Turnen Nachwuchs

Turnen Keine Trainer, keine Hallen - die andere Seite der Krise im Turnsport

Stand: 08.01.2025 13:43 Uhr

Trotz der aktuellen Skandale im Turnsport: Es gibt ihn, den begeisterten Nachwuchs. Doch die Rahmenbedingungen sind sehr schwierig: Beispiele aus dem ländlichen Bereich in Sachsen und Sachsen-Anhalt unterstreichen das.

Der Turnsport geht in diesen Tagen durch eine weitere große Krise. Rund vier Jahre nach Diskussionen um Trainingsmethoden und Medikamentenmissbrauch am Stützpunkt Chemnitz haben Turnerinnen in den letzten Tagen Missstände am Stützpunkt Stuttgart beklagt und schwere Vorwürfe auch gegen den Deutschen Turnerbund erhoben.

Kritik von Turnerinnen zum Umgang mit Verletzungen, Ernährung und Gewicht, ja sogar ein von Ex-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz beklagtes "systematisches Versagen" sind ein großes Thema, das den Turnsport in diesen Tagen bewegt. Ein großes grundlegendes Thema.

Turn-Ansturm nach Corona-Delle

Zudem gibt es viele kleine Probleme. Denn trotz der Skandale der vergangenen Jahre wollen Kinder turnen. Viele Sport- und auch Turnvereine in Mitteldeutschland erleben nach der Corona-Delle einen Ansturm von Kindern und Jugendlichen. Allerdings bringt das Vereine gerade im ländlichen Bereich an ihre Grenzen.

Turnen Nachwuchs

Die Kinder in Döllnitz sind turnbegeistert - es gibt sogar eine Warteliste.

Jürgen Wolf: Mit 82 noch Trainer

Zum Beispiel bei der SG Döllnitztal Mügeln in Nordsachsen, wo der bereits 82-jährige Turntrainer Jürgen Wolf sich schon längst zur Ruhe setzen wollte. "Ich wollte schon vor zwei Jahren zurücktreten. Aber es hat sich keiner gefunden. Also habe ich gesagt, okay, ich mache noch eine Periode", berichtet Vereinschef Wolf über Personalmangel bei der SG Döllnitztal.

Der Verein habe sogar eine Warteliste einführen müssen, um den Andrang zu bewältigen. Und wenn sich Turntrainer finden, sind diese nicht immer für den Wettkampfbetrieb ausgebildet. Das heißt, dass in manchen Altersklassen die Turnerinnen und Turner nicht an Meisterschaften teilnehmen dürfen.

Trainerflucht aus dem ländlichen Gebiet

In Döllnitz haben sich zuletzt immerhin drei junge Frauen gefunden, die einen Trainerschein gemacht haben. Das sei gut, sagt Wolf. Befürchtungen habe er trotzdem: "Wenn ich hier keine Arbeit finde nach der Ausbildung, gehe ich dahin, wo ich Arbeit finde." Die jungen Trainerinnen könnten den Verein also schon bald vor neue Probleme stellen.

Balanceakt der Turner in Sachsen-Anhalt

Schwierigkeiten, die auch in Sachsen-Anhalt gesehen werden. Nico Tandel, Vizepräsident des Landesverbandes, verweist vor allem auf Hürden im ländlichen Bereich: "Die jungen Leute, die helfen könnten, gehen in die Studentenstädte und stehen auf dem Land nicht zur Verfügung."

Sachsen-Anhalt: Jede fünfte Turnhalle sanierungsbedürftig

Zudem verweist Tandel auf marode Turnhallen und zu wenig Trainingszeiten. Fast jede fünfte Sporthalle in Sachsen-Anhalt ist dringend sanierungsbedürftig – egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Und die Kapazitäten reichen vor allem im Winter kaum aus: "Das ist ein großes Problem. Die haben eine Hallenzeit von anderthalb Stunden und eine halbe Stunde geht für Auf- und Abbau drauf, das ist nicht optimal", weiß Tandel.

Es gibt ihn, den turnbegeisterten Nachwuchs – trotz der aktuellen Skandale. Die Rahmenbedingungen für ihren Sport sind aber sehr schwierig.

Dirk Hofmeister/Steffen Reichert