. Februar 2025 in der Arena von Lenzerheide. "Man will es sich ja auch selbst beweisen, dass man es zum Höhepunkt schafft, seine beste Leistung abzurufen."

Genau das ist der ruhigen, oft zurückhaltenden Bayerin im WM-Sprint gelungen. Bei komplizierten Bedingungen in der Schweiz. Teils dichter Schneefall? Egal. Unangenehmer Wind am Schießstand? Egal. "Die Franzi ist so ein bisschen der Schirm, der gerade über der Damen-Mannschaft gespannt ist. Extrem viel Aufmerksamkeit liegt auf ihr", lobt DSV-Sportdirektor Felix Bitterling die Weltcup-Gesamtführende. "Sie macht das toll. Sie ist unglaublich entspannt. Sie ruht in sich und vertraut sich selbst."

Wie umgehen mit dem Druck?

Dieses Selbstvertrauen ist das Produkt harter Arbeit. Nicht nur am Schießstand und auf der Strecke, sondern es ist Arbeit, die im Kopf stattfindet. Oft klingt der folgende Begriff nach "Jungunternehmer-Start-Up-Sprech" - aber Erfolg und die Fähigkeit, mit Druck umzugehen, hängen auch vom richtigen "Mindset" ab. Der Einstellung also. Und diese scheint Franziska Preuß nach langer Suche – bisweilen auch mithilfe eines Mentaltrainers - gefunden zu haben. "Ich war schon sehr angespannt heute, aber habe versucht, dass es immer wieder auf die Freude über den Sport umkippt – und dass ich überhaupt in dieser Position heute bin."

Freude im ganzen Team über die Silber-Medaille

Freude im ganzen Team über die Silber-Medaille von Franziska Preuß

Das ist Franziska Preuß in jeder Sekunde des WM-Sprints anzusehen. Als sie um 15:28 Uhr aus dem Start-Tor heraustritt, atmet sie noch einmal tief ein und dann huscht tatsächlich ein schnelles Lächeln über ihr Gesicht. Nicht mal ein Hauch von Druck ist ihr anzusehen. "Als der Countdown beim Start runtergelaufen ist, habe ich nur darüber nachgedacht, dass es cool ist, dass ich heute starten darf und dabei bin. Das gibt eine gewisse Gelassenheit", beschreibt Preuß ihren Gefühlszustand, bevor es losgeht. 

“Top oder Flop”: Volles Risiko im WM-Rennen

22 Minuten und 18 Sekunden später fällt der ganze Druck ab, nach einer Schlussrunde von Preuß, die dem Finale eines Hitchcock-Romanes ebenbürtig ist. "Ich habe mir gestern Abend einen guten Plan gemacht. Bei WM-Rennen muss man ein gewisses Risiko eingehen, Top oder Flop", so die 30-Jährige im Ziel.

Es ist ein grandioses Finale – 0,2 Sekunden stehen auf der Anzeigetafel, als Franziska Preuß im Ziel in sich zusammensackt, minus 0,2 Sekunden. Auf der letzten 2,5-km-Schleife liefert sich die Bayerin ein Fernduell mit der Finnin Suvi Minkkinen.  Sie liegt zwischenzeitlich zurück und schafft es, die sinnbildhafte Fußspitze auf der Ziellinie vorn zu haben – endlich einmal, möchte man sagen.

Der Zehntel-Krimi ging schon oft verloren

"Gut Ding will Weile haben", sagt Franziska Preuß selbstsicher mit einem Augenzwinkern. Zehn Jahre hat sie warten müssen auf ihre nächste WM-Einzel-Medaille nach der silbernen im Massenstart von Kontiolahti 2015. So oft hat Preuß den Kampf um Sekunden-Bruchteile schon verloren, wie beim Weltcupauftakt 2024 in Östersund, als ihr Lisa Vitozzi den Sieg im Einzel um eine Zehntelsekunde wegschnappte. Ein paar Tage später schubste Lou Jeanmonnot Preuß vom obersten Podest, dieses Mal waren es 0,3 Sekunden.   

Auch in dieser Saison musste sich die Gesamt-Weltcup-Führende schon knapp geschlagen geben, beim Weltcup kurz vor Weihnachten im Sprint von Le Grand Bornand. Da hieß die Siegerin Justine Braisaz-Bouchet, der Rückstand: nur 1,4 Sekunden. Auch im WM-Sprint ist eine besser als Preuß, wieder triumphiert die Französin, aber dieses Mal mit knapp zehn Sekunden Vorsprung.   

Das “Rennpferd aus Frankreich” ist als Einzige besser

Franziska Preuß wirkt überglücklich mit dieser Silbermedaille, die das gesamte deutsche Team in Feierlaune versetzt, so auch den Sportdirektor Felix Bitterling: "In den letzten Jahren sind knappe Entscheidungen oft zu ihren Ungunsten ausgegangen. Heute haben wir gewitzelt: Jetzt fieseln wir die Finnin ab und dann kommt von hinten dieses Rennpferd aus Frankreich."  

Ein Livestream am Valentinstag endet mit Silber

Gut 260 Kilometer nordöstlich von Lenzerheide, daheim in Ruhpolding, sitzt Ex-Biathlet Simon Schempp in einer Online-Fortbildung den ganzen Tag am Rechner. Am Valentinstag kann ihr Lebensgefährte das Rennen seiner Freundin nur nebenbei verfolgen, im Livestream auf dem Handy: "Nachdem der Start schon so genial war, konnte ich mich natürlich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Es freut mich sehr, dass es am Ende so genial ausging und Franzi sich einmal mehr für die harte Arbeit belohnen konnte. Ich bin sehr stolz auf sie."

Federleicht in die kommenden WM-Rennen

Als die Siegerehrung vorbei ist, die Silbermedaille bereits um den Hals von Franziska Preuß baumelt, folgt abseits der Kameras ein emotionaler Höhepunkt. Nach und nach kommen Preuß' Teamkolleginnen Julia Tannheimer, Sophia Schneider und Selina Grotian auf ihre Anführerin zu und umarmen sie innig. Preuß weint – es sind gleichzeitig Tränen der Freunde und auch der Erleichterung. 

"Der Rucksack ist jetzt doch ein Stück leichter geworden. Ich bin einfach nur froh, dass das geklappt hat." Nach zwei Medaillen aus zwei Rennen kann Franziska Preuß jetzt federleicht in die kommenden WM-Rennen gehen – obwohl sie nun endgültig allen bewiesen hat, dass sie auch mit Druck bestens umgehen kann.