Interview zur Studie Neue Studie: Welchen Raum Rechtsextremismus im Sport einnimmt
Der Sport als Plattform für extreme Rechte: Eine aktuelle Studie zeigt, wie tief die Strukturen reichen, was sich im letzten Jahrzehnt verändert hat und warum der Fokus nicht nur auf dem Fußball liegen sollte.
rbb|24: Vor 15 Jahren wurde erstmals die Studie "Rechtsextremismus im Sport" durchgeführt. Was hat sich seitdem verändert?
Robert Claus: Erstens sind die sozialen Medien viel wichtiger geworden. Der ganze digitale Raum ist seit 2009 sehr stark gewachsen. Das heißt, die Selbstrepräsentation, die Werbung und die Inszenierung von extrem rechten Akteuren hat sich auch in Bezug auf Sport weitestgehend in die sozialen Medien verlagert.
Außerdem sind einige Sportarten größer und bekannter geworden. Ich denke da vor allem an Mixed Martial Arts aus dem Kampfsport-Bereich.
Und drittens hat sich die extrem rechte Szenerie verändert. Die AfD wurde 2013 gegründet und ist seither für extrem rechte Akteure das wichtigste Projekt der letzten zwölf Jahre.
Darüber hinaus hat sich der Sportdiskurs weiterentwickelt. Heute positionieren sich deutlich mehr Sportverbände zu den Themen Vielfalt, Antidiskriminierung und auch Rechtsextremismus, als das 2009 der Fall war.
Wenn Sie eine Entwicklung beschreiben müssten: Ist der Sport heute gefährdeter oder hat er bessere Strukturen, um Rechtsextremismus entgegenzuwirken?
Gegenmaßnahmen und Präventionsstrategien waren nicht Kern unserer Studie und die Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. In Deutschland haben wir zwei große Sportfelder. Das eine ist der traditionelle Vereinssport mit den Mitgliedsverbänden der Landessportbünde. Parallel dazu haben wir einen gewachsenen kommerziellen Sportmarkt von Anbietern, die nicht gemeinnützig sind. In beiden Feldern finden wir die Bandbreite von Organisationen, die sich aktiv zum Thema positionieren und Prävention betreiben und solchen, die das bislang nicht tun.
Wenn es um Rechtsextremismus im Sport geht, sind vor allem Strukturen im Fußball bekannt. Auch die bisherige Forschung konzentriert sich vor allem auf den Fußball. Müssen wir den Blick erweitern?
Ganz klare Antwort: Ja. Auch in anderen Sportarten gibt es rechtsextreme, diskriminierende und rassistische Vorfälle und Strukturen. Leider aber erfassen viele Sportverbände diese Vorfälle bis heute nicht systematisch.
Fußball spielt in der extremen Rechten weiter eine große Rolle. Viele Rechtsextreme, gerade Männer, sind in ihrer eigenen Biografie Fußballfans und aktive Fußballer gewesen. Außerdem ist Fußball der bekannteste Sport. Er ist politisch interessant, weil man dort viele Menschen erreicht und rekrutieren kann.
Gleichzeitig verändert sich das Verhältnis von Rechtsextremen zum Fußball langsam. Denn der DFB betreibt diverse Vielfaltsmaßnahmen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die deutsche Herren-Nationalmannschaft heute sehr migrationsgeprägt ist. Das sorgt eher für Entfremdungstendenzen in der extremen Rechten. Sie sind zwar weiter Fußballfans, aber stehen dem Verband und der DFB-Elf viel kritischer gegenüber.
Wo wird Rechtsextremismus im Sport noch besonders sichtbar?
Neben Fußball sind das insbesondere der Kampfsport und im kleineren Maße der Schießsport. Auch Darts spielt eine größere Rolle als sehr zugängliche Sportart im sozialen Nahraum.
Kampfsport nimmt in unserer Studie den größten Raum ein, weil er in extrem rechten Quellen mit Abstand den größten Raum einnimmt. Zur Einordnung von Kampfsport ist folgendes wichtig: Kampfsport kann auf der Potenzialseite für Gewaltprävention genutzt werden, um Menschen den Umgang mit Körpern, Stärke und Schwäche sowie Grenzen zu vermitteln. Er kann auf der Risikoseite aber auch dazu genutzt werden, um sich für Gewalt und politische Straftaten aufzurüsten. Und das wird in extrem rechten Medien stark diskutiert.
