Radsport Lennard Kämna - "Olympia wäre ein Traum für mich"
Das historische Triple hat Lennard Kämna gerade erst geschafft. Doch der 27-Jährige vom Team Bora-Hansgrohe ist hungrig auf weitere große Erfolge in der nächsten Saison.
Lennard Kämna war in diesem Jahr richtig gut in Fahrt. Der 27 Jahre alte Radprofi aus Fischerhude bei Bremen fuhr beachtliche Erfolge und Ergebnisse ein.
Zeitweise war Kämna sogar Kapitän von seinem Team Bora-Hansgrohe. Doch als Helfer gelang ihm vor drei Wochen sein historischer Coup: Mit einem Etappensieg bei der spanischen Vuelta wurde Kämna einer von nur sieben deutschen Radprofis, die bei den drei großen Rundfahrten jeweils eine Etappe gewinnen konnten.
"Riesen-Ehre, ein Stück Radsport-Geschichte zu schreiben"
Beim Giro d’Italia hatte Kämna vor einem Jahr triumphiert, vor drei Jahren gelang ihm bei der Tour de France sein bislang größter Erfolg, als er auf der 16. Etappe in den Alpen nach Villard-de-Lans der Konkurrenz davon fuhr.
Wie er diese Saison erlebt hat, warum er sich zwischen Kapitäns- und Helferrolle gar nicht entscheiden möchte und warum er mit gemischten Gefühlen auf die Olympischen Spiele schaut, erzählt Kämna im Interview mit buten un binnen.
Der Fischerhuder Lennard Kämna blickt im Sportblitz auf seine Erfolgssaison zurück.
Lennard Kämna, haben Sie eigentlich schon realisiert, zu welcher Radsport-Riege Sie jetzt gehören?
Ich freue mich natürlich riesig, ein Stück Radsport-Geschichte geschrieben zu haben. Unter diesen Namen zu sein ist für mich eine Riesen-Ehre und eine große Auszeichnung. Darüber bin ich sehr glücklich.
Was löst das jetzt bei Ihnen aus – noch mehr Siegeswillen oder eher Gelassenheit?
Es gibt mir auf jeden Fall ein Stück Ruhe, dass ich einen kleinen Meilenstein in meiner Karriere erreichen konnte. Das ist absolut nicht alltäglich. Aber es macht mich auch hungrig für die nächsten Jahre, noch mehr Etappen zu gewinnen, und gibt mir eine Riesen-Motivation.
Sie hatten vor zwei Jahren eine schwierigere Zeit, haben eine lange Pause gemacht und danach gesagt, Sie wollen es sich nochmal beweisen. Inwieweit haben Sie das jetzt erfüllt?
Ich glaube, ich bin sehr gut aus dieser Pause damals zurückgekommen und konnte auch zeigen, dass ich wieder Radrennen gewinnen kann. Das war für mich ein riesiges Ziel, aber ich wollte mir auch beweisen, dass ich weiterhin in der Lage bin, Top-Sport zu machen. Ich glaube auch, dass meine Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist und bin mir sicher, dass ich noch etwas im Köcher habe für die nächsten Jahre.
Kommen wir noch einmal zur Vuelta: Ärgern Sie sich eigentlich? Sie hätten ja zwei Etappensiege holen können, wenn Sie nicht gestürzt wären.
Ja, ich bin volles Risiko eingegangen. Und ich habe einfach probiert, die Etappe auf Biegen und Brechen zu gewinnen. Es hat dann am Ende nicht funktioniert. Ich muss schon zugeben, die Nacht danach war hart. Ich habe nicht besonders gut geschlafen, weil ich mich schon geärgert habe. Aber im Nachhinein muss ich sagen: Es war alles oder nichts und am Ende werde ich Zweiter, was auch kein schlechtes Ergebnis ist. Wirklich ärgern tue ich mich mittlerweile nicht mehr.
