
Faszination Klettersport Zahlreiche neue Hallen und Mitglieder: Wie Berlin zum Boulder-Hotspot wurde
Kaum ein Breitensport ist in den letzten Jahren so rasant gewachsen wie das Bouldern. Während in Berlin stetig neue Kletterhallen eröffnen und den Trend bedienen wollen, sorgen sich kleinere Betreiber bereits um ihre Existenz. Von Fabian Friedmann
Unscheinbar liegt die Einfahrt direkt neben dem Neuköllner Finanzamt. Die Eingangstür ist übersät mit Aufklebern, von drinnen strömt dezente Musik aus den Boxen. Dort ziehen sich einige Kletterer gerade die Wände hoch, suchen nach dem richtigen Griff oder hängen Seile in klickende Karabiner. Die Boulder- und Kletterhalle in der Thiemannstraße ist an einem frühen Dienstagnachmittag in Berlin gut beuscht.
Seit 2017 wird sie mit Außenanlage, Trainingsbereich und Kinderareal als "Bouldergarten" betrieben. Der Standort hat dabei eine längere Tradition, schon vorher gab es hier mit der "T-Hall" eine der ältesten Kletterhallen Berlins.

Konstantes Level seit der Pandemie
Ein stark erhöhtes Kundenaufkommen konnte er vor allem in den ersten drei Jahren nach der Neueröffnung beobachten, sagt der "Bouldergarten"-Gründer und -Geschäftsführer Leonardo Mendez Lenk: "Wir sind jetzt wieder da, wo wir vor der Pandemie waren – auf einem konstanten Level", sagt er mit Blick auf die Corona-Zeit.
Dass nicht noch mehr Kletterer zu sehen sind, hat zwei einfache Gründe: Abends ist mehr los - und es herrscht zunehmender Wettbewerb. Zuletzt eröffnete in Friedrichshain eine neue Boulderhalle, eine weitere soll entstehen. Große Ketten strömen auf den Markt und wollen den Boom für sich nutzen. Berlin ist laut Fachleuten zum Hotspot der europäischen Boulder-Szene geworden.
500.000 aktive Boulderer in Deutschland
In den 1990er Jahren begann die rasante Entwicklung des Boulderns. 2025 ist die Begeisterung auf einem Allzeithoch. Der Deutsche Alpenverein (DAV) schätzt, dass es circa 500.000 aktive Boulderer in Deutschland gibt. Das sind knapp 200.000 mehr als noch vor zwei Jahren. Waren es im Jahr 1990 noch 20 Kletterhallen bundesweit, so sind es heute 580. Laut DAV kommen pro Jahr noch immer etwa 20 neue Hallen hinzu. Allein in Berlin gibt es 39 Anlagen, zehn davon befinden sich in großen Hallen.
Einfacher Einstieg, schnelle Resultate
Will man dem Boulder-Trend auf den Grund gehen, dann ist der einfache Einstieg sicher ein Teil der Antwort. Anfänger brauchen nicht viel: Kletterschuhe, die zumeist vor Ort ausgeliehen werden können, Erwachsene ein bisschen Chalk (Magnesiumcarbonat) für den besseren Grip an den Händen, sportliche Kleidung – dann kann es losgehen. Warum viele dem Bouldern danach treu bleiben? "Der Körper gibt einem sofort positive Rückmeldung. Aktivierung und Leistungssteigerung kommen schnell", sagt Anton Boschmann.
Boschmann ist Leistungssportreferent und sogenannter Routenschrauber für den DAV. Seine Berliner Sektion ist nach dem 1. FC Union und Hertha BSC zum drittgrößten Sportverein in der Hauptstadt aufgestiegen. 19.000 Mitglieder zählte man noch im Jahr 2020, mittlerweile sind es mehr als 28.000. Der allgemeine Trend zu Outdoor-Sportarten lässt die Mitgliederzahlen des DAV in die Höhe schnellen, aber auch der Boulder-Hype trägt dazu bei.
Der DAV betreibt selbst das "Kletterzentrum" in Berlin-Moabit – mit Wettkampfwand, Boulder- und Outdoor-Bereich. Beim Alpenverein hat man den zunehmenden Wettbewerb ebenfalls bemerkt: "Es reicht nicht mehr, nur eine Halle zu mieten und Griffe an die Wand zu schrauben", sagt Boschmann, der wöchentlich in der DAV-Halle an den Routen arbeitet. Alle vier bis sechs Monate werden sie komplett neu gesetzt.
Moderne Medien, große Griffe, regelmäßig neue Routen
Die zunehmende Konkurrenz, aber auch die Ansprüche der verwöhnten Kundschaft erfordert von den Hallenbetreibern verstärkt neue, kreative Angebote. "Wir schrauben zweimal in der Woche die Routen um", sagt Mendez Lenk vom "Bouldergarten". Dazu schaltet er entsprechende Videos und Ankündigungen in den Sozialen Medien. Auch den Trend zu neueren, größeren Griffen muss er mitgehen. "Als Halle, die das nicht anbietet, kannst du nicht mehr überleben", sagt er.
Um ihr Überleben zu sichern, haben die kleineren Hallen begonnen, sich zu vernetzen. Zusammen mit zwei anderen Betreibern ist der "Bouldergarten" eine Kooperation eingegangen. Anfang Juni findet ein Community-Wettkampf statt. In jeder der drei Hallen wird es 30 Boulder geben, die Kunden haben dann drei Wochen Zeit die Routen zu erklettern. In einer App können die Ergebnisse eingetragen werden, es gibt ein permanentes Ranking und am Ende folgt ein großes Finale. "Wir wollen uns als Bereicherung sehen und nicht als Konkurrenz", sagt Mendez Lenk.

