Die Spieler von Hertha BSC sind nach der Niederlage in Elversberg konsterniert. (Foto: IMAGO / Fussball-News Saarland)

Kommentar zu Herthas 0:4-Debakel in Elversberg Hertha-Debakel in Elversberg: Eine Mannschaft, die nichts verstanden hat

Stand: 02.03.2025 17:35 Uhr

Hertha BSC hat nach dem 0:4-Debakel gegen Elversberg einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der Abstieg in die 3. Liga ist mittlerweile ein realistisches Szenario und wäre die gerechte Strafe für eine Mannschaft, die regelmäßig ihren Beruf verfehlt. Ein Kommentar von Marc Schwitzky

Debakel, Blamage, Fehlleistung, Totalausfall – die deutsche Sprache kennt viele Worte, die den Horror-Auftritt von Hertha BSC bei der 0:4-Niederlage gegen die SV Elversberg beschreiben. Sie alle werden aber wohl nicht das Gefühl treffen können, dass die zum Spiel mitgereisten Hertha-Fans während und nach dem Spiel fühlten.
 
1.600 Fans haben die Mannschaft ins 700 Kilometer entfernte Elversberg begleitet; ihr Wochenende geopfert, Geld ausgegeben. Sie machten bis zum 0:3-Zwischenstand beste Stimmung, schrien und sangen sich die Kehle für ihren Verein und ihre Mannschaft aus dem Leib. Es sind die Treuesten der Treuen. Sie haben nach solch einem Tag keine Häme verdient, nur ehrliches Mitleid - die schlimmste aller Währungen im Fußball.

Herthas Spieler können es nicht fassen: Linus Gechter und Pascal Klemens halten sich die Hand vors Gesicht. Quelle: imago images/Fussball-News Saarland
Debakel in Elversberg: Hertha BSC rutscht tiefer in den Tabellenkeller
Die Abstiegsgefahr bei Hertha BSC wird immer größer. Nach einer heftigen Pleite bei der SV Elversberg steht die Leitl-Elf nur noch vier Punkte vor dem Relegationsplatz. Im Saarland lagen die Berliner zur Halbzeit bereits mit 0:4 hinten.mehr

Einer der schlechtesten Halbzeiten der jüngeren Vereinsgeschichte

Schmähgesänge hätte am ehesten die Mannschaft der "alten Dame" verdient, die sich in Elversberg von Beginn an vollständig aufgab und in den ersten 45 Minuten einer der schlechtesten Halbzeiten der jüngeren Vereinsgeschichte spielte – womöglich sogar der gesamten Historie, denn es fehlt die Vorstellungskraft dafür, wie es hätte schlechter aussehen können.
 
Bereits nach der ersten Halbzeit stand es 0:4 – ein dramatischer Klassenunterschied. Vergleiche mit beispielsweise einer Schülermannschaft verbieten sich, da diese sich wenigstens Mühe gegeben hätten. Hertha ließ sämtlichen Mut und Fleiß aus dem Debüt unter Trainer Stefan Leitl gegen Nürnberg vermissen, als es gelang, einer der formstärksten Teams der 2. Bundesliga durch großen Kampfeswillen und defensive Disziplin den Schneid abzukaufen.
 
Stattdessen präsentierten sich die Blau-Weißen erschreckend. Taktische Disziplin, Engagement, gegenseitige Unterstützung, Kommunikation, eine gesunde Galligkeit im Zweikampf – die absoluten Grundattribute, die ihnen Leitl eine Woche zuvor noch einimpfen konnte, waren weg. Eine vernichtende Zahl: Hertha lief gegen die Saarländer rund acht Kilometer weniger als noch gegen Nürnberg – das ist die Laufleistung von beinahe einem kompletten Spieler, die ihnen am Sonntagmittag fehlte.

Vom eigenen Wunschfußball vorgeführt

Während die Berliner nervös und kopflos dilettantisch über den Platz stolperten, sah Gegner Elversberg wie die Vollendung des Fußballs aus, den Hertha unter Ex-Coach Cristian Fiél so krampfhaft etablieren wollte. Sie gleiteten dank klarer Abläufe spielerisch gefällig durch die Berliner Reihen.
 
Dass das mit einem Bruchteil des Etats von Hertha möglich ist und die SVE tabellarisch dort steht, wo sich Hertha vor Saisonbeginn wähnte, ist bereits eine herbe Niederlage als solche. Dass Hertha in beiden Aufeinandertreffen der laufenden Spielzeit von genau jenem Fußball in einer erschreckenden Weise hergespielt wurde, ebenfalls. Hertha wirkte hilflos, brockte sich die nicht mehr aufzuhaltende Eigendynamik einer Auswärtspleite jedoch durch fehlenden Eifer und mangelnde Konzentration selbst ein.
 
So ergab sich ein Auftritt, der regelrecht respektlos daherkam – gegenüber dem Verein als auch allen Fans, vor allem den mitgereisten. Er zeichnet eine Mannschaft, die nichts verstanden hat: nicht, für welch großen Traditionsverein mit knapp 60.000 Mitgliedern sie spielt; nicht, welche Grundtugenden es im Fußball braucht, um Spiele zu gewinnen; nicht, das Talent allein nicht ausreicht; und erst recht nicht, was die Stunde sportlich geschlagen hat.

