Augen zu und durch? Wie zyklusbasiertes Training Frauen im Sport helfen kann
Höchstleistungen erzielen und über Grenzen hinausgehen - auch dann, wenn Schmerzen den Körper bremsen. Bei Frauen ist das während der Periode der Fall. Immer mehr setzen deshalb auf zyklusbasiertes Training, auch die FC-Bayern-Fußballerinnen.
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Anna Rupprecht ihr Training verändern wollte. Um besser zu werden und um weniger anfällig für Verletzungen zu sein, richtete sie ihr Training nach ihrer Periode aus.
"Als Frau hat man nicht die gleiche Veranlagung wie Männer", erzählt sie im BR24Sport-Interview: "Man kann nicht so einfach Muskulatur aufbauen. Man tut sich auch schwer mit schnellkräftigen Trainingseinheiten."
Vor allem während der Menstruation ist das Training für Sportlerinnen schwieriger. Denn der Menstruationszyklus beeinflusst die Leistungsfähigkeit der Sportlerinnen.
Vier Phasen bestimmen den Zyklus
In der Forschung geht man von einem 28 Tage langem Zyklus aus. Diese Tage werden in vier verschiedene Phasen unterteilt: Menstruation, Follikelphase, Eisprung und Lutealphase. Der Körper reagiert - je nachdem, in welcher Phase er sich befindet - unterschiedlich.
In der Folikelphase können besser Muskeln aufgebaut werden. Das liegt daran, dass das Hormon Östrogen steigt. Kurz vor dem Eisprung ist das Östrogen im Körper am höchsten. Sportlerinnen sind in dieser Phase besonders leistungsfähig. Aber gleichzeitig auch verletzungsanfällig, weil Bänder und Sehnen durch das steigende Hormon instabiler werden.
In der Lutealphase ist die Ausdauerleistung am Höchsten. Diese Phase wird vom Hormon Progesteron bestimmt. Die Körpertemperatur steigt um 0,5 Grad, viele Frauen fühlen sich schlapp. Die letzte Phase ist die Menstruation. Hier können Schmerzen auftreten: Übelkeit, Kopfschmerzen oder Unterleibsschmerzen sind typische Symptome während der Periode.
Der Menstruationszyklus
Training während der Periode: "Keine Verletzung riskieren"
Dieses Unwohlsein während der Periode kennt auch Rupprecht: "Man fühlt sich so aufgeweicht. Das ist kein gutes Zeichen." Also passt sie ihr Training während der Periode an. Im Kraftraum verzichtet sie auf schwere Gewichte, die verstärkt die Gelenke belasten. Bei Skisprüngen geht sie ein paar Balken weiter runter. "Ich will einfach Safe sein und keine Verletzung riskieren", sagt sie.
Auch der FC Bayern trainiert zyklusbasiert
Nicht nur Rupprecht bezieht ihren Zyklus in ihr Training ein. Auch die Fußballerinnen des FC Bayern München achten im Training auf ihre Zyklusphasen. Vor vier Jahren hat Athletiktrainer Hamid Masoum Beygi das Thema im Verein vorangebracht.
"Ich finde, diese Thematik ist ganz wichtig. Vor allem, damit man eine Sensibilität bei den Spielerinnen schafft, dass sie offen darüber sprechen können", erzählt er: "Ich glaube, viele haben Beschwerden rund um die Periode, aber trauen sich nicht, das zu kommunizieren. Bei uns ist das gar kein Problem, weil jeder offen darüber reden kann."
Zyklus-App bei Fußballerinnen
Anders als bei Rupprecht muss im Training der Zyklus einer kompletten Mannschaft beachtet werden. Dafür tragen die Spielerinnen auf freiwilliger Basis ihren Zyklus in einer entsprechenden App ein. Im Training kann dann auf die Daten reagiert werden. Auch hier ist die Phase der Menstruation entscheidend.