Der große Player "Urban Apes"
Ortswechsel nach Friedrichshain. In den Lagerhallen des ehemaligen "Böhmischen Brauhauses", da in der DDR als großes Weinlager genutzt wurde, hat auf einer Fläche von 3.200 Quadratmetern Grundfläche im September 2024 die größte reine Boulderhalle Berlins eröffnet: das "Urban Apes Fhain". Das Unternehmen ist einer der namhaftesten Player auf dem deutschen Klettermarkt. 17 Standorte gibt es in Deutschland, drei davon liegen in Berlin. Eine vierte, neue Location ist für den Sommer im Wedding geplant.
Das unterirdische, denkmalgeschützte Gebäude in Friedrichshain erinnert teilweise an einen Club, passend dazu gab es zuletzt ein Night-Boulder-Event mit DJ-Musik. Neben unzähligen Bouldern erwarten die Kunden auch vielfältige Trainingsmöglichkeiten. Dazu werden Kurse für Anfänger, Fortgeschrittene, aber auch für Kinder ab sechs Jahren angeboten. Ohnehin scheint Bouldern als Wochenendausflug für Familien immer größere Bedeutung zu erlangen, sagt Sarah Wetzel, die Betriebsleiterin von "Urban Apes Fhain".
Für die 26-Jährige ist der Boulder-Trend in der Hauptstadt ungebrochen: "Kurz nach Neujahr mussten wir an einem Tag sogar einen Einlassstopp verhängen", erzählt sie. Die Halle sei bereits voll gewesen, aber die Schlange reichte immer noch bis auf die Straße. Wetzel geht davon aus, dass die Boulder-Community weiterwächst, für sie hat das vor allem mit dem sozialen Aspekt des Sports zu tun.
Wenn ich an der Wand hänge, dann sind die Alltagsprobleme nicht mehr präsent.
Eine Gemeinschaft als Safe Space
Grundsätzlich ist das Bouldern zwar eine Individualsportart, aber in den Hallen ist zu beobachten, dass kaum jemand den Sport allein ausübt. Züge werden unter Freundinnen diskutiert, Sportler feuern sich an und sichern sich ("spotten") bei schweren Routen ab. "Dieser Community-Gedanke macht das Bouldern aus", sagt Wetzel. "Für viele ist das hier auch eine Art Safe Space."
Dorthin haben sich auch Lina und Nina begeben. Die jungen Frauen aus Friedrichshain sind noch nicht allzu lange dabei, beide haben Höhenangst, weshalb das Seilklettern in großen Höhen für sie nicht in Frage kommt. Was macht die Faszination des alternativen Kletter-Sports für sie aus? "Wenn ich an der Wand hänge, dann sind die Alltagsprobleme nicht mehr präsent", sagt Lina. Außerdem sei die Körperwahrnehmung beim Bouldern eine andere. Man müsse zuerst nachdenken und sich dann überwinden. Sarah Wetzel sieht das ähnlich: "Hat man erfolgreich einen Boulder geschafft und springt von der Wand, dann gehört das definitiv zu den tollsten Gefühlen."
Hier liegt auch der Vorteil des Boulderns als Work-Out-Option gegenüber Hanteln und Laufband im Fitnessstudio. Es ist ein Sport, der gleichermaßen den Kopf und den Körper anspricht. Neben Kraft und Koordination erfordert er auch eine kreative Problemlösung, um die Routen zu schaffen. Egal auf welchem Level man sich bewegt, es wird nie langweilig.

Zukünftige Verdrängungsmechanismen?
Dass Unternehmen wie "Urban Apes" kleinere Hallen künftig verdrängen werden, glaubt Sarah Wetzel nicht. Sicher gebe es Wettbewerb, aber am Ende "haben wir ganz unterschiedliche Alleinstellungsmerkmale", sagt sie. Leonardo Mendez Lenk vom "Bouldergarten" teilt diese Meinung nicht: "Es wird eine Art von Verdrängung geben. Man sieht schon jetzt, dass die Entwicklung an kleineren Stätten abflacht, wo es auch erste Schließungen gab."
Dass Berlin durch seine Vielzahl an Hallen immer weiter an Attraktivität gewinnt, ist unbestritten. Zuletzt nutzten die Boulder-Nationalkader aus Schweden und der Schweiz die Stadt für ihre Trainingslager. In keiner anderen europäischen Metropole hätte man in den Hallen eine solche Routenvielfalt wie hier, sagt Mendez Lenk. Der Boom scheint also erst mal weiterzugehen – bislang mit einem positiven Miteinander.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.04.2025, 12:15 Uhr