Die Saison neigt sich dem Ende zu – was ziehen Sie für ein Fazit?
Ich hatte an sich eine sehr gute Saison. Ich hätte mir aber schon vorstellen können, die ein oder andere gute Platzierung mehr zu haben. Aber nach dem Giro d’Italia war bei mir ein kleiner Hänger drin. Gesundheitlich und körperlich lief da nicht besonders viel und es hat lange gedauert, bis ich zur Vuelta wieder in absolute Topform gekommen bin. Im Großen und Ganzen bin ich aber sehr zufrieden.
Lennard Kämna ging beim Giro d'Italia als Kapitän vom Team Bora-Hansgrohe an den Start.
Sie waren auch in unterschiedlichen Rollen unterwegs – beim Giro als Team-Kapitän, bei der Vuelta wieder als Helfer und Etappenjäger. Ist die Kapitänsrolle nichts für Sie?
Doch, es hat mir durchaus Spaß gemacht, den Giro aufs Gesamtklassement zu fahren. Aber es war für mich auch direkt klar, dass ich in diesem Jahr keine zweite Grand Tour als Kapitän fahren möchte. Es ist einfach eine komplett andere Herangehensweise und auch körperlich nicht leicht, es bei zwei großen Touren in einem Jahr zu machen. Daher wollte ich bei der Vuelta wieder in meine alte Rolle schlüpfen und Etappen gewinnen. Und ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen. Fürs nächste Jahr kann ich mir so eine Doppelrolle durchaus wieder vorstellen.
Würden Sie denn sagen, dass Ihnen diese Freiheit im Feld etwas mehr liegt als die Kapitänsrolle?
Ich denke, dass meine größte Stärke die Fluchtgruppen sind. Ich habe ein sehr gutes Auge für Rennsituationen und taktische Entscheidungen. Ich denke aber trotzdem, dass das Thema Gesamtklassement für mich noch nicht abgeschlossen ist. Das möchte ich noch weiter verfolgen. Da liegen auch noch ein paar Körner auf der Straße, die ich aufheben kann, um noch erfolgreicher zu werden.
Also wollen Sie sich für die Zukunft noch nicht festlegen?
Ich denke, ich bin ein Grand-Tour-Fahrer, die Dreiwochen-Rundfahrten liegen mir sehr gut und ich kann mir vorstellen, in den nächsten Jahren immer um die zwei Stück pro Jahr zu fahren. Und diese dann mit der Doppelrolle, das ist absolut möglich.
2020 feierte Lennard Kämna bei der Tour de France seinen bisher größten Erfolg.
Fahren Sie denn im nächsten Jahr bei der Tour de France mit?
Ja, ich will auf jeden Fall die Tour de France fahren. Ob ich dann noch eine zweite Grand Tour mitfahre, muss ich noch sehen.
2024 ist ja auch noch Olympia – passt das für Sie rein?
Olympia ist schwierig, denn der Kurs ist nicht hundertprozentig gut für mich, weil es ein komplett flacher Kurs ist. Ich würde gerne das Zeitfahren fahren und möchte mich dafür qualifizieren. Olympia wäre schon ein Traum für mich.
Sie fahren noch ein paar Eintagesrennen, dann ist ab Mitte Oktober Pause. Wie verbringen Sie Ihren Urlaub? Lassen Sie das Rad auch mal stehen?
Natürlich gehe ich auch in meiner Pause jeden Tag aufs Rad – nein, Quatsch. Ich mache einen Monat gar nichts und werde mit Freunden mal eine Woche wegfahren und viel Zeit mit meiner Freundin verbringen. Ich versuche, mir eine entspannte Zeit zu machen, die Saison war sehr anstrengend. Ich werde die Füße hochlegen.
Das Interview wurde von Niko Schleicher geführt, aufgezeichnet hat es Petra Philippsen.
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Sportblitz, 22. September 2023, 18:06 Uhr