
Fußball | Bundesliga "Toooooooor für den SC Freiburg": Stadionsprecherin Julica Goldschmidt hat sich eingegroovt
Wenn sie eine Ansage macht, hören ihr 35.000 Fußballfans zu: Julica Goldschmidt ist Stadionsprecherin im Europa-Park-Stadion beim SC Freiburg. Aus großem Respekt vor dem Job ist Freude geworden.
Sie gehört zu den ganz wenigen Stadionsprecherinnen in der Bundesliga: Julica Goldschmidt. Seit fast zwei Jahren ist sie DIE Stimme im Europa-Park-Stadion. Ein Job, der sich für sie nicht wie Arbeit anfühlt, wie sie selbst sagt. Doch eine Frau am Mikrofon - das stieß zunächst nicht bei allen Fans auf Begeisterung. Es gab viel Gegenwind. Inzwischen ist die Kritik leiser geworden. Goldschmidt hat sich eingegroovt. Der Verein und insbesondere das Team in der Stadionregie geben ihr nach eigenen Angaben viel Rückhalt.
Jeder Spieltag hat eigene Playlist: Stadionsprecherin ist auch DJane
Zwei Stunden vor Anpfiff der Partie SC Freiburg gegen Borussia Dortmund: Stadionsprecherin Julica Goldschmidt rauscht - ganz typisch für Freiburg - auf ihrem Fahrrad heran. "Gerade, wenn man an der Dreisam entlangfährt und die Fans sieht, dann ist das immer wieder ein großer Zauber zu wissen, wir gehen jetzt alle an den gleichen Ort, wir freuen uns alle auf das gleiche Event, dieses Fußballspiel, das ist immer mit einem Flattern, Flirren und einer Vorfreude verbunden", erzählt Goldschmidt am Fahrradständer, während sie ihr Rad abschließt. Vorbei an Fans und Maskottchen geht es in den dritten Stock - in die Stadionregie. Ein Raum mit vielen Monitoren und Mischpulten, keine klassische Sprecherinnenkabine.
13:30 Uhr, Zeit, die Playlist für den 28. Spieltag abzufahren - die erste "Amtshandlung" von Goldschmidt. Als Stadionsprecherin ist sie unter anderem für die Musikauswahl im Stadion zuständig. Jeder Spieltag bekommt eine eigene Playlist. "Das sind keine Ballermann-Hits, sondern es ist eher gitarrenlastig, Alternative Rock, Indie Pop, auch mal der eine oder andere Chart-Hit, Songs aus den 70ern und 80ern", sagt die 43-Jährige.

Die Sprecherinnenkabine ist kein abgetrennter Raum: Julica Goldschmidt sitzt gemeinsam mit ihren Kollegen in der Stadionregie.
Herausforderungen: Aussprache der Spielernamen, Torschrei, Unvorhergesehens
Auf dem Rasen im Europa-Park-Stadion tut sich was: Die ersten Spieler machen sich warm. Die Sitzplätze auf den Rängen füllen sich - noch gut eine Stunde bis zum Anstoß. Julica Goldschmidt schnappt sich das Mikro und begrüßt die ersten Zuschauer: "Hallo! Einen schönen Samstagnachmittag, liebe SC-Fans, liebe Gäste, schön, dass ihr da seid, heute am 28. Spieltag in der ersten Fußball-Bundesliga!" Danach übergibt sie an ihren Kollegen, Stefan Mayer, der Stadion-Moderator auf dem Platz ist. Ein Kollege kommt in die Stadionregie und verteilt die Mannschaftsaufstellung. Goldschmidt feilt an ihren Sprechertexten, markiert Spielernamen, streut zwischendurch kurze Ansagen ein.
Neben ihr ein kleines grünes Büchlein des DFB - eine Art Bibel: "Handbuch für Stadionsprecher & Platzhalter". Auf die Frage, warum die Berufsbezeichnung darin ausschließlich in der männlichen Form zu finden ist, antwortet die 43-Jährige lachend: "Ja, da müsste man vielleicht noch das Gendersternchen oder den Doppelpunkt mit einbauen."
