Primoz Roglic bei der Teampräsentation
Tourreporter

Grand Départ der Tour de France Primoz Roglic und die "Mission Gelb"

Stand: 28.06.2024 08:46 Uhr

Primoz Roglic soll für Red Bull-Bora-hansgrohe die Tour de France gewinnen. Der Slowene vermeidet große Ankündigungen, sein Team will sich nicht verstecken.

Von Michael Ostermann, Florenz

Immerhin hatten sie "David" kein Gelbes Trikot übergestülpt, wie 2019 dem "Manneken Pis" in Brüssel. Das wäre dann wohl doch zu viel gewesen. Aber natürlich hatte David, dessen Anspannung vor dem Kampf gegen Goliath von Michelangelo so ergreifend dargestellt ist, bei der Teampräsentation der Tour de France in Florenz dennoch seinen Anteil.

Spektakel vor prächtiger Kulisse

Begleitet von einer Fanfare, gespielt von Männern in historischen Uniformen, kamen die Radteams aus dem Palazzo Vecchio gerollt, bauten sich dort neben dem David auf und ließen sich ein erstes Mal bejubeln von einigen Fans und bestaunen von den vielen Touristen, die eigentlich wegen der Statue und nicht wegen der dürren Radprofis in Sportbekleidung gekommen waren.

Von dort radelten die Fahrer dann weiter durch die Stadt über den Arno und hinauf zur Piazzale Michelangelo, wo sie auf einer großen offenen Bühne vor der prächtigen Kulisse der Stadt dann noch ein weiteres Mal vorgestellt wurden. Ein Spektakel, wie es die Macher der Tour mit ihrer Faszination für die eigene Bedeutung lieben.

Die Teampräsentation der Tour im Re-Live

Sportschau Tour de France, 27.06.2024 17:29 Uhr

Kleines Schauspiel in Salzburg

Dieser sehr großen Inszenierung in Florenz war – zumindest für das einzige deutsche World-Tour-Team – ein etwas gewollt wirkendes, kleineres Schauspiel am Mittwoch in Salzburg vorausgegangen. Im gläsernen Hangar-7 am Flughafen der Stadt, einer Mischung aus einer Art Museum und Eventlocation des Getränkeherstellers Red Bull, war die achtköpfige Tour-Mannschaft mit allerlei Brimborium in Richtung Italien verabschiedet worden.

Denn mit dem Start der Tour de France beginnt für das Team nun auch offiziell "eine neue Ära", wie Ralph Denk das in Salzburg nannte. Denk, der das Profiteam 2009 aus der Taufe hob, hat im Frühjahr 51 Prozent der Anteile an der bislang von ihm alleine gehaltenen Betreibergesellschaft des Teams an Red Bull verkauft. Damit katapultiert sich das Team finanziell an die Spitze der Branche, auf Augenhöhe mit Top-Mannschaften wie dem UAE-Team, Visma-Lease A Bike und Ineos Grenadiers mit geschätzten Jahresbudgets von um die 50 Millionen Euro.

Das Team wird zur Marke

Die neuen Besitzer des Teams sind bei der Tour nun erstmals sichtbar. Ihr Logo mit den zwei roten Bullen prangt zentral auf den Trikots, ist auf Rädern, Teamautos und Trinkflaschen zu sehen. Mit dem neuen Auftritt sind große Ziele verbunden. "Wir wollen zur attraktivsten Marke im Radsport werden", kündigte Denk an.

Der Geschäftsführer – oder neudeutsch CEO – des Radteams meint damit natürlich in erster Linie sportlichen Erfolg, aber Vermarktung und Show gehören eben auch dazu. Und beides beherrscht das Unternehmen Red Bull, das sich nach Fußball, der Formel 1 und diversen Einzelsportlern jetzt auch des Radsports annimmt, nach gängigen Maßstäben prächtig.

Mit historischer Propellermaschine nach Florenz

In Salzburg führte das dazu, dass die acht für die Tour nominierten Radprofis aus einem mit Firmenschriftzug versehenen historischen Propellerflugzeug der Marke DC6 hätten aus- und auf ein Fahrrad aufsteigen sollen, um damit dann in den Hangar einzurollen. Ein schweres Gewitter samt Wolkenbruch verhinderte das. Und so fuhren sie nur einmal um das Gebäude herum und winkten von der Bühne den ausgewählten Gästen zu.

Am Abend dann ging es mit besagter Propellermaschine bei turbulenter Wetterlage über die Alpen nach Florenz zum Grand Départ. Nicht jeder der Protagonisten auf dem Rad wirkte von dem Spektakel so kurz vor dem Start ins wichtigste Rennen des Jahres begeistert. Offiziell aber waren natürlich alle stolz darauf, Teil dieses Projektes zu sein, das da in diesem Glaspalast seinen Anfang nahm.

Roglic soll es richten

Das galt auch für Primoz Roglic, der schon gleich am Donnerstag einen weiteren Pflichttermin zu bewältigen hatte. Als einer der Topfahrer musste er sich vor der Teampräsentation noch den Fragen der internationalen Journalisten stellen. "Ein paar gute Resultate einfahren", hatte Roglic noch in Salzburg als Ziel für die Tour ausgegeben - ein Spaß natürlich. Denn es soll schon mehr werden als das. Roglic ist derjenige, der das auf lange Sicht angelegte neue Projekt kurzfristig zum Erfolg führen soll.

