Hertha gewinnt glücklich in Paderborn Hertha gewinnt glücklich in Paderborn: Ein Sieg, auf dem sich nicht aufbauen lässt
Hertha gewinnt beim direkten Konkurrenten aus Paderborn, feiert einen erfolgreichen Rückrundenauftakt und bleibt tabellarisch im Aufstiegsrennen. Alles gut, also? Nein, denn die Leistung der Berliner muss Sorgen bereiten. Von Marc Schwitzky
"Gegen das Motto 'Verlieren verboten' habe ich absolut nichts einzuwenden. Wir wissen, wie die Situation ist, in die wir uns in der Hinrunde gebracht haben", sagte Cristian Fiél, Trainer von Hertha BSC, vor dem Rückrundenauftakt in Paderborn. "Was mich optimistisch stimmt, ist die Arbeit, die die Jungs verrichtet haben. […] Das müssen wir am Sonntag auf dem Platz zeigen und das muss der Startschuss sein, die jetzige Situation in den nächsten 17 Spielen zu verändern."
Einerseits wird die Mannschaft das erreicht haben, was Fiél von ihr gefordert hat: einen Sieg. Mit dem psychologisch so wichtigen 2:1-Auswärtserfolg beim SC Paderborn sind die Berliner bestens in die Rückrunde gestartet – und das gegen einen direkten Konkurrenten. Hertha trennen nach 18 Spieltagen nur sechs Punkte von den ersten drei Tabellenplätzen, es steht alles für eine Aufholjagd in der zweiten Saisonhälfte bereit. "Die drei Punkte geben dir Vertrauen", so Fiél.
Und doch wirkte das blau-weiße Fanlager nach dem Sieg nicht gerade euphorisiert. Denn etwas, das Übungsleiter Fiél wohl ebenfalls eingefordert haben wird, hat das Team nicht erfüllt: eine spielerische Weiterentwicklung. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Hauptstädter überaus glücklich drei Punkte aus Paderborn stibitzt haben. So befindet sich Hertha nun in einer schwierigen Gemengelage. Wie muss dieses Spiel bewertet werden?
Es müssen ja nur die Verletzten zurückkommen…
In jedem Fall hat die Partie am Sonntagmittag mit einer Mär aufgeräumt, der auch die Verantwortlichen Herthas in der Winterpause etwas aufgelegen sind – nahezu gebetsmühlenartig betonten sie, dass die Rückrunde allein dadurch besser als die ernüchternde Hinrunde wird, weil so viele verletzte Spieler zurückkehren werden.
Zwar machte sich das lange Fehlen von Spielern wie Fabian Reese zweifelsohne bemerkbar, doch der Spielbogen in Paderborn machte klar, dass trotz einiger Rückkehrer eben nicht auszuschließen ist, dass auch weiterhin wichtige Akteure ausfallen können. So mussten Torhüter Tjark Ernst und (mal wieder) Mittelfeldchef Diego Demme kurzfristig passen.
Sicherlich ein ärgerlicher Umstand für Fiél, doch eben die Realität eines Trainers. Irgendwer wird immer fehlen, ob kurz- oder längerfristig. Die Kunst ist es, trotzdem seinen Fußball auf das Feld zu bekommen. Es reicht also nicht, einfach nur zu hoffen, dass die Rückkehrer die Mannschaft automatisch auf eine neue Stufe heben und man anschließend ohne weitere Verletzungsprobleme durch die Saison segelt.
Es bleibt bei Ansätzen
Ohne Ernst und Demme fing Hertha recht nervös an. "Man hat in der ein oder anderen Situation Unsicherheiten gemerkt", diagnostizierte Fiél. So wäre nach fünf Minute beinahe das erste Gegentor gefallen, das in seiner Slapstick-Manier an die schwachen Defensivauftritte der Hinrunde erinnerte, aufgrund einer knappen Abseitssituation aber doch noch zurückgenommen wurde.
Anschließend war Hertha die spielerisch etwas zwingendere Mannschaft. Den Berlinern gelang es immer wieder gut, Linksaußen Derry Scherhant in Szene zu setzen und ins direkte Dribbling zu bringen. Wie auch in der 15. Minute, als der 22-Jährige in die Tiefe geschickt wurde, mit einem Schlenker nach innen am Gegenspieler vorbeikam und mit einem Schlenzer der Marke Weltklasse das 1:0 erzielte. Eine herausragende Einzelaktion, aber eben nur eine Einzelaktion.
Denn darüber hinaus gelang den Blau-Weißen nach vorne nur wenig. Mittelstürmer Florian Niederlechner wurde kaum eingebunden, Mittelfeldkünstler Ibrahim Maza dribbelte sich immer wieder fest und das Dreieck auf der rechten Seite aus Jonjoe Kenny, Michael Cuisance und Palko Dardai ließ viel Präzision vermissen. So kam das Angriffsspiel – wie schon oftmals in der Hinserie – nicht über die berühmten Ansätze hinaus.
