
Zum 125. Geburtstag Wie ein Pforzheimer Junge zur Barca-Legende Emilio Walter wurde
Emil Walter ist beim Pforzheimer Vorort-Klub Germania Brötzingen groß geworden und ging dann als Schmuckhändler nach Spanien. Wenige Jahre später führte "Emilio" den FC Barcelona zur ersten Meisterschaft.
In Barcelona ist Emilio Walter eine Legende. Und wie bei jeder Legende, ist irgendwann nicht ganz klar, wo der Mensch aufhört und der Mythos beginnt. In Spanien wird erzählt, wie sich der Barca-Star während des Frankreich-Feldzugs im Zweiten Weltkrieg kurzerhand von der Truppe absetzt, sich in einer wilden Nacht-und-Nebel-Aktion ein Motorrad schnappt und damit über die Pyrenäen rast - zurück nach Katalonien, zurück zu seinen Jungs, zurück zum FC Barcelona. Zurück zu dem Team, mit dem er dreimal den spanischen Pokal, die Copa del Rey, gewonnen hat. Zurück zu der Mannschaft, die er 1929 als Kapitän zur ersten Spanischen Meisterschaft der Vereinsgeschichte geführt hat. Zurück zu den Ursprüngen seines in Spanien lange Zeit gigantischen Ruhms, der ihm 242 Pflichtspiele für die Blaugrana, eine eigene Briefmarke und einen heldenhaften Empfang zu seinem Abschiedsspiel eingebracht haben.
Emil Walters Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein
Es ist eine Geschichte, zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich, spricht vieles dafür, dass sie überhaupt nicht stimmt. Andreas Walter blättert in dem Aktenordner, den er über seinen Opa angelegt hat. Fragend blickt er zu seinem Onkel Hans-Werner Walter, Sohn des ehemaligen Barca-Stars. "Du hast ja noch einen Wehrpass von ihm. Und da steht nur drin, er wäre 'bedingt verwendungsfähig'." Dann zückt er Emils altes Arbeitsheft, ein Dokument, in dem Firmen ihren Mitarbeitern damals bestätigt haben, von wann bis wann sie bei ihnen tätig waren. Er zeigt auf die einzelnen Stationen: Da steht nichts von Wehrmacht, nichts vom Frankreich-Feldzug und erst recht nichts von einem Abstecher über die Pyrenäen nach Barcelona. "Also ich weiß nicht, wie das zustande kommt die Geschichte, aber es wirkt sehr erfunden. Das klingt zwar abenteuerlich, aber die Fakten sagen irgendwie etwas anderes."

Die Einträge in Emil Walters Arbeitsbuch signalisieren, dass der ehemalige Barca-Star nicht im Krieg war.
Erste Erfolge mit der Schulmannschaft
Die Fakten sagen, dass Emil Walter am 7. April 1900 in Pforzheim zur Welt kam und im Stadtteil Brötzingen erst das Laufen und bald darauf das Kicken lernte. Seinen ersten großen Sieg feierte er mit dem Team seiner Oberrealschule gegen das örtliche Gymnasium. Dem Pforzheimer Kurier erzählte er 1948, wie die "Pauker" sich hinter einem Gebüsch versteckten, um das Spiel zu sehen. Offiziell waren sie neutral. Inoffiziell feierten sie den Sieg von Emils Team. Mit 16 debütierte Emil Walter in der ersten Mannschaft von Germania Brötzingen. Größter Erfolg: Aufstieg in die Kreisliga 1920. Parallel dazu ließ er sich bei der Bijouterie-Fabrik Pforzheim zum Verkaufskorrespondenten (eine Art Außenhandelskaufmann) ausbilden. Ein Beruf, der auch seine sportliche Karriere entscheidend beeinflussen wird. Denn er lernte mehrere Fremdsprachen und knüpfte erste Kontakte nach Spanien.
Die nutzte er, als die deutsche Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg nicht so richtig in Schwung kam. Er ging 1922 zur Ferreteria Costa Ferran, einer Metall-Firma in Katalonien. Und weil sein neuer Chef auch Vorsitzender beim örtlichen Fußballklub war, heuerte Walter bei der Unió Esportiva Figueres an.
Und dann klopft der FC Barcelona an
Es folgt eine weitere Geschichte, die zu schön ist, um wahr zu sein. Doch diesmal stimmt sie. Bei einem Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona machte Walter Barca-Trainer Jack Greenwell mit seinen präzisen Pässen, seiner Pferdelunge und seinem wahnsinnigen Huf auf sich aufmerksam. Greenwell wollte Walter in seinem Team haben und lud ihn zu einer Art Probetraining ein. Walter setzte sich durch. Dennoch musste Greenwell noch zwei Jahre warten, bis der damals Emil Walter auch beruflich vom Außenhandelskaufmann auf Rechtsverteidiger umschulte, schließlich hatte er bei der Metallfirma in Figueres noch einen Job zu erledigen. Damals bekam er 600 Peseten Festgehalt pro Monat plus 200 Peseten für jeden Sieg und 150 Peseten für jedes Unentschieden. Nebenbei arbeitete er als Kaufmann in der Zahnmedizin.

