Christian Wück

Trainer der DFB-Frauen im Interview Gangsterinnen und Schwiegertöchter - Wück formt sein Team

Stand: 20.10.2024 09:10 Uhr

Im August hat Christian Wück das Amt des Bundestrainers übernommen, nun trifft er zum ersten Mal mit seinem Team zusammen: Ab Montag trainieren die DFB-Fußballerinnen in Frankfurt, bevor es am Freitag zu den Länderspielen nach England (20.30 Uhr, live im Ersten) und drei Tage später in Duisburg gegen Australien (18.10 Uhr) geht. Die Vorfreude ist riesig - sagt der Coach im NDR Interview.

Von Inka Blumensaat

Im schicken DFB-Campus in Frankfurt überblickt Christian Wück von der Trainer-Lounge aus fast das ganze Gelände. Auf den Trainingsplätzen wird er in der kommenden Woche die Spielerinnen auf die anstehenden Länderspiele vorbereiten.

Einige hat der neue Bundestrainer bereits persönlich getroffen, mit anderen hat er telefoniert, zu allen haben er und sein Trainerteam den Kontakt gesucht. Bekanntermaßen nicht mehr dabei sind die zurückgetretene Kapitänin Alexandra Popp, Abwehrchefin Marina Hegering und Torhüterin Merle Frohms.

"Es schmerzt schon, dass alle drei nicht mehr dabei sind. Aber die Situation ist, wie sie ist. Und wichtig ist, wie wir damit umgehen. Ich möchte das Ganze positiv sehen und Vertrauen schenken", sagt Wück. "Es werden andere Spielerinnen in die Rollen reinschlüpfen und ich bin guter Dinge, dass wir die Rücktritte nicht nur auffangen, sondern eine Mannschaft formen können, die die Leute begeistert."

Personalknappheit in der Abwehr

Im Angriff sind die Voraussetzungen dafür gut, bei den Offensivspielerinnen hat der Bundestrainer vergleichsweise viel Auswahl. In der Abwehr sieht das nach dem Abschied von Hegering, der Verletzung von Bibiane Schulze Solano und der Pause für Kathrin Hendrich anders aus. "In der Viererkette gibt es das ein oder andere Problem, das wissen wir alle", konstatiert Wück. "Die jungen Spielerinnen, die nachrücken, sind noch nicht zu hundert Prozent so weit, die Lücken zu füllen. Die eine oder andere kann es schaffen, dazu haben wir ja noch die Möglichkeit, bei den Positionen zu verschieben."

Ein Verweis darauf, dass zum Beispiel die Wolfsburgerin Janina Minge wie auch ab und an im Verein vom defensiven Mittelfeld nach hinten rücken könnte.

Gesucht: neue Führungsspielerinnen

Nach den Rücktritten der erfahrenen Spielerinnen beschäftigt den Bundestrainer auch, wer im Team vorangehen, Führungsaufgaben und Verantwortung übernehmen wird. Vorläufig soll Giulia Gwinn, die bereits zuvor in einigen Spielen Popp vertreten hat, die Kapitäninnenbinde übernehmen.

Wer sie dauerhaft trägt, will Wück später entscheiden. Ohnehin brauche es mehrere Führungsspielerinnen. "Es ist jetzt die Aufgabe des Trainerteams und des Teampsychologen Christoph Heer, so präzise und so rasch wie möglich herauszufinden, wer geeignet und bereit dafür ist."

Ende der Profikarriere mit 29 Jahren

Der 51-Jährige blickt im Interview auch auf seine eigene aktive Karriere - Wück hat 168 Bundesligaspiele für Nürnberg, Karlsruhe und Wolfsburg bestritten. "Die Entwicklung, die ich als Trainer genommen habe, hat mir als Spieler keiner zugetraut. Ich war ein Teamplayer, aber nie ein Führungsspieler."

Erst später habe er Gefallen daran gefunden, Verantwortung zu übernehmen. Seine Laufbahn als Profi musste Wück wegen anhaltender Kniebeschwerden früh beenden. "Ich konnte nur noch mit Schmerzmitteln trainieren. Von daher war es dann der richtige Zeitpunkt, einen Schlussstrich zu ziehen, bevor es auch noch schlimmer werden könnte für das 'normale Leben'. Aber das war hart mit 29 Jahren."

Weltmeister und Europameister mit der U17

Seine erste Station als Cheftrainer war beim SV Enger-Westerenger in der sechsten Liga, anschließend arbeitete Wück bei Rot Weiss Ahlen und Holstein Kiel, bevor er von 2012 an verschiedene Nachwuchsteams beim DFB betreute.

Mit der U17 um Noah Darvich und Paris Brunner holte er 2023 den EM-Titel. "Auch danach haben wir kein Spiel mehr verloren, das haben die Jungs durchgezogen bis zum Finale der WM ein halbes Jahr später." Auch dieser Titel ging an sein Team. Ein Erfolgsgeheimnis, sagte Wück damals, sei die Unterschiedlichkeit der Charaktere, die man zusammenbringen müsse - er sprach von "Gangstern und Schwiegersöhnen".

"Jede Position braucht unterschiedliche Charaktere"

Die Frage, ob er analog dazu jetzt auf "Gangsterinnen und Schwiegertöchter" setze, beantwortet der Trainer so:  "Jede Position braucht unterschiedliche Charaktere. Ich brauche in der Defensive Zuverlässigkeit. In der Offensive Verrücktheit und Torgefahr, jemand, der macht, womit niemand rechnet. Deshalb glaube ich, dass Diversität unheimlich wichtig ist."

Bei seiner Spielphilosophie verweist er auf die Leitlinien des DFB - in diesen geht es unter anderem um Dominanz und Ballsicherheit. "Wenn wir die einzelnen Spielerinnen weiterentwickeln und besser machen, dann werden wir auch eine gute Mannschaft haben, die dominant auftritt, die eine Zweikampfquote von über 60 Prozent hat und die mit ihrem Spiel die Zuschauer begeistert."

Nachfolger des beliebten Horst Hrubesch

Wück folgt auf Horst Hrubesch, der den Fußballerinnen nach dem enttäuschenden WM-Vorrundenaus im vergangenen Jahr neues Selbstvertrauen vermittelte und das Team bis zum Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen von Paris führte. Hrubesch war bei den Spielerinnen mit seiner Herzlichkeit und Ehrlichkeit außerordentlich beliebt, Alexandra Popp beschrieb den 74-Jährigen einmal als "Menschenfänger".

Wück erklärt, sein Umgang ähnele der Art seines Vorgängers: "Ich möchte ehrlich und offen mit den Spielerinnen umgehen. Genau das erwarte ich auch von ihnen, wenn sie mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind. Dann erwarte ich, dass sie zu mir kommen. Ich will für das Team da sein."

Fernziel Euro 2025

Nach einer öffentlichen Einheit am Brentanobad am Montag versammelt Wück das Team anschließend auf den Trainingsplätzen am DFB-Campus, am Mittwoch geht es dann nach England, am Freitag steigt das Testspiel im Wembley-Stadion. Das erste in der Saison, die im kommenden Sommer in die Europameisterschaft in der Schweiz mündet.

Das Ziel für das Turnier will der Bundestrainer jetzt noch nicht formulieren. "Natürlich könnte ich sagen: Wir wollen Europameister werden. Das Ziel ist aber, dass wir es im kommenden Dreivierteljahr als Trainerteam schaffen, dass die Spielerinnen davon überzeugt sind. Und wenn alle zu hundert Prozent daran glauben, dass wir es schaffen können, dann sind wir auf einem guten Weg."

Dieses Thema im Programm:
Sportschau | 25.10.2024 | 20:30 Uhr