Usain Bolt feiert mit einer Weltrekordzeit von 9,58 über 100 m bei der 12. IAAF-Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Olympiastadion Berlin.

Olympische Spiele Höher, schneller, weiter: Ist unser Körper grenzenlos optimierbar?

Stand: 25.07.2024 17:25 Uhr

Der erste Weltrekord ist bereits gefallen, noch bevor die Olympischen Sommerspiele 2024 richtig begonnen haben. Wird auch Usain Bolts Rekord über 100 Meter in Paris gebrochen? Wie weit geht das Optimieren und Trainieren für neue Rekorde und Bestleistungen? Ob es Grenzen gibt und welche, erklärt Karsten Möbius im MDR WISSEN Podcast "Große Fragen in 10 Minuten".

Von Karsten Möbius

Die Olympischen Spiele in Paris haben noch gar nicht offiziell begonnen, da gibt es schon den ersten Weltrekord. Die Koreanerin Sihyeon Lim schaffte 694 Punkte in der Platzierungsrunde – im Bogenschießen der Frauen. Und es wird vermutlich nicht der letzte bleiben. Wir werden in den kommenden Wochen sicher noch mehr dieser Momente erleben, in denen Athletinnen und Athleten schier unglaubliche Bestmarken knacken und neue Rekorde aufstellen.

Aber geht das eigentlich? Kann jemand Usain Bolts Weltrekord von 2009 über 9,58 Sekunden unterbieten? Wie realistisch sind immer neue Bestmarken? Schließlich sind menschliche Körper keine Maschinen, an denen man beliebig schraubt oder neues Material benutzt. Bleiben wir beim Beispiel des Jamaikaners, der zu seinen Bestzeiten knapp 45 km/h schnell lief. Muss sich Bolt darauf einstellen, dass jemand in diesem Jahr im 100 Meter Sprint noch schneller läuft? Professor Wilhelm Bloch von der Sporthochschule Köln hält das für unwahrscheinlich. Er sagt: "Da sind wir schon ganz schön am Limit," und setzt aber nach: "Es gibt theoretische Berechnungen, die liegen irgendwo bei 9,3/9,4. Unter allen optimalen Voraussetzungen, wo man sagt, das ist das Maximale, was in der 'Maschine' Mensch drinsteckt."

Kann man Höchstleistungen im Sport vorausberechnen?

Lässt sich denn der Mensch so technisch exakt berechnen, wie man das im Motorsport oder Skisport für das Material kann? Mit einer Reihe verschiedener Variablen lässt sich Bloch zufolge einiges berechnen: Zum Beispiel das Verhältnis Beinlänge, Oberkörperlänge, Schwerpunkt. Dann nimmt man die physiologischen, biologischen Parameter raus: Muskelfasertypen und deren Zusammensetzung. Und schließlich: Auf welchem Untergrund wird gelaufen, wie ist die Dämpfung auf der Bahn, wie stark die Achillessehne. Ein Algorithmus rechnet dann aus, was theoretisch möglich sein sollte.

Die Vermessung und Berechnung des Körper-Potentials

Bloch zufolge wird also versucht, zu verstehen, welche Rädchen da zusammendrehen und wie man sie optimal aufeinander abstimmt, damit die Sportlerin zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, Höchstleistungen schafft. Verschiedenste Forschungsbereiche arbeiten daran, die Biomechanik genauso wie Molekular- und Zellforschung. Alles, um herauszukriegen, wie die Zelle funktioniert, die Muskelfaser oder die Energiebereitstellung. Es wird die Genetik der Muskeln analysiert, die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm, der Energieumsatz, der mentale Zustand des Sportlers, die Stressresistenz und die soziale Situation. Davon hängt ab, wie und wann was wie lange trainiert wird oder gegessen oder sich erholt. Zum Beispiel gelten Sportlerinnen, die ihre Periode haben, als verletzungsanfälliger und sprechen anders auf Krafttraining an. 

Simone Biles beim Bodenturnen während der Gymnastics U.S. Olympic Trials 2024

Auch US-Turnerin Simone Biles tritt in Paris mit besten Voraussetzungen an. In Rio de Janeiro holte sie 2016 Gold im Mehrkampf, mit der Mannschaft, am Sprung und am Boden und am Schwebebalken Bronze.

Was kann neue Rekorde dann noch verhindern?

Im Spitzensport gibt es also das personalisierte Training. Angenommen nun, jemand hat perfekte genetische Voraussetzungen, optimale molekulare Strukturen für besonders schnelle Muskelbewegungen. Dazu noch extrem effektive Energiefreisetzung durch die Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zellen. Sind dann Rekorde unausweichlich? Nicht zwingend, denn das Leben grätscht hier manchmal hinein. Fährt unser optimaler Sport-Typus zum Ballermann oder macht Bergurlaub im Himalaya, war es das möglicherweise mit dem neuen Weltrekord. Wenn nämlich die epigenetische Regulation ins Spiel kommt, sagt Bloch: "Ein Einzelereignis kann das Talent verändern, positiv wie negativ."

Auch der Sport-Körper schützt sich selbst

Und dann gibt es noch den Körper selbst, der eine Art biologischen Schutzschalter in der Zelle eingebaut hat, verrät Bloch. Der verhindert nämlich, dass wir in einen Bereich kommen, in dem das Material die Belastung nicht mehr aushält. Beim Sprint beispielsweise kann nach 40, 50 Metern nicht mehr beschleunigt, sondern nur noch die Geschwindigkeit gehalten werden.

Usain Bolts Geheimnis war übrigens, dass sein körpereigener Schutzschalter erst nach 60, 70 Metern kam. Dadurch konnte er wesentlich länger beschleunigen als die Konkurrenz.