Die Fußballer-Karriere ermöglichte es Emil Walter (auf dem Esel sitzend), bereits in jungen Jahren die Welt zu sehen. 1925 reiste er mit dem FC Barcelona zum Finale der Copa del Rey nach Sevilla.
Emil Walter auf einer Stufe mit Cruyff, Maradona & Messi
In Barcelona wurde Emil Walter zu Emilio. Und Emilio wurde bei Barca zum Stammspieler, zum Leistungsträger und zum Helden. Die argentinische Sportzeitschrift "El Gráfico" beschrieb ihn 1928 anlässlich der Südamerika-Reise des FC Barcelona als eine der "grandes figuras de Barcelona", eine der großen Figuren Barcelonas. Wer das heutzutage googelt landet bei Johann Cyruff, Diego Maradona, Ronaldinho oder Lionel Messi.

Emil Walter war in Spanien ein Held. Zu seiner Glanzzeit gab es sogar Sammelbilder mit seinem Foto.
Emilio Walter wurde in Barcelona zum Helden
Wie populär Walter seinerzeit in Spanien war, erzählen die Berichte um sein Ehrenspiel am 26. März 1950. Der Camp de Les Corts, das damalige Stadion des FC Barcelona, war rappelvoll. 40.000 Menschen wollten den Pforzheimer Kapitän der ersten Meistermannschaft noch einmal sehen. In einem Brief an einen Freund beschreibt Walter, wie die Menschen auf dem Weg nach Barcelona an den Bahnhöfen standen und ihm zuwinkten. "Was sich bei unserer Ankunft ereignete, war für uns beide (Walter reiste mit seiner zweiten Ehefrau Clara) so ergreifend, daß [sic!] uns und auch vielen spanischen Freunden die Tränen kamen." Mehrere Zeitungen berichten, dass die Polizei den Weg vom Hotel zum Stadion räumen musste, weil zu viele Menschen ihren Emilio nochmal sehen wollten.