Das Ziel, die Tour de France zu gewinnen, treibt seinen Teamchef Ralph Denk schon lange an. Mit dem neuen Eigentümer kann er dabei nun auf das entsprechende Budget zurückgreifen. Mit Roglic verfügt die Equipe seit Beginn des Jahres über einen Fahrer, der mit dem Giro d’Italia und der Vuelta a Espana schon zwei große Rundfahrten gewonnen hat. Den Toursieg gab der Slowene 2020 erst auf der vorletzten Etappe in einem dramatischen Zeitfahren gegen seinen Landsmann Tadej Pogacar noch aus der Hand.

Diese Schmach möchte Roglic gerne vergessen machen. Und weil ihn bei seinem vorherigen Team Jumbo-Visma (jetzt Visma-Lease A Bike) Jonas Vingegaard mit zwei Toursiegen als Leader verdrängt hat, musste Roglic woanders anheuern, um seinen Traum doch noch zu verwirklichen. Viele Chancen dürfte der mittlerweile 34 Jahre alte ehemalige Skispringer nicht mehr bekommen.

Vorbereitung auf die Tour "nicht optimal"

"Solche Dinge beschäftigen mich nicht", sagte Roglic in Florenz. Aber ob es ihm bei dieser Tour gelingen kann, das Gelbe Trikot mit nach Hause zu nehmen, ist fraglich. Wie Vingegaard und der Belgier Remco Evenepoel kam auch Roglic am 4. April bei der Baskenland-Rundfahrt zu Fall. Die Verletzungspause störte die Vorbereitung auf die Tour empfindlich. Auch wenn Dan Lorang, der Head of Performance bei Red Bull-Bora-hansgrohe beteuert, dass es im inzwischen bis ins Detail geplanten Formaufbau "immer ein wenig Luft" gebe, falls etwas passiere. Auch wenn es in Roglics Fall "ein paar viele Dinge" gewesen seien.

Im Juni gewann Roglic die Dauphiné-Rundfahrt, eine wichtige Generalprobe für die Tour. Aber auch dort machte er zweimal Bekanntschaft mit dem Asphalt, was ihm neben Schürfwunden auch mentale Schmerzen bereitet haben dürfte. "Die Vorbereitung war sicher nicht optimal", muss auch Lorang zugeben. "Aber er ist mental gut drauf. Er glaubt daran, das Team glaubt daran."

Wie groß dieser Glaube bei Roglic tatsächlich ist, ließ sich weder in Salzburg noch in Florenz wirklich feststellen. Angepannt wirkt er nicht. Roglic präsentierte sich hier wie dort locker und freundlich, war zu Scherzen aufgelegt. Die Fragen nach seinen Zielen bei dieser Tour beantwortete er aber eher zurückhaltend. Er sei dankbar für die Verantwortung, auf den Gesamtsieg zu fahren, sagte Roglic in Florenz: "Am Ende werden wir sehen, wie es wird."

Kletterer, Strategen, Bodyguards für Roglic

Das Team um ihn herum formuliert die Ansprüche deutlich offensiver. "Wir würden uns kleiner machen, als wir sind, wenn wir uns als Underdog sehen würden", meint der sportliche Leiter des Teams, Rolf Aldag. "In der Breite gibt es wenige Teams, die so aufgestellt sind wie wir."

Die Mannschaft, die sie Roglic zur Seite stellen, umfasst mit Jai Hindley, dem Giro-Sieger von 2022, und Alexander Wlassow zwei Fahrer, die beide schon unter die Top fünf bei der Tour gefahren sind. Dazu kommen die beiden Road Captains Bob Jungels und Matteo Sobrero, die die Mannschaft strategisch anführen sollen.

Und schließlich werden Roglic noch "drei Bodyguards" (Aldag) zur Seite gestellt. Der deutsche Radprofi Nico Denz, der Österreicher Marco Haller und der Niederländer Danny van Poppel sollen ihren Kapitän beschützen, wenn es auf den flachen und mittelschweren Etappen hektisch wird.

Deine Tour - Folge 3 mit Nico Denz

Sportschau Tour de France

Roglic: "Verrückte erste Woche"

Denn tatsächlich werden sie drei Kreuze machen beim deutschen World-Tour-Team, wenn nach neun Etappen der erste Ruhetag in Orléans erreicht sein wird. Das schwere Auftaktwochenende mit engen Straßen und jeder Menge Höhenmetern im Apennin, die vierte Etappe mit dem Anstieg hinauf zum Galibier, ein Zeitfahren und die neunte Etappe über Schotterstraßen in der Champagne definieren das Rennen bis dorthin.

"Eine verrückte erste Woche", findet Roglic. Und erst wenn er heil und ohne größeren Zeitverlust bis Orléans gekommen ist, kann die These von Rolf Aldag auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden: "Es gibt keine Tour de France ohne Chancen, aber die muss man dann auch ergreifen."