Francy Rädelt aus Frankfurt (Oder) Ein Ringen mit den Gegnerinnen und sich selbst
Ringerin Francy Rädelt aus Frankfurt (Oder) will und kann in die Fußstapfen von Olympiasiegerin Aline Rotter-Focken treten. Bei den Europameisterschaften will sie das zeigen - und hat dafür an ihrem größten Manko gearbeitet. Von Thomas Juschus
Es ist der 2. August 2021, der das deutsche Frauen-Ringen verändert. Aline Rotter-Focken aus Krefeld gewinnt im letzten Kampf ihrer Karriere bei den Olympischen Spielen in Tokio überraschend die Goldmedaille im Schwergewicht gegen die US-Amerikanerin Adeline Gray. "Es sind Erinnerungen für das ganze Leben, Gefühle, die man nie vergisst", sagt Rotter-Focken heute.
Francy Rädelt hat diesen Tag ebenfalls nicht vergessen. Zusammen mit Vereins- und Trainingskollegen schaut die heute 26-Jährige aus Frankfurt (Oder) damals den Kampf im Fernsehen. "Es war einfach ein Gänsehautmoment", erinnert sich Rädelt an den historischen Erfolg ihrer langjährigen Rivalin.
Rotter-Focken machte anschließend mit ihrem Rücktritt den Weg frei für Rädelt. Als neue deutsche Nummer eins in der Gewichtsklasse bis 76 Kilogramm will sie sich nun im nächsten Jahr ihren eigenen Olympia-Traum erfüllen.
Europameisterschaft als Standortbestimmung
Eine wichtige Möglichkeit der Standortbestimmung bieten die Freistil-Europameisterschaften, die am kommenden Montag (17. April) in Zagreb beginnen. Bei ihrer Elite-Premiere bei der EM vor einem Jahr in Budapest unterlag Rädelt Lokalmatadorin Bernadett Nagy und hatte keine Chance mehr auf eine Medaille. Bei den Weltmeisterschaften im Herbst 2022 in Belgrad kam dann das Aus im Achtelfinale des Wettbewerbs.
Nach der intensiven Vorbereitung zusammen mit Trainer Michael Kothe soll es in diesem Jahr besser laufen. Dabei liegt der Fokus schon ganz klar auf der Qualifikation für Paris. Bei den Weltmeisterschaften im September, die - wie schon 2022 - wegen des russischen Angriffkrieges auf die Ukraine statt in Krasnojarsk in Belgrad stattfindet, werden die ersten fünf Plätze vergeben. Bei zwei weiteren Turnieren im Frühjahr 2024 werden die restlichen der insgesamt 16 Startplätze im Schwergewicht für Paris 2024 verteilt. Und da will Rädelt unbedingt dabei sein.
Gesichtet schon im Kinderhort
Seit frühesten Kindertagen dreht sich im Leben von Francy Rädelt alles um den Ringersport, seit 2016 ist sie zudem mit dem ehemaligen Ringer Erik Weiß liiert. 2003 wurde sie im Kinderhort damals von Talentspähern ihres Heimatsvereins RSV Hansa 90 Frankfurt (Oder) gesichtet und für den Sport begeistert. Es folgte eine klassische Leistungssportkarriere.
"Ringen ist so vielseitig. Nur Gewichte stemmen war nie meine Sache", sagt Rädelt. In der Kadetten- und Juniorinnen-Klasse sammelte sie zahlreiche Medaillen ein - auch international. 2015 legte sie an der Sportschule in Frankfurt (Oder) ihr Abitur ab, anschließend studierte sie erfolgreich auf Lehramt Deutsch und Sport; 2022 unterrichtete sie für ein halbes Jahr in Frankfurt (Oder) an der Grundschule "Am Botanischen Garten" - manchmal sogar nach einem Wettkampf-Wochenende mit einem blauen Auge.
Viele Jahre kombinierte Rädelt immer Leistungssport und berufliches Fortkommen. "Die Belastung war sehr hoch. Deshalb habe ich mich vom Schuldienst befreien lassen, möchte aber später in den Schuldienst zurück", sagt Rädelt. Für Paris 2024 kann sie dank der Unterstützung durch eine Sportförderstelle im Brandenburger Ministerium für Jugend, Bildung und Sport komplett auf die Karte Sport setzen. "Ich habe immer Sport und Studium zusammen gemacht. Mein Traum ist die Olympia-Teilnahme - und für diesen Traum möchte ich nochmals alles geben und alles versuchen - danach sehe ich weiter", sagt Rädelt.
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Manchmal fehlt das Selbstvertrauen
Die nötigen Voraussetzungen, um sich auch international durchzusetzen, bringt Francy Rädelt mit. Kraft und Kondition sowie Schnelligkeit und Techniken sind vorhanden. Ihre schärfste Waffe ist der sogenannte doppelte Bein-Angriff. Größtes Manko ist bislang ihre Psyche. "Mir fehlt manchmal das Selbstvertrauen", sagt Francy Rädelt selbstkritisch. Mit Hilfe einer Sport-Psychologin vom Olympiastützpunkt Brandenburg hat sie aber auch in den vergangenen Wochen an ihrem Mindset gearbeitet. "Das hat mir sehr viel Kraft gegeben", so Rädelt.
Auch Olympiasiegerin Aline Rotter-Focken sieht hier bei ihrer ehemaligen Rivalin und heutigen Freundin ("Francy ist eine ganz tolle Seele mit einem positiven Charakter") ebenfalls die größten Entwicklungsmöglichkeiten. "Natürlich gibt es auch immer Dinge im taktisch-technischen Bereich zu verbessern oder in der Physis Ressourcen. Ihre größte Baustelle ist aber der Glaube an sich selbst, an das eigene Leistungsvermögen und das dann abzurufen. Das ist leider sehr schwierig zu trainieren", sagt Rotter-Focken. Und die Olympiasiegerin von 2021 ergänzt: "Ich wünsche Francy von Herzen, dass sie sich ihren Traum erfüllen kann. Olympia ist so wertvoll und besonders."