Bunte Haftnotizen ragen aus dem Büchlein hervor, beschriftet mit Begriffen wie "Pyro" oder "Geruchsbelästigung". "Ich bin ja nicht nur Stadionsprecherin, sondern auch Sicherheitssprecherin. Die Sicherheitssprecherin greift immer dann, wenn Unvorhergesehens passiert", betont Goldschmidt. Das gängigste Szenario sei der Einsatz von Pyrotechnik. Es gebe Beispieltexte vom DFB für solche Situationen. Weiteres Hilfsmittel sei eine Datenbank der DFL. Jeder Spieler spricht seinen vollen Namen in die Kamera, erklärt sie. Bei einigen Spielern notiert sie sich die Lautschrift, um keine Namen falsch auszusprechen. Der Dortmund-Spieler Carney Chukwuemeka ist so ein Fall.

Ob Einsatz von Pyrotechnik oder Notarzteinsatz: In diesem Handbuch des DFB stehen Beispieltexte für Stadionsprecher und -sprecherinnen.
Auch an ihrem Torschrei hat Julica Goldschmidt gearbeitet. Zuhause und auf langen Autofahrten, wenn sie allein unterwegs war, drehte sie den Nirvana-Song "Lithium" bis zum Anschlag auf und versuchte, mit ihrem kraftvollen "Toooooooor"-Schrei die Musik zu übertönen. "Es ist etwas völlig anderes, in ein Mikrofon zu schreien, als wenn man auf der Tribüne steht und von den Rängen gerissen und von der Emotion mitgerissen wird. Ich muss das für alle machen," erklärt sie.
Mittlerweile mache ich das mit Freude. Am Anfang war da ein großer Respekt - mache ich es richtig? Klingt es so, wie es klingen soll? Wie kommt es an? Heute denke ich darüber nicht mehr nach. Ich hoffe einfach, dass es verfängt. SC-Stadionsprecherin Julica Goldschmidt über ihren Torschrei
Goldschmidt ist SC-Fan seit 30 Jahren
Die letzten Minuten vor dem Anstoß: Stadionsprecherin Goldschmidt verkündet die Mannschaftsaufstellung. "Unsere Nummer 21, Florian", die Fans brüllen im Chor "Müllllller". "Unsere Nummer 6, Patrick" - "Osterhaage". Kurz darauf wummern das Badnerlied und die Hymne des Sport-Clubs aus den Lautsprecherin. Fußball-Fieber im Stadion: Höchststufe! Bevor der Ball rollt, nennt Goldschmidt noch die Namen des Schiedsrichter-Gespanns. Jetzt kann es losgehen. Die 43-Jährige fiebert an den Monitoren, die das Spiel übertragen, mit. Rauft sich die Haare, faltet die Hände, kann manchmal nicht hinschauen. Seit sie 12 Jahre alt ist, schlägt ihr Herz für den SC. Eine Freundin hatte sie damals zu einem Spiel ins Dreisamstadion mitgenommen, wo sie zum ersten Mal Live-Fußball erlebte und sofort begeistert war, erzählt sie. Viele Jahre später stand sie dann nicht mehr nur auf der Tribüne, sondern am Spielfeldrand. Von 2014 bis 2018 war sie Stadion-Moderatorin im Dreisamstadion. Mit der Geburt ihres Sohnes hörte sie dann auf. Fünf Jahre später, ein Anruf aus heiterem Himmel. Ob sie sich vorstellen könne, Claus Köhn zu beerben und Stadionsprecherin zu werden? Schluck. Sie sagt zu. Im August 2023 geht es los. "Manchmal muss ich mich immer noch kneifen", gesteht Goldschmidt.
