Leichtathletik Der Olympiasieger mit der Zahnpasta-Affäre: Dieter Baumann wird 60
Sein Olympiasieg von 1992 ist legendär. Aus fast auswegloser Situation im 5000-Meter-Rennen kämpft sich Dieter Baumann im Schlussspurt zur Goldmedaille. Jetzt wird der Held von Barcelona 60.
Beim Zieleinlauf reißt er die Arme nach oben, direkt danach macht er auf der roten Tartan-Bahn in Barcelona eine rolle vorwärts und bleibt danach fast fassungslos auf dem Rücken liegen. Der größte Erfolg seiner Karriere ist jetzt 33 Jahre her. Dieser Tage fällt Dieter Baumann das Laufen nicht mehr so leicht. Man trifft ihn eher am Schreibtisch an. Die Achillessehne plagt ihn heftig. "Die lässt mich ganz schön hängen. Drama", sagt der 5.000-Meter-Olympiasieger und lacht: "Aber nein, es gibt schlimmere Dramen. Ich fahre bisschen Rad und warte auf den Tag, wo ich wieder traben kann – kein Problem."
Von der Marke 60 "berührt"
Ein Leben ohne Laufen - eigentlich unvorstellbar bei Baumann. Am Sonntag (9. Februar) feiert der Schwabe seinen 60. Geburtstag. Das macht ihn sichtlich nachdenklich. "Tatsächlich ist es schon eine Hausnummer. Ja, doch, ich würde schon sagen, dass diese Marke mich zum ersten Mal berührt. Bisher ist das alles so an mir vorbeigegangen, aber da merkt man: Hoppla, das ist etwas anderes." Warum, das wisse er auch nicht.
Zahnpasta-Affäre machte ihn berühmter als Olympiasieg
Populär bis heute ist Baumann nicht nur wegen seines Gold-Rennens damals in Barcelona, seiner vielen Titel und Rekorde und seiner unverwechselbaren unverblümten Art, sondern auch durch die berühmte, bis heute ungelöste Zahnpasta-Affäre. Ein positiver Dopingtest 1999 veränderte Baumanns Leben. Er, der Doping immer aufs Schärfste verurteilt und für sauberen Sport geworben hatte - selbst ein Doping-Sünder? Bei zwei Proben wird bei ihm der Wirkstoff Nandrolon, ein Muskelaufbau-Mittel, gefunden. Sport-Deutschland reagiert schockiert, Baumann selbst ist fassungslos, kann sich den Befund nicht erklären. Der Kölner Dopingfahnder Wilhelm Schänzer lässt das Haus des Läufers auf den Kopf stellen - es finden sich Spuren der Substanz 19-Norandrostendion. In einer Zahnpastatube. Und später in einer zweiten.
Bis heute keine Klarheit
Dieter Baumann sieht sich als Opfer einer Intrige, denn das Dopingmittel wurde in die Zahnpasta injiziert. Für ihn ein Beleg seiner Unschuld und dafür, dass ihm jemand einen Dopingfall anhängen will. Es folgen Anzeigen, Ermittlungen in beide Richtungen und schließlich spricht der Deutsche Leichtathletikverband Baumann vom Doping-Vorwurf frei. Ein Sieg für den Tübinger, der aber nicht lange währt: Der internationale Leichtathletikverband hebt den Freispruch aus Deutschland kurz vor den Olympischen Spielen in Sydney wieder auf. Dieter Baumann wird für zwei Jahre gesperrt. Seine Rekorde werden ihm aberkannt.
Nach Ablauf der Sperre holt Baumann in München zwar noch einmal EM-Silber, seine große Zeit ist aber vorbei. Am 8. September 2003 beendet er seine Karriere als Sportler und beginnt neu – als Kleinkünstler und Motivationstrainer.
Baumann selbst redet schon lange nicht mehr über die Zahnpasta-Affäre: "Alter Hut", sagt er heute.
Die Zahnpasta bleibt - als Lacher
Als Kabarettist, erzählte Baumann mal, habe er oft die Erfahrung gemacht: "Es ist verrückt: Ich muss nur 'Zahnpasta' sagen, und alles lacht." Vom Kabarett ist der frühere Leichtathletik-Star inzwischen fast ganz abgekommen nach den schwierigen Corona-Zeiten. "Ich habe so ein bisschen den Faden verloren. Ich bin unheimlich gerne auf der Bühne. Aber das alles noch mal neu zu starten, diese Energieleistung hatte ich nicht mehr." Sein neues Projekt will Baumann im Oktober präsentieren - ein Theaterstück nach der Novelle "Im Feld" von Joachim Zelter. Da wird er dann auf dem Rennrad - und nicht wie beim Kabarett auf dem Laufband - auf der Bühne auftreten.
Ohne große Ankündigung bei Dorfläufen
Ansonsten widmet sich Baumann - wenn ihn sein Fuß nicht plagt - seiner Lauf-Leidenschaft auf eine ebenso originelle wie originäre Art: Für ein Lauf-Magazin berichtet er als Teilnehmer von Dorfläufen. "Ich glaube, dass das die Basis von allem ist. Ohne Dorfläufe gäbe es den Berlin-Marathon nicht, weil jeder irgendwo anfängt." Der einstige Laufheld reist da unangekündigt an, füllt allenfalls einen Anmeldebogen aus. "Es ist total schön, total nett. Manchmal sind die Leute tatsächlich nicht sicher, ob ich das bin", erklärt Baumann. "Und manchmal, wenn ich mich vor Ort anmelde, dann dauert das gut 20 Minuten, bis dem Veranstalter klar ist, dass ich da bin. Diese Überraschung ist Teil meiner Geschichte, meines Schreibens."
Sehr witzige Begegnungen habe er dabei. Die Achillessehne "wird sich auch wieder erholen" Und sonst? Steckt Baumann als Vorsitzender der LAV Tübingen viel Energie in seinen Verein, wo auch seine Ehefrau Isabelle Trainerin ist. "Wir versuchen, das aufrechtzuerhalten, es macht uns Spaß." Und das Laufen? Die Achillessehne? "Ich mache eine Pause von zwei, drei Monaten. Die wird sich auch wieder erholen." Seinen 60. Geburtstag kann Dieter Baumann also entspannt genießen.
Sendung am So., 9.2.2025 15:00 Uhr, SWR Aktuell am Nachmittag, SWR Aktuell