Interview | Ruben Gerczikow über Antisemitismus Interview | Ruben Gerczikow: "Fußball ist ein Brennglas der Gesellschaft"
Der Autor Ruben Gerczikow ist Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Er beschäftigt sich mit antisemitischen Strukturen - auch im Fußball. Warum es ihn nicht erstaunt, dass Antisemitismus unter Fußballfans verbreitet ist, erzählt er im Interview.
rbb: Der 27. Januar ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Was bedeutet dieser Tag für Sie?
Ruben Gerczikow: Die Erinnerung an die Schoah, den Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, ist für mich nicht an einen besonderen Tag gekoppelt. Der Tag prägt mich mein ganzes Leben und ist daher eigentlich 365 Tage präsent.
Für mich persönlich ist das daher erstmal ein Tag wie jeder andere, mit dem Unterschied, dass mehr Aufmerksamkeit auf den Verbrechen des Nationalsozialismus liegt.
Sie sind Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Inwiefern hat das Ihr Leben geprägt?
Ich wusste schon früh, dass es Menschen gibt, die mich aufgrund meiner Identität tot sehen möchten. Es hat mich aber auch in dem Sinne geprägt, dass ich mich nicht unterkriegen lassen möchte und aktiv gegen Antisemitismus und rechtes Gedankengut vorgehen will.
Meine Familiengeschichte hat demnach ein wenig meinen Lebensweg mitbestimmt: vom ersten antisemitischen Vorfall bis zur ersten Morddrohung. Ich habe unter anderem von Grauen Wölfen, von türkischen Rechtsextremen, Munitionskugeln per Screenshot auf Instagram geschickt bekommen.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Bedrohungen und eben auch Morddrohungen gehören leider dazu, wenn man sich mit Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus in jeder Form auseinandersetzt. Es ist kein schönes Gefühl, aber ich glaube, man sollte sich auch nicht verunsichern lassen. Wenn ich mein Leben deshalb einschränke, dann haben diejenigen, die meine Existenz infrage stellen, gewonnen. Das will und kann ich nicht zulassen.
Was wussten Sie schon als Kind über das Schicksal ihrer Großmutter?
Als Kind wusste ich wenig. Ich wusste, dass sie die Schoah überlebt hat. Sie war in Polen im Ghetto, wo sie von einem Nazi angegriffen worden ist und daraufhin ihr Augenlicht verloren hat. Ich erinnere mich noch an ihr Glasauge. Ich wusste auch, dass sie kurz vor ihrem sicheren Tod von einer kommunistischen Organisation aus dem Ghetto befreit worden ist und den Krieg und die Schoah in den Wäldern Polens überlebt hat.
Wie ist es für Sie, als Jude in Deutschland zu leben?
Für mich ist es ein Auftrag, jüdische Lebensrealitäten in all ihrer Vielfalt aufzuzeigen. Es ist wichtig, Juden und Jüdinnen als aktiven Teil dieser Gesellschaft darzustellen und nicht nur über Antisemitismus zu definieren. Gleichermaßen können jüdische Lebensrealitäten nicht ohne Antisemitismus erzählt werden.
Sie befassen sich in Ihrer Arbeit als Autor mit antisemitischen Vorfällen im Fußball. Welche Rolle spielt dieser Sport für Sie?
Fußball hat mich sehr geprägt. Gerade die Spielzeiten bei dem jüdischen Fußballverein Makkabi Frankfurt haben mich empowert – trotz antisemitischer Vorfälle.
Mit Antisemitismus wurde ich das erste Mal in meinem Leben bei Makkabi Frankfurt konfrontiert. Das Wappen des Vereins ist angelehnt an den Davidstern und in einer Spielpause kam damals ein Gegenspieler zu mir und fragte mich, ob wir Juden eigentlich Adolf Hitler mögen.
Viele weitere solcher Vorfälle folgten im Laufe der Jahre. Ich wollte mich aber nicht verstecken und habe aktiv Widerrede gehalten. Das führte dazu, dass ich auch einige Male mit verbaler und physischer Auseinandersetzung konfrontiert gewesen bin.
Nichtsdestotrotz, Fußball ist für mich eigentlich sehr, sehr viel. Es ist Leidenschaft, es ist Freundschaft, es ist aber auch Eskapismus.
Was glauben Sie, warum Antisemitismus unter Fußballfans so weit verbreitet ist?
Fußball ist ein Brennglas der Gesellschaft. Probleme, die in der Gesellschaft auftreten, werden im Fußball häufig noch deutlicher sichtbar, weil man vielleicht das Gefühl hat, dass man sich dort so äußern kann, wie es im normalen Alltag nicht möglich ist. Es ist für mich nicht verwunderlich, dass es Antisemitismus im Fußball gibt, wenn laut Umfragen circa 25 Prozent der Deutschen antisemitischen Stereotypen zustimmen würden.
Makkabi Berlin spielt seit dem 7. Oktober 2023 mit Polizeischutz. Welche Gedanken haben Sie dazu?
Das ist krass und es wirkt wahrscheinlich für Außenstehende noch krasser, aber das ist jüdische Lebensrealität in Deutschland. Jüdische Schulen haben Polizeischutz, haben Panzerglas statt normalem Glas und zusätzlich zum Feueralarm gibt es Terrorismusübungen. Daher ist das für mich persönlich eine Normalität, die niemals normal sein sollte. Das gilt eben auch für jüdische Sportvereine.
Gibt es im Fußball Maßnahmen gegen Antisemitismus?
Es gibt seit einigen Jahren dezidiert Programme gegen Antisemitismus im Fußball. Dazu gehören auch Aktionen für das Gedenken an von den Nazis ermordeten jüdische Vereinsmitglieder, die an vielen Stellen von Fanszenen organisiert oder initiiert worden sind. Ich denke, dass es hilft, vor allem in der Jugend die Spieler:innen zu sensibilisieren und dass es Identifikationen schaffen kann, indem man zeigt, welche Verbindungen Juden und Jüdinnen mit dem eigenen Verein hatten.
Was glauben Sie wird mit dem Gedenken an die Gräueltaten der Nazis geschehen, wenn die AfD weiter an Einfluss in der deutschen Politik gewinnt?
Ich befürchte den massiven Abbau von Geldern in Bezug auf die Erinnerungskultur, auf Gedenkstätten, aber auch den Kampf gegen Antisemitismus im Allgemeinen. Ebenso den Abbau demokratischer Strukturen, so wie wir das auch in anderen europäischen Ländern gesehen haben und immer noch sehen.
Es ist ein Schlag ins Gesicht von Überlebenden und ihren Nachfahren, wenn eine rechtsextreme Partei einen Wahlerfolg nach dem anderen feiern kann und es sich aktiv auch gegen die Erinnerungskultur in Deutschland stellt.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Petra Dorrmann für rbbKultur – das Magazin.
Sendung: rbbKultur, 25.01.2025, 18:30 Uhr