Kampfsport wird in der extremen Rechten nicht primär betrieben, um einen Wettbewerb zu gewinnen oder sich physisch besser zu fühlen. Es wird argumentiert, dass man sich in politisch widrigen Zeiten befände und man sich für einen politischen Kampf aufrüsten müsse. Das geht so weit, dass in einigen Quellen dazu aufgerufen wird, Kampfsport zu nutzen, um sich auf einen politischen Umsturz vorzubereiten. Hierfür betreiben extrem rechte Organisationen eigene Kampfsportangebote. Die Ziele dieses Sports liegen jedoch weit außerhalb des Sports.
In der Studie nennen Sie auch den Outdoor-Survival-Sport als potenziell gefährdet. Der hat durch YouTube-Formate wie "7 vs. Wild" oder "Arctic Warrior" vor allem bei jüngeren Menschen deutlich an Popularität gewonnen. Warum ist Outdoor-Survival für Rechtsextreme interessant?
Auch hier muss man vorab sagen, dass natürlich nicht alle Outdoor-Survival-Fans oder Teilnehmer extrem rechts sind. Von solchen pauschalen Urteilen sind wir fern. Was wir aber sehen, ist, dass sich Outdoor-Survival-Aktivitäten, insbesondere Hindernisläufe bei Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreuen. So nimmt ein Team jährlich bei einem Anbieter aus Berlin an solchen Läufen teil.
Wo besteht die Verbindung in die rechtsextreme Szene?
Es sind zwei Dinge. Erstens, agieren Rechtsextreme gegen die liberale Demokratie, in der wir leben und wollen diese zum Umsturz bringen. In der Forschung gibt es den Begriff des Akzelerationismus. Das heißt, der Fall unseres politischen Systems soll beschleunigt werden. Denn Rechtsextreme wollen eine ganz andere Art von Staat und Bevölkerung. Und mit Outdoor-Survival-Tätigkeiten kann man sich auf so eine Umsturzsituation – auf eine Situation ohne Strom, Wasser und medizinische Versorgung – vorbereiten. Es mag für Außenstehende vielleicht ein bisschen wirr klingen, aber in extrem rechter Ideologie ist das durchaus fest verankert.
Und der zweite Aspekt ist, dass Outdoor-Survival auch militärisch inszeniert und gelesen werden kann. Mehrere Rechtsextreme haben in den sozialen Medien in den letzten Jahren Fotos von solchen Läufen geteilt, auf denen sie durch Matsch unter Stacheldraht langrobben, versehen mit Hashtags kriegerischer Begriffe.
Es gibt hier also sowohl ideologisch als auch in der Inszenierung konkreter Sporttätigkeiten Anknüpfungspunkte. Umso wichtiger wäre es eigentlich, dass sich auch Anbieter von Outdoor-Survival-Aktivitäten kritisch mit dem Thema auseinandersetzen und sich klar gegen Rechtsextremismus positionieren.
Abschließend: Wie kann der Sport als sozialer Raum geschützt werden?
Das Gegenteil von Rechtsextremismus im Sport ist nicht ein Sport ohne Rechtsextremismus, sondern ein Sport der Vielfalt und der Inklusion. Konkret geht es meines Erachtens um mehrere Ebenen und Arbeitsfelder.
Erstens um die deutliche Klärung der eigenen Werte. Wofür steht eine Sportart? Steht man für Vielfalt, Teilhabe und Inklusion oder steht man für Ausgrenzung und kriegerische Inszenierungen? Es braucht zweitens also eine klare öffentliche Positionierung zu dem Thema. Es braucht Netzwerkarbeit mit Beratungsinstitutionen, um einen konstanten Informationsaustausch zu haben. Und es braucht eine Sensibilisierung im eigenen Verband, damit alle dort rechtsextreme Phänomene erkennen, entsprechend handeln und Betroffene von Diskriminierung entlang deren Wünsche unterstützen.
Letztlich können wir – wie gesagt – wirksame Strategien gegen Rechtsextremismus nur zusammen mit struktureller Förderung von Vielfalt denken. Denn durch die soziale, kulturelle und politische Teilhabe möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen trägt der Sport zu einem gelingenden Gemeinwesen bei.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 19.01.2025, 21:45 Uhr