Nachdem Emil Walter nicht zum 50-jährigen Jubiläum des FC Barcelona reisen konnte, weil die Behörden in Deutschland ihm 1949 die Ausreise nach Spanien verweigerten, haben die Katalanen ihn im Jahr darauf erneut eingeladen. Ihm ihn zu ehren, spielte Barca am 26. März 1950 noch einmal gegen den Lokalrivalen Espanyol - vor 40.000 Zuschauern. Email Walter (rechts) führte damals den Anstoß aus.
Über den Privatmann Emil Walter ist relativ wenig bekannt
Über den Privatmann Emil Walter ist hingegen wenig bekannt. Er war Mitglied im Schwimmclub Barcelona. In der "Galeria de Campeones" der Barca-Vereinszeitung lobte Autor Luis Melenez 1949, wie schnell Walter sich in Barcelona heimisch fühlte, nicht nur Spanisch sondern auch Katalanisch sprach. "Er verstand uns und wurde verstanden. Darum gewann Walter die Sympathien der blau-granatroten Mitglieder wie kein anderer ausländischer Spieler." Charakterlich galt Walter als "patenter Mensch" (Kicker vom 28.05.1929) und "Manne bester idealistischer Wesensart" (Pforzheimer Kurier, 7, 1948). "Ich habe ihn leider auch nicht wirklich gekannt", sagte Hans-Werner Walter, "ich war ja erst fünf Jahre alt, als er starb."
Ansonsten war Walter sehr musikalisch, spielte Geige, Mandoline und Klavier. "Er scheint sich ja auch im Bereich Oper, Operette ausgekannt zu haben", sagt Enkel Andreas Walter und holt ein Foto hervor, dass Emil Walter in einem Grafen-Kostüm zeigt. Auf der Rückseite steht, dass er im Januar 1932 den Conte Carnero in Johann Strauss' Operette "Der Zigeunerbaron" spielte. "Aber ich habe keine Ahnung, in welchem Rahmen das damals aufgeführt wurde", sagt er. "Könnte sein, dass es im Rahmen einer Vereinsfeier zustande kam", schätzt Hans-Werner Walter. "Aber dazu fehlt uns der nötige Background."

Emil Walter konnte anscheinend nicht nur kicken. Im Januar 1932 gab er den Conte Carnero in Johann Strauss' Operette "Der Zigeunerbaron".
Eine Knie-Verletzung beendet Emil Walters Fußballer-Karriere
Eine Meniskusverletzung im Halbfinale in der Copa del Rey gegen Bilbao hat Walters Karriere jäh und selbst für damalige Verhältnisse einen Tick zu früh beendet. Das muss am 27. Mai 1930 gewesen sein. Barca gewann 4:0. In manchen Zeitungen steht 1933. Doch in diesem Jahr gab es gar kein Pokalspiel gegen Bilbao. Zweimal stand er noch für Barca auf dem Platz. Mehr ließ das kaputte Knie nicht zu.
Zurück in Deutschland trainierte Walter seinen alten Heimatklub Germania Brötzingen, ab 1935 den RSV Hückeswagen. Es war jedoch der Job in einer Maschinenfabrik, der ihn ins Bergische Land führte. Drei Jahre später zog es ihn erst nach Gaggenau und 1941 zurück nach Pforzheim. Die letzten Kriegsjahre und die Wirren danach brachten auch Familie Walter in Bedrängnis.
Barca organisiert Hilfe für den strugglenden Star
Und dann zeigte sich, dass Barca wirklich més que un club - also mehr als ein Verein - ist. Auf Initiative der ehemaligen Mitspieler und Freunden aus dem Schwimmclub organisierte der FC Barcelona 1947 einen Hilfsfonds für Walter. Ein Jahr später setzte die spanische Post sogar eine Sonderwertmarke zugunsten des Fonds auf. Doch Pläne, eventuell nach Spanien zurückzukehren, zerschlugen sich. Emil Walter starb am 1. März 1952 im Alter von 51 Jahren an Krebs.
An dem Tag endete der Mensch. Doch der Mythos lebte weiter. Als Barca von Walters Tod erfuhr, spielten sie im Trauerflor. Nachrufe erschienen in deutschen und in spanischen Zeitungen. Seine Beerdigung muss ein riesiges Ereignis gewesen sein. Und immer, wenn es um die ganz großen Köpfe in der Geschichte des FC Barcelona geht, taucht sein Name auf. Doch der Ruhm verblasst. Barca holte 26 weitere Meisterschaften und noch 28 Mal die Copa del Rey. Xavi, Iniesta, Messi sind mittlerweile bunter, schillernder, greifbarer. Doch Emil Walter bleibt, was er war: der Kapitän der ersten Meistermannschaft 1929 - eine Legende.