Segeln News-Blog Vendée Globe: Der Countdown läuft für Boris Herrmann und Co.
Am Sonntag startet in Les Sables-d'Olonne die 10. Auflage der Vendée Globe. Der Hamburger Boris Herrmann zählt mit der Malizia - Seaexplorer bei seiner zweiten Teilnahme zu den Favoriten. Alle News und Hintergründe zur Solo-Weltumseglung im Live-Blog des NDR.
"Im Tunnel" - Boris Herrmann blendet den Trubel aus
"Ich bin definitiv in einem mentalen Tunnel", sagt Boris Herrmann kurz vor dem Start seiner zweiten Vendee Globe. Den großen Trubel im Hafen von Les Sables d'Olonne blendet der 43-Jährige für sich völlig aus und kapselt sich auch von seinen Kontrahenten ab. "Ich habe überhaupt keinen Kontakt zu den anderen", so der fünfmalige Weltumsegler: "Aus der Distanz winkt man mal, aber ich habe mich mit keinem Skipper unterhalten." Zu fokussiert ist er bei seinen letzten Vorbereitungen auf die riesengroße Herausforderung.
Da ist was los: Segel-Fans im Race Village von Les Sables d'Olonne.
Wer ist der Top-Favorit, wo steht Boris Herrmann?
Der französische Weltranglisten-Erste Charlie Dalin (Macif Santé Prévoyance) gilt für viele als Top-Favorit auf den Sieg. Nicht aber für Boris Herrmann. "Er hat ein Boot, das im Atlantik sehr schnell sein wird, er dürfte als Erster im Südpolarmeer ankommen", prognostiziert er. Dalins Schiff funktioniert bei flachem Wasser und stabilen Windverhältnissen perfekt, aber wird es rauer, könnte es anders aussehen. Dann schlägt die Stunde der aufs Südpolarmeer ausgelegten Schiffe. Wie die von Yoann Richomme (Paprec Arkéa) und Thomas Ruyant (Vulnerable) - und von Herrmanns Malizia - Seaexplorer.
Dalin, der vor vier Jahren als Erster die Ziellinie überquert hatte, dann aber seinem Landsmann Yannick Bestaven nach dessen Zeitgutschrift infolge der Rettungsaktion für Kevin Escoffier den Vortritt lassen musste, sieht in Herrmann einen ernst zu nehmenden Konkurrenten: "Er ist definitiv immer stärker geworden. Bei den beiden Solo-Transatlantikregatten im Frühling hat Boris jeweils den zweiten Platz gemacht. Er segelt jetzt auf sehr hohem Niveau und ist sehr konstant. Für mich gehört er ganz klar zum Kreis der Favoriten. Wir werden sehen, wem das Wetter und die Verhältnisse auf See am Ende in die Karten spielen."
Wohl Schönwetter-Auftakt für Herrmann und Co.
Noch drei Tage bis zum Start - und der Blick der Skipper und ihrer Teams richtet sich verstärkt auf die Wetterbedingungen am Sonntag. "Momentan sieht es nach leichten bis mittleren Winden aus. Also eher ein ruhiger Rennstart, was durchaus ganz angenehm ist. Das typische Szenario wäre ein großes Tiefdruckgebiet mit einer Kaltfront und heftigen Wellen. Wir hatten das beim letzten Mal und einige Boote mussten umkehren. Diesmal sieht es freundlich aus, das ist auch für die Zuschauer schön und wir müssen uns nicht gleich in der ersten Nacht mit einem starken Sturm auseinandersetzen", sagte Boris Herrmann, der sich "mental und technisch gut vorbereitet" sieht, am Donnerstag.
"Den Äquator als unsere erste große Zielmarke könnte man bei perfekten Wetterbedingungen in vielleicht sechs Tagen erreichen. Davon sind wir im Moment weit entfernt. Es sieht eher nach zehn, elf Tagen aus." Damit sind die Chancen auf eine Bestzeit gefallen. Den Rekord hält seit der vorletzten Vendée Globe 2016/2017 der Franzose Armel Le Cléac'h mit 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden.
Boris Herrmann optimistisch: "Zählen zu den Favoriten"
"Ich denke, wir zählen zu den Favoriten", sagt Boris Herrmann. "Wir sind in den vergangenen vier Jahren die meisten Meilen gesegelt. Wir haben dieses neue Schiff als erstes unter allen neuen Booten da draußen bekommen und sind damit um die Welt und durch das Südpolarmeer gefahren, um es bewusst auf die Vendée Globe vorzubereiten."
"Für mich ist die Vendée Globe mehr als ein Rennen; vielleicht ist es nicht einmal ein Rennen. Ich versuche, es als eine Reise zu sehen."
