
Interview mit Hertha-Star Fabian Reese: "Gibt nicht nur Geld und Erfolge als Währung"
Zum Retter auserkoren kehrte Fabian Reese im Januar nach langer Verletzungspause in eine krisengeplagte Hertha-Mannschaft zurück. Einen Monat später spricht er über diese Krise, Erstliga-Träume und die Balance zwischen Fan-Nähe und Druck.
rbb|24: Fabian Reese, Sie waren monatelang verletzt und wurden bei Hertha BSC sehnlichst vermisst. Wie geht es Ihnen vier Wochen nach dem Comeback?
Fabian Reese: Es ist gerade eine absolut schwierige Phase für den ganzen Verein und für uns als Mannschaft. Ich persönlich bin einfach glücklich, weitestgehend schmerzfrei zu sein und über 90 Minuten spielen zu können. Aber natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass wir in den letzten Wochen mehr Siege geholt hätten. Wir haben sicherlich eine sehr turbulente Zeit hinter uns.
rbb|24: Lassen Sie uns noch etwas früher anfangen, mit Ihrem ersten Hertha-Jahr: der überragende Mann, 13 Tore und 21 Vorlagen. Regelmäßig der beste Spieler, dazu Fan-Liebling. Da war alles drin, oder?
Fabian Reese: Ja, auf jeden Fall. Ein Traum-Jahr. Trotzdem war das auch ein sehr herausforderndes Jahr, in dem man als junger Mensch realisieren und genau einordnen musste, was da alles um einen herum passiert. Aber das Jahr war lebensverändernd und dafür bin ich sehr dankbar.
rbb|24: Dann kam die Vorbereitung zur zweiten Saison, sie verletzten sich am Sprunggelenk und alles war anders. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie im Testspiel bei Energie Cottbus auf dem Rasen saßen?
Fabian Reese: Puh, ich wusste in dem Moment schon, dass es ein bisschen mehr als eine Prellung ist. Aber dass es so schlimm ausgeht, habe ich in dem Moment nicht erwartet. Sehr bitter, ein sehr langer Leidensweg – da kann ich in Zukunft drauf verzichten.
rbb|24: Wären Sie aus Berlin weggegangen, hätte es diese Verletzung nicht gegeben?
Fabian Reese: Ich habe damals schon gesagt, dass ich mir Dinge anhören werde, aber auch nur Dinge tun werde, die exponentiell größer, besser und sportlich attraktiver sind. Ich hatte auch während der Verletzung noch die Chance, mich sportlich zu verändern. Ich weiß aber, was ich hier habe, und bin mir sehr bewusst, dass es einzigartig ist, was ich hier um mich herum erlebe.
rbb|24: Während Sie blieben, wurden Top-Torjäger Haris Tabakovic und Abwehrchef Marc Oliver Kempf verkauft. Hertha brauchte das Geld, aber die Saison lief zum Zeitpunkt der Abschiede bereits. Was hat das mit der Mannschaft gemacht?
Fabian Reese: Haris hatte uns 30 Tore geschenkt und "Kempfi" war gerade in der Luft wirklich ein absolutes Monster. Dazu war ich lange verletzt und die Spieler, die wir verpflichtet haben, brauchten ihre Zeit. Wir hatten auch noch einen neuen Trainer mit einer neuen Spielidee. Natürlich gab es auch dadurch einen Umbruch, der immer ein Risiko birgt und leider nicht den Erfolg mit sich brachte, den wir uns erwartet haben.
rbb|24: Sie sind während Ihrer langen Verletzungspause nur gelegentlich abseits des Platzes in Erscheinung getreten. Zum Beispiel bei einem Sommerspaziergang durch den Lietzenseepark mit Hunderten Ihrer Instagram-Follower. Was bedeutet Ihnen so etwas?
Fabian Reese: Das war ein sehr besonderer Moment, den ich vermutlich nie vergessen werde. Eigentlich eine Schnapsidee. Ich dachte mir: Schauen wir mal, ob da der eine oder andere vorbeikommt. Nach diesem sehr turbulenten Sommer wollte ich einfach mal die Leute kennenlernen, die uns von der Tribüne aus supporten, die einem Nachrichten und Genesungswünsche schreiben und mit einem fühlen. Ein Stück weit selbst einen Schritt auf die Fans zuzugehen. Ich bin froh, dass das damals so geklappt hat.
rbb|24: Grundsätzlich muss man als populärer Fußballer ja die Frage stellen: Inwiefern lasse ich so etwas zu und die Fans an mich heran? Wie ist das bei Ihnen allgemein, wenn Sie in Berlin unterwegs sind?
Fabian Reese: Das ist ein bisschen Stadtteil-bedingt. Im Westen werde ich schon ab und zu angesprochen oder nach einem Foto gefragt. Während der Verletzung wurde ich auch immer wieder gefragt, wann ich endlich zurückkomme. Damit musste ich lernen umzugehen. Ich bin da aber sehr dankbar für, auch weil 95 Prozent der Leute sehr freundlich und positiv sind.
rbb|24: Vor Ihrer Rückkehr Ende Januar mussten sie von außen zusehen, wie Hertha als schlechteste Heim-Mannschaft der 2. Bundesliga ins Tabellenmittelfeld und die Krise abrutschte. Wie haben Sie das erlebt?
