Unions Niederlage in der Nachbetrachtung Zwischen Grundsatzproblemen und Hoffnungsschimmer: Unions Niederlage in der Nachbetrachtung
Union Berlin verliert auf St. Pauli auch das sechste Bundesliga-Auswärtsspiel in Folge. Viel bedenklicher scheinen allerdings die ganz grundsätzlichen Probleme, die diese Niederlage zu Tage fördert. Von Ilja Behnisch
Ist natürlich eine Typ-Frage, aber man konnte den Spielern des 1. FC Union Berlin während und nach dem 0:3 beim FC St. Pauli schon auch dankbar sein. Denn so überschaubar die Leistung der Mannschaft war, so sehr ließ sie Raum für große Fragen. Zum Beispiel: Warum klebt Alleskleber alles aber nicht am Inneren der Tube fest? Wenn Superman so super ist, warum ist er dann nicht auch super lustig? Und: Wer soll beim 1. FC Union Berlin eigentlich die Tore schießen?
"Gefühlt hätten wir noch eine Stunde spielen können, ohne ein Tor zu schießen", sagte Steffen Baumgart nach dem Spiel und wer wäre man, einem Bundesliga-Trainer zu widersprechen? Wobei man gern auch noch erfahren hätte, wie er denn ein Tor hätte erzielen wollen. So grundsätzlich. Denn wirklich ersichtlich war der offensive Ansatz der Berliner nicht geworden beim Gastspiel in Hamburg.
Was nützt die Liebe in Gedanken?
Nun ist ja bekannt, dass Baumgart seine Teams gern über die Außen angreifen lässt, damit es von dort dann Flanken regnet, die ein Zielspieler wie Unions Jordan anschließend einzuschädeln hat. Um an dieser Stelle nicht auszuufern und vor allem um die mittlerweile bereits in Gedanken lähmende Diskussion über Dreierkette (passt zum Kader) oder Viererkette (passt zu Baumgarts Idee) nicht erneut zu bemühen, sei verkürzt notiert: Das mit den Flanken klappte nicht so recht auf St. Pauli. 16 waren es in 90 plus vier Minuten. Sieben kamen an. Gefährlich war keine einzige.
Auch das führte dazu, dass für Stürmer Jordan - sie erinnern sich, der, der einschädeln soll - nach Ende der ersten Halbzeit folgender Arbeitsnachweis notiert worden war: Zwölf Ballkontakte, null Toraktionen. Wobei man sich schon fragen durfte, wann diese zwölf Ballkontakte denn bitte passiert sein sollen. Und trotzdem gab es ihn, den großen Moment des US-Amerikaners. Kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit.
Das Jordan-Problem
Als Jordan - bezeichnenderweise nicht nach einer Flanke - die große Chance zum Ausgleich hatte, aber gefühlt eine Sekunde zu lange zögerte mit seinem Abschluss. Es war, als ginge ihm die ganze Welt zugleich durch den Kopf. Wie stehe ich zur erneuten Amtseinführung von Donald Trump? Mag ich Pastinaken? Und wie lange genau habe ich eigentlich kein Bundesligator mehr geschossen? 337 Tage, lautet die Antwort. Am 24. Februar, als Leih-Spieler in Diensten von Borussia Mönchengladbach und zum mittelmäßig wichtigen 4:1 gegen den VfL Bochum (Endstand 5:2).
Jordan ist kein schlechter Stürmer und bringt vieles mit, was es bräuchte für das Spiel von Union, für das Spiel von Steffen Baumgart - vielleicht sogar für das Spiel von Steffen Baumgart und Union. Aber ob es nun Pech ist oder seelischer Ballast, am Ende fällt einem angesichts der anhaltenden Torlosigkeit Jordans ein deutscher Filmtitel aus dem Jahr 2004 ein: "Was nützt die Liebe in Gedanken?"
Viel zu viel Stückwerk
Weshalb sich beim Spiel auf St. Pauli einmal mehr zeigte, was sich schon viel zu oft gezeigt hatte in dieser Saison, denn fern jeder Theorie heißt der praktische Offensiv-Plan Unions ganz schlicht und einfach: Benedict Hollerbach.
Und man könnte ja wunderbar ins Schwärmen geraten über diesen 1,81 Meter großen Wuschelkopf, der auf dem Platz eher kleiner wirkt, dafür aber auch, als wäre er überall zugleich. Man könnte darüber schwärmen, wie er unermüdlich die Gegner stresst und anläuft, wie famos er diesen kantigen Körper in andere Körper stellt, um an den Ball zu kommen. Wie auffällig häufig er dann auch tatsächlich an den Ball kommt. Wie gestenreich er jede Aktion lebt. Wie er sich pusht, seine Mitspieler pusht. Kurzum: Wie dieser Benedict Hollerbach alles richtig macht, was nichts mit Talent zu tun hat. Denn das ist ein großes Problem für den 1. FC Union Berlin: Dem einzigen offensiven Lebenszeichen dieser Mannschaft ist noch immer anzusehen, dass es im Sommer 2023 aus der dritten Liga nach Berlin wechselte.
Nun ist die offensive Begrenzung nicht das einzige Problem dieser Mannschaft. Die Abwehr lässt Lücken, wo in den ersten Bundesliga-Jahren Betonpfeiler verankert schienen. Das defensive Mittelfeld hatte auch gegen St. Pauli momentweise weniger Zugriff als Teenager-Eltern auf ihren Nachwuchs. Torhüter Schwolow sah beim zweiten Gegentor gar nicht und beim dritten Gegentor nicht sonderlich gut aus. Und zu allem Überfluss begann die Mannschaft sich Mitte der zweiten Halbzeit wieder ein Stückwerk zu verzetteln.
Das heißt nicht, dass sie es nicht versucht hätten. Das schon. Doch dieses alte Union-Gefühl aus seligen Urs-Fischer-Tagen, dieses Gefühl, einer Mannschaft zuzusehen, die auch bei 0:3-Rückstand (als wenn das jemals vorgekommen wäre) und in der 89. Minuten noch geschlossen und unvermittelt selbstgewiss über den eigenen Angang an einen Erfolg glaubt - dieses Gefühl ist lang vergangen.
Aber es gibt auch gute Nachrichten. Zum Beispiel die, dass Union-Spiele neuerdings Raum für große Fragen lassen. Wie zum Beispiel diese: Kann es wirklich sein, dass Union allein deshalb nicht absteigt, weil es noch viel schlechtere Mannschaften gibt?
Sendung: rbb24, 26.01.2025, 22:15 Uhr