"Für mich war es wichtig zu erfassen, wann die Spielerin ihre Periode bekommt und welche Symptome sie hat, wenn sie sie bekommt", erzählt er: "Ich weiß, wie der Zyklus von den Spielerinnen aussieht und was für Beschwerdebilder sie haben."
Individuelle Schmerzen während der Periode
Die Probleme der Spielerinnen sind individuell. So kann zum Beispiel das Konzentrationsvermögen während der Menstruation gestört sein. "Man sieht, dass die Spielerin nicht in der Lage ist, voll durchzuziehen und keine hohen Intensitäten gehen kann. Das muss man mit einberechnen und dann auch dem Trainer erklären, dass es vielleicht daran gelegen haben könnte", sagt Beygi.
Auf die Schmerzen der Spielerinnen kann dann im Training reagiert werden: "Wir nehmen jemanden aus dem Training, wenn die Schmerzen zu groß sind. Wir lassen die Spielerinnen adaptiert trainieren", erzählt Beygi: "Sie machen ein paar Trainingsformen nicht mit, wenn es zu intensive Formen sind."
Höchstleistungen trotz Periode
Im Training sind diese Anpassungen möglich. Während eines Spiels oder während des Wettkampfs sieht das aber ganz anders aus. Den Wettkampf nach dem Zyklus zu legen, ist unmöglich. Wenn eine Spitzensportlerin am alles entscheidenden Tag ihre Periode hat, wird trotzdem Höchstleistung von ihr erwartet. "Man muss so oder so durch", erklärt Rupprecht: "Aber man versucht sich dann einfach zusammenzureißen. Augen zu und durch."
Shiffrin sorgt für Aufmerksamkeit
Das "Augen zu und durch" kennt auch Mikaela Shiffrin. Im vergangenen Winter sorgte die Skirennfahrerin mit einem Interview für Schlagzeilen. Die US-Amerikanerin stand nach ihrem Sieg am Kronplatz am Mikrofon des ORF. Offen und ehrlich erzählte die Alpin-Spezialistin, dass sie sich vor dem Rennen nicht besonders gut gefühlt hatte, denn sie war in einer bestimmten Phase ihres "monatlichen Zyklus", auf englisch, der "monthly cycle".
Der Reporter verstand allerdings etwas ganz anderes und übersetzte Shiffrins "monthly cycle" mit "monatlichem Radfahren." Der Übersetzungsfehler hatte nicht nur jede Menge Lacher zur Folge, sondern sorgte auch dafür, dass das Tabuthema Periode plötzlich im Fokus stand.
Forschung steht am Anfang
Trotz der gestiegenen Aufmerksamkeit steht der Forschungsstand zum zyklusbasierten Training aber noch immer am Anfang. Vieles ist für Hochleistungssportlerinnen nur schwer umzusetzen. Zum Einen ist die Zyklusdauer bei jeder Frau unterschiedlich lang. Während in der Forschung von einem 28 Tage langem Zyklus ausgegangen wird, kann er bei jeder Frau aber auch zwischen 24 bis 38 Tagen liegen.
Zum anderen ist weiter ungeklärt, was genau im Körper während der einzelnen Phase passiert oder wie man die Phasen noch präziser für den Muskelaufbau nutzen könnte. Eine weitere Rolle spielt die Verletzungsanfälligkeit. Während der Periode sendet der Körper bei den meisten Frauen eindeutige Signale. In anderen Phasen sind diese Signale oft weniger spürbar. Wie Sportlerinnen in dieser Phase optimal auf ihren Körper reagieren sollen, ist nicht klar.
"Es gibt sehr wenige gute Studien darüber", erzählt Rupprecht: "Als Sportlerin hat man kaum Anhaltspunkte, nach denen man sich richten kann." Doch auch, wenn es noch immer viele Forschungslücken gibt, wird das Tabuthema Menstruation nach und nach aufgebrochen und in den Trainingsalltag integriert.
Quelle: Blickpunkt Sport
10.03.2024 - 21:45 Uhr