Turnerin reibt sich Hände mit Kalk ein

Vorwürfe über psychische Gewalt im Turnen Fehlendes Vertrauen in DTB: Sportministerin fordert andere Wege bei Aufarbeitung

Stand: 28.02.2025 15:17 Uhr

Das baden-württembergische Sportministerium zweifelt an einer erfolgreichen Aufarbeitung der Missstände im Turnen durch den Deutschen Turner-Bund – und fordert jetzt vom Landessportverband eigene Vorschläge.

Sie haben miteinander geredet, sie haben Mails hin- und hergeschrieben. Doch am Ende kamen das baden-württembergische Sportministerium und der Deutsche Turner-Bund (DTB) nicht zusammen. Sportministerin Theresa Schopper (Grüne) hatte angesichts der öffentlich gewordenen Missstände an den Turn-Stützpunkten in Stuttgart und Mannheim in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass die körperliche und psychische Unversehrtheit der Athletinnen und Athleten oberste Priorität haben müsse.

Daher stehe und falle jedwede erfolgreiche Aufklärung und nachhaltige Aufarbeitung der Vorfälle mit der Akzeptanz seitens der betroffenen Athletinnen. Doch das Vertrauen vieler Personen in die Arbeit des DTB ist weg. Selbst DTB-Sportdirektor Thomas Gutekunst hatte vor einer Woche bei einem Medientermin am Rande des Turn-Weltcups in Cottbus betont, man müsse vor allem "wieder Vertrauen aufbauen, das augenscheinlich an vielen Stellen verloren gegangen ist."

Ministerin Theresa Schopper will anderen Weg der Aufarbeitung

Das tiefe Misstrauen gegenüber der Aufarbeitungsstrategie des DTB hatten in einem offenen Brief 28 Personen, darunter (ehemalige) Spitzenturnerinnen wie Sophie Scheder oder Janine Berger, zum Ausdruck gebracht. Sie hatten die Unabhängigkeit der Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Rettenmaier angezweifelt und den DTB aufgefordert, den Untersuchungsauftrag an diese Kanzlei zurückzunehmen. Eine Petition, die Janine Berger, Olympia-Vierte 2012, auf den Weg brachte, haben mittlerweile über 4.000 Personen unterzeichnet.

Auf SWR-Anfrage, ob das Sportministerium dennoch eine genügende Akzeptanz der Athletinnen für die Vorgehensweise des DTB sehe, antwortet Sportministerin Schopper: "Diese Grundvoraussetzung sehen wir durch das Vorgehen des DTB weiterhin als nicht vollständig gegeben."

Ex-Spitzenturnerin Janine Berger reagiert positiv

Die Ministerin zieht daraus jetzt Konsequenzen: "Daher haben wir nun dem Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) unsere Erwartung mitgeteilt, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten." Nach SWR-Informationen soll es um eine eigenständige Aufarbeitung der Vorwürfe gehen – unabhängig von der Strategie des DTB.

Die ehemalige Spitzenturnerin Janine Berger reagierte positiv auf das Vorgehen des Ministeriums: "Ich freue mich, dass das Ministerium jetzt nochmals die Erwartungen an den Deutschen Turner-Bund verdeutlicht. Da jedoch bereits Befragungen durch die beauftragte Kanzlei Rettenmaier stattfinden, sollte auch eine sofortige Einstellung dieser vom Deutschen Turner-Bund beauftragten Befragungen gefordert werden, bevor man nach weiteren Lösungen schaut. Darüber hinaus erwarte ich nun vom Landessportverband, dass man offen in ein Gespräch geht, bevor eine neue Lösung präsentiert wird, die nicht im Vorfeld inhaltlich diskutiert wurde."

Der LSVBW ist die Dachorganisation der Sportselbstverwaltung in Baden-Württemberg. Er vertritt 84 Fachverbände, darunter den Badischen Turner-Bund und den Schwäbischen Turnerbund mit insgesamt knapp 1,2 Millionen Mitgliedern. Das Ministerium nimmt die Sportorganisationen im Land nun also verstärkt in die Pflicht. Das Ministerium wird im Jahr 2025 allein 1,6 Millionen Euro an den Turnsport in Baden-Württemberg auszahlen. Die Gelder gehen vom Land an den LSVBW. Dieser gibt sie dann eigenverantwortlich an die Fachverbände weiter. Folglich ist der LSVBW verpflichtet, genau hinzuschauen, wie in den Fachverbänden gearbeitet wird. Aktuell sind jene Gelder, die an zwei frei gestellte Trainer am Kunst-Turn-Forum (KTF) fließen sollten, eingefroren.