Fabian Reese: Es tat brutal weh. Du fühlst dich machtlos und verstehst auf einmal auch die Perspektive der Fans komplett. Dieses große Hoffen gepaart mit großer Hilflosigkeit. Wir sind alle mit größeren Zielen angetreten, aber befinden uns gerade in einer ganz anderen Realität. Wir müssen jetzt die Moral haben, hart zu arbeiten, gute Entscheidungen zu treffen und einen Schritt nach dem anderen zu machen. Das ist uns in den letzten Monaten nicht immer gelungen.
rbb|24: Die letzten Wochen wurde sich dann in der Öffentlichkeit zunehmend auf den mittlerweile entlassenen Trainer eingeschossen. Ging es einfach nicht mehr mit Cristian Fiél weiter?
Fabian Reese: Ich glaube, das sind Automatismen, die im Fußball irgendwann greifen. Nichts ersetzt Siege, diese Floskel wurde irgendwann immer passender. Wir waren auch am Ende oft nah dran, ein Spiel auf unsere Seite zu ziehen, haben aber trotzdem vier Spiele in Serie verloren. Man kann aber ein Team innerhalb einer Saison nicht einfach austauschen. Da ist der Trainer im Fußball die einzige Position und deswegen irgendwie auch die "ärmste Sau". Es ist aber nicht so, dass wir Spieler gesagt haben: "Wir können mit Cristian Fiél nicht mehr arbeiten." Er hat auch bis zum letzten Tag alles gegeben. Leider hat er – mit uns zusammen – nicht die richtigen Ergebnisse geliefert.
rbb|24: Sie galten vor Ihrer Rückkehr unter vielen Fans als eine Art Heilsbringer, der alleine die Wende einleiten könnte. Inwiefern haben Sie deswegen Druck empfunden?
Fabian Reese: In den siebeneinhalb Monaten, die ich gefehlt habe, hat sich schon viel Druck aufgebaut – natürlich spürt man das. Einerseits ist es ein Privileg, dass die Leute einem das zutrauen. Andererseits soll man direkt wieder abliefern und dieser zeitliche Kredit, schrittweise wieder reinkommen zu dürfen, wird kleiner. Es ist ein bisschen ein hoch und runter: Manchmal beflügelt es einen, manchmal spürst du den Druck. Aber ich bin ja auch dafür da, unter Druck abzuliefern, und aktuell beflügelt es mich eher.
rbb|24: Wie sehr beflügelt Sie der neue Trainer Stefan Leitl?
Fabian Reese: Ich komme mit den meisten Trainern recht gut klar, aber mit Stefan ist es besonders, weil ich schon mal mit ihm gearbeitet habe [in der Saison 2018/19 in Fürth; Anm. d. Red.]. Meistens verliert man sich im Fußball danach irgendwie aus den Augen. Stefan und ich haben unseren Kontakt über fünfeinhalb Jahre aufrechterhalten. Eigentlich war unser Ziel, dass wir uns irgendwann in der Bundesliga wiedertreffen. Jetzt sind wir hier bei Hertha und ich bin einfach froh, wieder mit ihm zu arbeiten. Er ist ein herausragender Trainer, ein Top-Mensch und ein akribischer Arbeiter.
rbb|24: Elf Spiele vor Saisonende haben Sie fünf Punkte Vorsprung auf den unteren Relegationsplatz. Was geht in dieser neuen Konstellation mit Trainer Leitl noch?
Fabian Reese: Spiele gewinnen, ganz klar. Wir brauchen nicht auf die Tabelle zu schauen und jeder Konjunktiv ist jetzt fehl am Platz. Wir werden diese Saison nicht mehr aufsteigen. Es geht jetzt um die Art und Weise, wie wir spielen. Was sind wir bereit zu geben, um Spiele zu gewinnen? Es geht jetzt darum, die Fahne auf der Brust mit Stolz zu tragen und zu repräsentieren.
rbb|24: Persönlich ist Ihr großes Ziel die Bundesliga. Hertha wird auch ich kommenden Sommer möglichst viel Geld einnehmen müssen. Was muss passieren, damit Sie trotz alledem auch kommende Saison in Berlin spielen?
Fabian Reese: Ich hätte ja auch schon vergangenen Sommer den Schritt in die Bundesliga machen können. Aber manchmal verschieben sich Ziele im Leben und du wiegst ab, was wie viel wert ist. Es gibt ja nicht nur das Geld und Erfolge in der Bundesliga als Währung, sondern auch viele weiche Faktoren. Letzten Sommer habe ich mich für einen Verbleib entschieden, diesen Sommer müssen wir das neu bewerten. Aktuell kann ich nur sagen: Ich habe große Freude an der Stadt Berlin und daran, jeden Tag bei Hertha trainieren und spielen zu dürfen. Ich liebe diesen Verein heiß und innig – das ist keine Floskel, sondern wirklich so. Alles Weitere ist Zukunftsmusik.
rbb|24: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dennis Wiese, rbb Sport.