US Open Wie die Erfahrung die Tenniskarriere verlängern kann
Manche Profis auf der Tennistour scheinen keine Altersgrenze zu kennen. Venus Williams versucht sich nochmal mit 43 Jahren bei den US Open in New York, Stan Wawrinka mit 38 Jahren. Aber wie kann das bei dieser herausfordernden Sportart überhaupt gelingen?
Aus eigener Kraft hätte sie nicht einmal die Qualifikation für die US Open mitspielen dürfen. Als aktuelle Nummer 407 in der WTA-Weltrangliste ist Venus Williams auf eine sogenannte Wildcard angewiesen, die die Veranstalter an besonders verdiente Spielerinnen oder große Talente als einfache Eintrittskarte in das Hauptfeld vergeben können.
Die mittlerweile 43-Jährige, die die US Open in den Jahren 2000 und 2001 gewinnen konnte, ist in New York also dabei - es ist ihre sage und schreibe 24. Teilnahme im Hauptfeld.
Aber: Ist das womöglich mehr Tennis-Romatik der Veranstalter, die mit dem großen Namen vielleicht auch noch den ein oder anderen Zuschauer mehr auf das Gelände in Flushing Meadows locken wollen? Oder hat Williams trotz ihres fortgeschrittenen Alters tatsächlich noch realistische Chancen auf Siege bei einem der wichtigsten und größten Turniere des Jahres?
Zumal die äußeren Bedingungen aufgrund der Wärme und der hohen Luftfeuchtigkeit alles andere als optimal zu dieser Jahreszeit im "Big Apple" sind.
Professionelle Arbeit
Williams hatte zuletzt mit ihrem Erfolg gegen die Top-20-Spielerin Veronika Kudermetova beim Masters in Cincinnati aufhorchen lassen und gezeigt, wozu sie immer noch in der Lage ist.
"Es ist trotz eines erhöhten Alters immer noch viel möglich. Viele Spielerinnen und Spieler hören vor allem deshalb auf, weil sie mental müde sind vom Reisen und den kurzen Pausen. Die wenigsten, wie zum Beispiel Roger Federer, hören wegen körperlicher Probleme auf", sagt Ralph Grambow, Sportwissenschafftler und Tennis-Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln der Sportschau.
Und viele Tennisprofis können offenbar nicht genug bekommen von der großen Dosis Adrenalin, das sie auf den großen Courts der Welt spüren. Wie etwa Stan Wawrinka (38 Jahre), Gael Monfils (36) oder auch Andy Murray (36), die alle wieder einmal bei den US Open dabei sein werden und sich direkt für die 1. Runde qualifiziert haben. Ganz zu schweigen von Novak Djokovic (36), den derzeit zweitbesten Spieler in der Weltrangliste und Top-Favoriten auf den Turniersieg.
"Diese Spieler schaffen es durch unfassbar professionelles Arbeiten, eine riesige Disziplin und gute Ernährung, sich noch Zeit zu kaufen. Und sie haben alle unglaubliche Lust darauf, Turniere zu spielen", sagt Grambow.
Ballwechsel meistens nach vier Schlägen beendet
Die Ansprüche, die die Profis an sich selbst haben, sind zudem groß. "Wenn ich noch ein Ziel habe, dann dass ich noch einen Titel gewinne, bevor ich zurücktrete", sagt etwa Stan "the Man" Wawrinka vor dem Auftakt und seiner insgesamt 16. Teilnahme in New York. Dass er den Titel nach 2016 noch einmal gewinnen wird, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Es geht vor allem darum, mit den "Jungspunden" mithalten zu können und diese so gut es geht zu ärgern.
Schied bei den Australian Open bereits in der ersten Runde aus: Stan Wawrinka.
"Tennis ist zwar sehr anstrengend und körperlich belastend. Aber 70 Prozent der Ballwechsel sind nach vier Schlägen vorbei", sagt Grambow. Deshalb nehme die psychologische Komponente in den häufigen Pausenzeiten zwischen den Ballwechseln eine große Rolle ein. In dieser Frage habe die Erfahrung und damit das Alter einen äußerst positiven Effekt.
Anpassung und Routine
"Die älteren Spielerinnen und Spieler haben alles schon gesehen. Sie wissen, wie sie die Punkte machen wollen und sind auch nicht mehr nervös. Und die haben ihre Spielweise verändert und weiterentwickelt", so Tennis-Dozent Grambow, der auf die Flexibilität und den Veränderungswillen der Aktiven verweist. "Andy Murray etwa spielt nicht mehr so kraftaufwändig, wie er es in seinen Anfangsjahren mal gemacht hat. Andere Spieler wie Wawrinka oder Monfils versuchen Ballwechsel in anstregenden Situationen auch mal gezielt kürzer zu gestalten und einen Winner zu schlagen."
Die körperlichen Defizite, unter denen ältere Spitzensportler im Laufe des Lebens auch wegen der großen, dauerhaften physischen Belastungen leiden, können demnach durch ihre mentale Stärke und ihre taktische Erfahrung häufig kompensiert werden. Es gehe darum, in den entscheidenden Momenten das Richtige zu tun.
Ob etwa Venus Williams oder Wawrinka tatsächlich noch der ganz große Coup gelingen und einer oder gar beide das Turnier für sich entscheiden können, da ist Grambow skeptisch. Dennoch: Sie können ihre Kontrahenten immer noch kitzeln und ärgern. Und auch darauf dürfte es ihnen ankommen.