DTB-Sportdirektor Gutekunst: "Kulturwandel dauert eher zehn Jahre als zwei oder drei"

Am Rande des Turn-Weltcups in Cottbus am vergangenen Wochenende hatte DTB-Präsident Alfons Hölzl noch versucht, in die Offensive zu gehen. Der DTB hatte zu einer Medienrunde geladen, um auf die öffentlich gewordenen Missstände im deutschen Turnen einzugehen. Hölzl signalisierte, er mache das zur Chefsache. "Deshalb bin ich auch hier. Ich hätte auch zuhause bleiben können."

Was Hölzl betont, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nein, er hätte in dieser krisenhaften Zeit nicht zuhause bleiben können. Gerade wenn das eigene Haus brennt, muss ein Chef vor Ort sein und dabei helfen zu löschen. Also sprach er von bereits ergriffenen und noch geplanten Maßnahmen, er berichtete von der im Januar in Auftrag gegebenen Untersuchung und von einer externen Aufarbeitungs-Kommission, die konkrete Handlungsanweisungen für den DTB erarbeiten soll. Vor allem aber betonte Hölzl im SWR-Interview, dass Transparenz das oberste Gebot sei. Nichts werde mehr unter den Teppich gekehrt.

Den Teppich nehmen wir weg. Wir verlegen einen Parkettboden. Alfons Hölzl, DTB-Präsident

Nach dem Turnskandal am Stützpunkt von Chemnitz 2021 hatte der DTB strukturell nachgebessert. Im Rahmen des Projekts "Leistung mit Respekt" wurden neue Leitlinien für Trainer, Eltern, Athleten und Funktionäre entworfen. Doch die neue Welle von schweren Vorwürfen etlicher Spitzenturnerinnen - vor allem hinsichtlich psychischer Gewalt - traf den deutschen Turnsport Ende 2024 mit enormer Wucht. Hölzl sprach von "knapp über 20 Meldungen", die in letzter Zeit beim Turnverband eingegangen seien. Sportdirektor Thomas Gutekunst musste eingestehen: "Ein gesamter Kulturwandel dauert eher zehn Jahre als zwei oder drei."

Jetzt sollte also ein neuer Anlauf mit bekanntem Partner erfolgen. Wie schon 2021 beauftragte der DTB die Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Rettenmaier mit der Untersuchung der Vorwürfe. Die Kanzlei verfüge über eine große fachliche Expertise. Wie schon nach Chemnitz soll die Sportpsychologin Frauke Wilhelm, eine ehemalige Turnerin, bei allen Gesprächen mit Betroffenen und Beteiligten mit am Tisch sitzen.

DTB-Präsident Hölzl kann Kritik an Kanzlei "nichts abgewinnen"

Die Bedenken an der Beauftragung der Kanzlei Rettenmaier wischte der DTB-Präsident Hölzl mit einem Satz weg: "Ich kann der Kritik nichts abgewinnen." Die Kosten, die auf den DTB durch die Expertise der Kanzlei zukommen werden, wird Hölzl nicht wegwischen können. Laut DTB-Geschäftsbericht von 2022 musste der Turnverband im Jahr 2021 insgesamt 205.165,76 Euro für "Rechtsberatung" zahlen. Nach der Untersuchung durch die Kanzlei Rettenmaier, die mehrere Monate dauern soll, soll es laut DTB eine Aufarbeitung durch einen externen Expertenrat geben.

In Cottbus hatte sich Hölzl noch optimistisch gezeigt, die Bedenken von Sportministerin Schopper am Vorgehen der Aufklärung und Aufarbeitung ausräumen zu können: "Man muss hier das entsprechende Wissen schaffen, auch beim Ministerium. Wir befinden uns im Austausch. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg." Das sieht das Sportministerium offensichtlich anders – und geht jetzt einen anderen Weg.

Sendung am Fr., 28.2.2025 18:40 Uhr, SWR1 Baden-Württemberg