Herthas Torhüter Dennis Smarsch im Training. (Foto: IMAGO / Metodi Popow)
Der Torhüter, der nicht spielen soll – und trotzdem glücklich ist
Dennis Smarsch gehörte zum "goldenen" 1999er Jahrgang der Jugend von Hertha BSC. Die große Karriere blieb dem Berliner jedoch bis heute verwehrt. Seit 2024 ist Smarsch als "Trainingstorhüter" zurück bei Hertha – ohne Spielzeit, aber mit Freude. Von Marc Schwitzkymehr

Es ist schlicht unerklärlich, dass eine Mannschaft, die gegen Nürnberg noch einen ordentlichen Auftritt hinlegte und nun ein Momentum unter dem neuen Trainer entwickeln müsste, innerhalb einer Woche alles vergisst und einen völlig blutleeren Auftritt hinlegt. Hertha BSC hat eine Mannschaft, bei der keinerlei eigentliche Gesetzmäßigkeiten des Fußballs greifen. Es strotzt regelrecht vor Überheblichkeit, wenn Herthas Spieler nach nur einem (nicht mehr als) ordentlichen Spiel gegen Nürnberg glauben, dass sie gegen das "kleine" Elversberg nicht erneut an die Schmerzgrenze gehen müssten

Kein Trainerproblem

Hertha hat fünf der letzten sechs Ligaspiele verloren, in der Zeit nur einen Punkt geholt und nur ein Tor erzielt, dafür aber zwölf kassiert. Das 0:4 gegen Elversberg war die höchste Zweitliga-Niederlage seit 45 Jahren. Mit 26 Punkten aus 24 Spielen sind die Blau-Weißen in der 2. Liga so schlecht wie zuletzt 1985/86. Derzeit sind es nur noch vier Zähler Abstand auf Relegationsrang 16.
 
Hertha taumelt der 3. Liga entgegen – bei einem Abstieg wäre es auch denkbar, dass der Verein aufgrund wirtschaftlicher Bedingungen direkt in der Regionalliga starten müsste. Unzählige Mitarbeitende würden ihren Job verlieren, Hertha womöglich in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Nichts anderes ist die aktuelle Realität.
 
Dass es so weit kommen konnte, hat vielerlei Ursachen und tieferlegende strukturelle Gründe, kann in erster Linie aber mit einer dysfunktionalen Mannschaft erklärt werden. Zwar strotzt der Berliner Kader vor Talent und tollen Einzelkönnern, sie mag menschlich auch nicht mehr so katastrophal zersplittert sein wie noch in den letzten Erstligajahren, doch mental stabil war sie in den letzten eineinhalb Saisons nahezu nie.
 
Es hat sich keine felsenfeste Achse gefunden, der es gelingt, die Auftritte auf einem Mindestniveau zu halten. Es gleicht völligem Zufall, ob Hertha mit der nötigen Mentalität in ein Spiel geht, den Plan des Trainerteams umsetzt oder aber vogelwild ohne jegliche Sicherheitssysteme in die nächste Blamage rennt. Hier wäre es völlig unangebracht, den Spielern keine gehörige Eigenverantwortung zuzurechnen.

Der Blick nach unten und oben

Zwar bleibt es eine wohl unumstößliche Wahrheit, dass es mit Vorgänger Fiél aufgrund der ausbleibenden Ergebnisse nicht weitergehen konnte, doch dass die Mannschaft ihren Wankelmut seit nun drei Trainern nicht ablegen kann, zeigt, dass Herthas Probleme tiefer liegen als nur im Traineramt. Eine Mannschaft, die nicht nur in beiden Spielen gegen Elversberg ihren Beruf verfehlt, sondern auch gegen Münster, Ulm, Regensburg und auch dem ein oder anderen glücklichen Sieg, zeigt, dass sie vor allem ein Problem mit sich selbst hat. Es fehlt eine grundsätzliche angemessene Haltung zur Leistungskultur, dem ständigen Bestätigen positiver Auftritte und der nötigen Resilienz in Liga zwei.
 
"Wer es vorher nicht verstanden hat, versteht es spätestens jetzt", sagte Fabian Reese nach dem 0:4 in Bezug darauf, dass es für Hertha nur noch um den Klassenerhalt geht. Man will ihm gerne glauben, doch aufgrund der immer wiederkehrenden Totalausfälle der Mannschaft, fällt es schwer. Vor der anstehenden Länderspielpause spielen die Blau-Weißen mit Schalke 04 und Eintracht Braunschweig gegen die direkte Konkurrenz - die "Wochen der Wahrheit", wie sie Reese nennt. Es würde positiv verwundern, wenn die Hertha-Mannschaft die bislang scheinbar feststehende Wahrheit umschreiben würde, dass sie verstanden hätte, worum es nun geht.

Aber eine Wahrheit würde selbst in diesem Fall stehen bleiben: Der Kader, der einst die Erstligarückkehr bescheren sollte, für Zweitligaverhältnisse überaus viel Geld kostet und nun am Rande der 3. Liga wankt, wurde von einer sportlichen Führung zusammengestellt, die aufgrund einer fehlgeleiteten Harmoniebedürftigkeit ohne große Opposition und durch die Kompetenzabwanderung der letzten Jahre ohne klares sportliches Korrektiv im Verein handeln darf. Sportlich geht der Blick nach unten, doch strukturell muss er noch oben gerichtet werden. Denn selbst wenn der Klassenerhalt gelingt, bleibt die Saison 2024/25 ein ähnlicher Totalausfall wie Herthas Darbietung in Elversberg.

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