Eine spielerische Weiterentwicklung war nicht zu erkennen, es hakte an denselben Stellen wie immer. Auch im Aufbauspiel wirkte es nicht so, als ob Hertha im Trainingslager an neuen Varianten, das Spiel auszulösen, gearbeitet habe, sodass ein hohes Attackieren Paderborns immer wieder zu frühen Ballverlusten und ungenauen Bällen nach vorne führte.
Eine zweite Halbzeit zum Vergessen
Besonders aber im zweiten Durchgang machte sich das Fehlen eines effektiven Übergangsspiel aus geordnetem Ballbesitz heraus bemerkbar. Kurzum: Hertha kam eigentlich nicht mehr aus der eigenen Hälfte heraus. Die technischen Limitierungen von Spielern wie Toni Leistner oder Deyovaisio Zeefuik wie auch die fehlende Bewegung der zentralen Mittelfeldspieler abseits des Balles machten Herthas Spiel überaus statisch. So fehlten Durchschlagskraft nach vorne und somit entlastende Momente.
Paderborn wurde dadurch immer präsenter, Hertha immer passiver – auch weil es dem Berliner Trainerteam nicht gelingt, ohne Routinier Demme den eigenen Sechserraum gut zu besetzen. Hier kann sich der Gegner meist frei bewegen und Druck aufbauen, da eigentlich offensiv ausgerichtete Spieler wie Sessa, Cuisance und Maza die Position selten halten und die entscheidenden Wege in die Tiefe nicht mitgehen. Ein Problem aus der Hinrunde, für das Fiél scheinbar weiterhin keine Lösung, Sportdirektor Benjamin Weber bislang aber auch keine wirklich brauchbare personelle Alternative zu Demme findet.
Nur mit Glück und erneut Unterschiedsspieler Scherhant gelang es Hertha, in der 69. Minute per Foul-Elfmeter das 2:0 zu erzielen und so einen Puffer für die letzten Minuten zu schaffen. Den braucht es auch, denn in den letzten 20 Minuten spielte nur noch Paderborn. Es wurde zu einer Abwehrschlacht, in der unzählige Berliner Beine, Köpfe und auch der Pfosten dazu beitrugen, dass der SCP kurz vor Schluss nur noch zum 1:2-Anschlusstreffer, aber nicht mehr zum eigentlich verdienten Ausgleichstreffer kam. Hertha brachte das Ergebnis und die zweite Halbzeit zum Vergessen irgendwie über die Zeit.
Was ist dieser Sieg wert?
"Es freut mich für die Jungs. In der Kabine sieht man endlich mal wieder Freude", sagte Trainer Fiél nach dem Spiel. Zwar ist die Bedeutung des Auswärtserfolg nicht hoch genug einzuschätzen, doch die Frage ist, was nach diesem Auftritt außer drei wichtigen Punkten wirklich bleibt. Die Ansätze in Herthas Spiel blieben trotz einer ausgiebigen Schärfung im Wintertrainingslager weiterhin Ansätze, die Probleme – vor allem die Passivität nach Führungen – blieben ebenfalls dieselben. Im zweiten Durchgang verabschiedete sich die Mannschaft nahezu komplett von den Prinzipien ihres Trainers: Dominanz, Spielkontrolle, spielerische Lösungen, mutiges Gegenpressing, viele Bewegung und Positionswechsel mit Ball.
Stattdessen erstarrte Hertha bei dem leichtesten Gegnerdruck und vergaß das, was die Mannschaft eigentlich ausmachen soll – wofür Trainer Fiél ja gerade geholt wurde. So ergab sich am 18. Spieltag ein Bild, das im Vergleich zum 1. Spieltag gegen Paderborn kaum besser aussah. Dass Hertha das zweite Aufeinandertreffen gewonnen hat, lag nicht an einem Entwicklungssprung, sondern an individuellen Momenten und Glück – Faktoren, die im Fußball immer eine Rolle spielen werden, von denen sich Hertha mit Fiél aber unabhängiger machen wollte. Eben das war ein Grund, sich von Pal Dardai zu trennen, doch viel weiter ist Hertha in seiner Spielanlage in einigen Spielen nicht gekommen.
Was bleibt also von einem Sieg, wenn die beiden eigenen Tore nicht aus struktureller Trainingsarbeit entstehen und der Gegner am Ende (ohne einen Elfmeter) einen mehr als doppelt so hohen Expected-Goals-Wert aufweisen kann? Kann die Mannschaft wirklich darauf aufbauen? Wird der Sieg zum Brustlöser? Das werden nur die kommenden Spiele beantworten können. Mit dem Hamburger SV steht die nächste schwere Prüfung bereits an.
Sendung: rbb UM6, 19.01.24, 18 Uhr