Es ist kaum zu glauben, dass ich Teil des Ganzen sein darf. Das ist wahrscheinlich das, was es so aufregend und schön macht, dass ich das jetzt mitgestalten darf. SC-Stadionsprecherin Julica Goldschmidt über ihren Job
Erst viel Kritik und Kommentare unter der Gürtellinie
Halbzeit. Ein Tor für Dortmund ist bereits gefallen. Stadionsprecherin Goldschmidt tritt kurz auf den Balkon neben der Sprecherinnenkabine und schnappt tief Luft. "Ein aufregender Job, der nach wie vor für Herzklopfen sorgt", sagt sie mit einem Lächeln wieder zurück am Platz. Die ersten Partien jedoch waren eine immense Herausforderung für sie. Eine Frau als Stadionsprecherin - das sorgte zunächst für Kritik. Ihr Vorgänger, Claus Köhn, hatte 35 Jahre lang das Stadion-Mikrofon fest in der Hand. Die Erwartungen und die Fußstapfen, in die sie treten musste, waren entsprechend groß. Nach den ersten Spielen der Saison 2023/24 füllten sich die Kommentarspalten im Netz - oft mit sexistischen und beleidigenden Nachrichten. "Sehr respektlos geht es mitunter in den sozialen Medien zu", bemerkt sie. Anfangs nahm sich Goldschmidt diese Kommentare sehr zu Herzen und las sie durch. "Das hat etwas mit mir gemacht, nichts Gutes", sagt sie. Inzwischen habe sie sich ein dickeres Fell wachsen lassen, ein Filter sei jetzt da, mit dem sie konstruktive Kritik von Beleidigungen unterscheiden könne. Hinzu kommt der Rückhalt des Vereins, vor allem des Teams in der Stadionregie.
Wir sind ein Team, das hat mich am Anfang wahnsinnig gestützt, ich habe hier einen wahnsinnigen Rückhalt erfahren, das war wie ein Schutzwall, der sich um mich errichtet hat. SC-Stadionsprecherin Julica Goldschmidt über das Team in der Stadionregie
Zuletzt hatte es auch Kritik am Stil von Goldschmidt gegeben. Es ging beispielsweise darum, ob sie den Torschützen nur noch einmal statt dreimal ausrufen sollte. Einige Fan-Gruppen hatten sich für einen sachlicheren Stil ausgesprochen. Es gab ein Hin und Her. Goldschmidt reagierte darauf, passte ihre Ansagen an. Inzwischen ruft sie den SC-Torschützen wieder dreimal aus. Nach viel Verunsicherung hat sie jetzt ihre Tonart gefunden. Ans Aufhören ist nicht zu denken, ganz im Gegenteil: "Es ist gewünscht, dass es eine langfristige Planung ist", erzählt die 43-Jährige. Also auch 35 Jahre, wie ihr Vorgänger? "Ich bin später eingestiegen als Claus Köhn, also in einem höheren Alter, also werde ich die 35 Jahre nicht machen", so Goldschmidt weiter.
Solange ich Freude daran habe, solange der SC zufrieden ist, kann es von mir aus lange, lange weitergehen. SC-Stadionsprecherin Julica Goldschmidt über "Vertragslaufzeiten"
Drei Heimspiele stehen in dieser Saison noch an. Goldschmidt hofft, dass sie dann auch wieder mehr Tore für den Sport-Club ausrufen kann. Gegen Dortmund mussten die Breisgauer vier Gegentore hinnehmen, während dem SC nur ein Ehrentreffer durch Maximilian Eggestein gelang. "An Toren hat es nicht gemangelt, aber leider für das falsche Team", resümiert die Stadionsprecherin.
Wenig Frauen am Mikro in der Bundesliga
Julica Goldschmidt ist in der Bundesliga eine Ausnahme. Neben ihr gibt es nur noch eine weitere Stadionsprecherin bei Bayer Leverkusen; ansonsten dominieren Männer die Ansagen. Goldschmidt will mit ihrer Tätigkeit nicht missionieren, aber sie freut sich, wenn sie als Vorbild dienen kann - insbesondere für kleine Mädchen, die sie im Stadion hören und sich vorstellen, eines Tages in ihre Fußstapfen zu treten.
Die 43-Jährige berichtet von einer Begegnung mit zwei neunjährigen Jungen. Einer der beiden äußerte den Wunsch, ebenfalls Stadionsprecher zu werden. "Ich fand es so schön, dass keine der Fragen der Jungs darauf abzielte, dass ich eine Frau bin", berichtet Goldschmidt. "Das war so erfrischend, da wächst eine Generation heran, für die das Geschlecht keine Rolle spielt."
Sendung am So., 6.4.2025 19:45 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW