Strafrecht Vertrauen oder Strafverfolgung: Das Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit
Das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit setzt sich für eine Reform der Strafprozessordnung ein. Eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts soll die Arbeit von Sozialarbeitern fördern. Kritik kommt von Polizeigewerkschaften.
12. November 2022, Wildparkstadion Karlsruhe. Bei einer Pyro-Aktion der KSC-Ultras werden elf Unbeteiligte verletzt. Daraufhin organisiert der Verein mit dem örtlichen Fanprojekt einen Austausch zur Aufarbeitung zwischen aktiven Fans und den Geschädigten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die wegen der Aktion ermittelt, erfährt von diesem außergerichtlichen Austausch und lädt die Mitarbeiter des Fanprojekts zu einer polizeilichen Vernehmung ein.
Es sollen Fragen zum Vorfall und zu den Ultras beantwortet werden. Die Mitarbeiter des Fanprojekts weigern sich jedoch, was ein Verfahren wegen Strafvereitelung nach sich zieht. Denn nur Personen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, dürfen eine solche Vernehmung verweigern. Ein Fall, der auch von den Thüringer Fanprojekten genau beobachtet wurde.
(K)ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit
Beim Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR) handelt es sich um ein Recht, das bestimmten Personen erlaubt, in einem Gerichtsverfahren oder einer anderen rechtlichen Anhörung die Aussage zu verweigern. Dieses Recht ist dazu da, den Schutz der Person zu gewährleisten und mögliche negative Folgen zu verhindern. Es wird vor allem im Paragraph 53 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt und gilt für die Person selbst, nahe Verwandte, aber auch für bestimmte Berufsgruppen wie Anwälte, Ärzte oder auch Journalisten.
Bei Sozialarbeitern jedoch gilt das ZVR lediglich bei der Beratung von Drogenabhängigen und bei Schwangerschaftsabbrüchen. Für Mitarbeiter von Fanprojekten gilt es jedoch nicht.
In Fanprojekten arbeiten Sozialarbeiter im Spannungsfeld Fußball. Sie sind Schnittstelle zwischen Fans, Vereinen und der Gesellschaft. Sie beraten und unterstützen insbesondere junge Fans. Unter anderen thematisieren sie dabei problematische Verhaltensweisen und arbeiten vor allem präventiv, um Gewalt, Extremismus und Straftaten zu verhindern.
Ein breites Bündnis
Für Matthias Stein, Leiter des Fanprojekts in Jena, sei gerade dafei ein ZVR immens wichtig. Es würde helfen, das empfindliche Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeitern und Fans, auf dem die Arbeit in den über 60 Fanprojekten in ganz Deutschland beruht, nicht zu gefährden.
Matthias Stein ist Leiter des Jenaer Fanprojekts und zudem Sprecher für das "Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit".
Stein arbeitet nicht nur seit 30 Jahren beim Fanprojekt Jena, er ist auch Sprecher für das "Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit". Dieses wurde 2014 als Arbeitskreis von Vertretern aus der Fanprojektarbeit gegründet.
Das Thema betrifft unter anderem auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Opferberatung, der Ausstiegsberatung im politischen Extremismus und ganz allgemein der mobilen Jugendarbeit. Matthias Stein, Leiter des Fanprojekts in Jena |
Mittlerweile gehören dem Bündnis weitere Akteure wie der AWO-Bundesverband, der Arbeitskreis der Opferhilfen und die Gewerkschaft Verdi an. "Wir sind inzwischen breit aufgestellt, denn das Thema betrifft unter anderem auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Opferberatung, der Ausstiegsberatung im politischen Extremismus und ganz allgemein der mobilen Jugendarbeit. Entscheidend ist überall das Vertrauensverhältnis zu den Adressaten", erklärt Matthias Stein.
Neben dem Vertrauensschutz spricht auch der Schutz der Mitarbeiter in der Sozialen Arbeit für ein genau solches Gesetz, sagt Stein. Wie sehr diese Arbeit ohne das ZVR gefährdet sei, hätte man zuletzt bei dem Fall in Karlsruhe sehen können. Volker Körenzig vom Fanprojekt Karlsruhe schilderte dies im Szenemagazin "Erlebnis Fußball": "Bei Strafverfahren haben wir keinen Schutz und sind dann als Privatpersonen als Beschuldigte aufgerufen und haben auch privat-rechtlich alle Konsequenzen zu tragen."
Auch in Erfurt ein Thema
Nun droht den Sozialarbeitern des Fanprojekts Karlsruhe eine hohe Geldstrafe und potenziell eine Vorstrafe, weil sie eine Aussage verweigerten. Der Fachanwalt für Sport- und Strafrecht René Lau erklärt, dass es die Sozialarbeiter sogar den Job kosten könnte. Eine Zwickmühle: Reden die Sozialarbeiter, ist das Vertrauen weg, auf dem die Arbeit beruht. Reden sie nicht, können sie sich unter Umständen direkt einen neuen Beruf suchen.
Beim Erfurter Fanprojekt sei man noch nicht in einen solchen Konflikt gekommen. Es sind jedoch ähnliche Fälle wie der in Karlsruhe von anderen Einrichtungen bekannt. Zudem würde das fehlende ZVR an anderen Standorten dafür sorgen, dass Fanprojekt-Mitarbeiter Auswärtsfahrten nicht mehr begleiten.
Auch die aktiven Fans des FC Schalke 04 fordern die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit.
Damit das Vertrauensverhältnis und der Schutz der Mitarbeiter in der Sozialen Arbeit gestärkt werden, bedarf es nach Meinung des Bündnisses "dringend eine Reform des entsprechenden §53 StPO und die Aufnahme von staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen in diesen Schutzrahmen." Diese Änderung der Strafprozessordnung wäre durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung, des Justizministeriums oder auch durch den Bundesrat möglich. Ein Rechtsgutachten, in Auftrag gegeben von der Koordinationsstelle Fanprojekte, enthält bereits einen Vorschlag, wie ein solches Gesetz aussehen könnte.
Kritik von Regierung und Ermittlungsbehörden
Vertreter der Ermittlungsbehörden sehen die Ausweitung des ZVG auf alle Bereiche der Sozialen Arbeit kritisch. So argumentiert Dirk Peglow, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: "Ich sehe das größere Interesse darin, Straftaten, die im Rahmen von Fußballspielen geschehen, auch aufzuklären. Dieses Ziel ist für mich höher einzuordnen, als das Vertrauensverhältnis der Fanprojekte zu ihren Besuchern zu stören. Deshalb sehe ich keine Notwendigkeit das Gesetz auszuweiten."
Eine Ausweitung, beispielsweise auf Sozialarbeiter, würde eine völlig überdimensionierte Wirkung entfalten Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft |
Die Deutsche Polizeigewerkschaft beruft sich auf die Position des Gesetzgebers und der Rechtsprechung. Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft, äußerte sich in einer Stellungnahme zum Thema: "In der sozialen Arbeit ist das Zeugnisverweigerungsrecht bereits geregelt und auf wenige Berufsgruppen, etwa therapeutische Ärztegruppen beschränkt. Eine Ausweitung, beispielsweise auf Sozialarbeiter, würde eine völlig überdimensionierte Wirkung entfalten, die einer wirksamen Strafverfolgung nicht dienlich wäre."
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, lehnt ein Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter in der Sozialarbeit ab.
Zudem sehe er "Fanbetreuer" als "Interessenvertreter der von ihnen betreuten Klientel, die sich mitunter dazu berufen fühlen, rechtsstaatlich handelnde Polizeikräfte zu verunglimpfen oder Ausnahmen bei der Verfolgung von Straftaten durch ihre "Fans", etwa bei Pyrotechnik, zu fordern."
Der Spielball liegt bei der Politik
Die Bundesregierung steht einer Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts ablehnend gegenüber. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken vom 17. Januar 2014 heißt es: "Zur Erhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege der Kreise der Zeugnisverweigerungsberechtigten auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt werden muss."
Dass dies nicht die Meinung aller Vertreter der Regierung ist, dafür sprechen laut Matthias Stein seine Erfahrungen aus Gesprächen mit Landes- und Bundespolitikern. Bei allen Ampelparteien gebe es Vertreter, die sich für die Einführung eines ZVR in der Sozialen Arbeit aussprechen.
Auch René Lau glaubt, dass die jetzige Regierung das Gesetz umsetzen könne. Mit einer neuen Regierung in einer anderen Konstellation sehe das anders aus. Viel Zeit bleibt den Politikern allerdings nicht - die nächste Bundestagswahl findet voraussichtlich am 28. September 2025 statt.
MDR (nir)