— Boris Herrmann
Seit ihrem Stapellauf im Juli 2022 ist die neue Malizia - Seaexplorer schon über 60.000 Seemeilen (über 112.000 Kilometer) im Rennmodus gesegelt. Theoretisch hätte sie die Erde also bereits drei Mal umrunden können. Dieses Jahr setzte Herrmann bei zwei Transatlantik-Regatten mit zwei zweiten Plätzen dicke Ausrufezeichen.
In ruhiger See hat die Malizia Nachteile. Das Boot mache immer dann die beste Fahrt, wenn der Wind mit 20 bis 25 Knoten von hinten kommt, so der Hamburger. Beste Voraussetzungen: "Statistisch betrachtet segeln wir zu über 70 Prozent des Rennens mit Wind von hinten." Die Vorteile seiner Yacht sollten sich insbesondere auf der schwierigen und notorisch ruppigen Stecke rund um den Südpol bemerkbar machen.
Am Sonntag geht es los - im NDR Livestream
Am Sonntag um 13.02 Uhr geht es in Les Sables d'Olonne los für das Rekord-Teilnehmerfeld von 40 Imocas - das Abenteuer über 45.000 Kilometer rund um den Erdball beginnt! Der NDR überträgt den gesamten Start von der Parade der Skipper bis zum sportlichen Start vor der französischen Atlantikküste von 7.30 bis 14.30 Uhr live und in voller Länge auf ndr.de/sport und in der ARD Mediathek. Zwischendurch gibt es im Stream unter anderem die neue ARD Doku "Segeln am Limit" mit Boris Herrmann.
"Es ist immer noch eine Reise ins Ungewisse."
— Boris Herrmann
NDR Segelreporter Sven Kaulbars und Experte Tim Kröger führen durch die Sendung. Mit dem Weltmeister und Weltumsegler gibt es zudem ab dem 20. November alle 14 Tage ein Live-Update, in dem er das Renngeschehen einordnet, analysiert und vorausblickt.
Infos und Hintergründe zur Vendée Globe
Was ist die Vendée Globe? Wer ist dabei und wer zählt zu den Favoriten? Daten und Fakten zur härtesten Einhand-Regatta der Welt im FAQ.
45.000 Kilometer rund um den Globus
In Les Sables d'Olonne an der französischen Atlantikküste beginnt und endet die Hatz über 24.300 Seemeilen (45.000 Kilometer) rund um den Erdball. Die Strecke führt zunächst Richtung Süden, vorbei am Kap der Guten Hoffnung (Südafrika). Die Segler nehmen dann Kurs auf die Antarktis, die es zu umrunden gilt, vorbei am Kap Leeuwin, dem südwestlichsten Punkt des australischen Festlands. Zurück Richtung Norden steuern sie Südamerika und das Kap Hoorn an, bis sie sich schließlich wieder Frankreich nähern, wo sie Ende Januar erwartet werden.
So ist die Vendée Globe in gewisser Weise auch eine Art Klimareise: Vom herbstlichen Frankreich führt die Route runter auf die sommerliche Südhalbkugel und dann rund um die Antarktis zurück ins winterliche Europa.
Herrmann größte Challenge - die Einsamkeit
Es ist vor allem die Einsamkeit, die Boris Herrmann fürchtet. Nicht die erbarmungslosen Stürme in völliger Abgeschiedenheit weit weg vom nächsten Hafen oder das unkomfortable Leben an Bord mit Astronautennahrung und voller Schlafmangel. Aber über 80 Tage kein physischer Kontakt zur Familie, zu Freunden, das beschäftigt den Hamburger. "Nach der letzten Vendée Globe habe ich versucht, einen Psychologen zu finden, der mir helfen sollte. Aber ich habe niemanden gefunden, der nachvollziehen konnte, was ich durchmache", sagte er.
Er verspüre nicht den Druck wie beim ersten Mal, "dass mein weiterer Karriereweg davon abhängt", sei aber dennoch aufgeregter: "Woran das liegt, weiß ich gar nicht so genau." Aber: "Es ist immer noch eine Reise ins Ungewisse."
"Das letzte Abenteuer im professionellen Sport"
Die NDR Reporter Tom Gerntke und Sven Kaulbars waren im September vor der bretonischen Atlantikküste in Lorient an Bord der Malizia - Seaexplorer - und durften mitsegeln.
Am Ende stand die Erkenntnis: "Was diese Seglerinnen und Segler leisten, von handwerklichen Fertigkeiten, über taktische Finesse bis hin zu mentaler Stärke auf hoher See, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es bleibt das letzte Abenteuer im professionellen Sport."
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 10.11.2023 | 22:50 Uhr