Tour de France Femmes Vier Sekunden zwischen Euphorie und tiefer Traurigkeit
Während sich Kasia Niewadoma und Demi Vollering das knappste Rennen der Tour-Geschichte lieferten, kämpften die deutschen Fahrerinnen um einen versöhnlichen Abschluss. Ein Fazit der dritten Tour de France Femmes.
Es ist zwar der "Berg der Niederländer", richtig Glück hat der Alpe d'Huez Demi Vollering jedoch nicht gebracht. Denn zwar holte sie sich in eindrucksvoller Form den Tagessieg, das so sehr ersehnte Gelbe Trikot verpasste die Niederländerin jedoch denkbar knapp. Jubeln durfte dafür eine andere, nämlich Kasia Niewadoma, die für die Sensation sorgte.
Denn das erste Mal gewann keine Fahrerin aus den Niederlanden die Tour de France Femmes. Und wie, nur vier Sekunden lagen zwischen Sieg und Niederlage – es ist das knappste Ergebnis der Tour-Geschichte sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern.
Niewadoma schreibt Tour-Geschichte
Nach 150 Kilometern saß sie da im Zielbereich auf dem Boden und bangte. Die wenigen Sekunden, bis klar war, dass der Vorsprung reichte, müssen sich für Niewadoma wie Stunden angefühlt haben. Dementsprechend groß war anschließend der Jubel. Der Polin ist es wirklich gelungen, die große Favoritin und Titelverteidigerin Demi Vollering zu schlagen. So oft musste sich Niewadoma mit zweiten und dritten Plätzen begnügen, nun steht sie selbst ganz oben auf dem Treppchen. Und das beim größten Rennen des Frauenradsports.
"Es wird eine Weile dauern, bis ich das verstanden habe. Aber es ist ein Traum in Erfüllung gegangen", so Niewadoma nach dem Rennen. Ihr Sieg ist auch ein deutscher Sieg. Denn sie startet für das deutsche Canyon SRAM-Team. Sportdirektor Ronny Lauke war im Sportschau-Interview nach dem Rennen sichtlich ergriffen und kämpfte wie gefühlt alle mit den Tränen. "Ich kann es gar nicht beschreiben. Es war unser klares Ziel zu gewinnen und jetzt haben wir das erreicht. Das ist überwältigend", so Lauke, der eine große Feier am Abend ankündigte.
Vollering am Boden zerstört
Nach Party wird Vollering nicht zumute sein. Sie saß nach dem Rennen ebenfalls auf dem Boden, allerdings weinte die SD-Worx-Fahrerin keine Tränen der Freude, sondern war fassungslos über den Ausgang des Rennens. Sie hatte alles reingelegt, knapp 40 Kilometer vor dem Ziel startete sie ihren Angriff und fuhr trotz Rückenschmerzen zwischenzeitlich sogar ins Gelbe Trikot. Es brachte ihr neben dem Tagessieg sowie dem zweiten Platz in der Gesamtabrechnung die Auszeichnung als kämpferischste Fahrerin ein, mehr als ein trauriges Lächeln konnte sie sich bei der Siegerehrung aber nicht abringen.
Eigentlich war der Plan ein anderer: Noch in Rotterdam weinte Vollering Tränen der Freude, denn ausgerechnet in ihrem Heimatland eroberte sie das Gelbe Trikot. Nicht nur die Fans gingen davon aus, dass sie es bis zum Anstieg am Alpe d'Huez nicht mehr abgeben würde. Nur einen Tag später kam jedoch alles anders, als Vollering in einen schweren Sturz verwickelt wurde und ohne Unterstützung ihres Teams auf Niewadoma mehr als eine Minute verlor, die sie nicht mehr aufholen sollte. Sie sei einfach traurig und leer, sagte Vollering mit tränenerstickter Stimme nach dem Rennen. "Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man - das ist der Radsport."
Lippert nicht ganz zufrieden
Auf der Jagd nach Trikots gingen die deutschen Fahrerinnen ebenfalls leer aus. Und auch den von insbesondere Liane Lippert so ersehnten Tagessieg gab es nicht. Dabei war Lippert zweimal nah dran; auf der fünften Etappe musste sie nur Blanka Vas sowie Kasia Niewadoma den Vortritt lassen, einen Tag später folgte wiederholt der dritte Platz. Am Ende steht der 18. Gesamtrang zu Buche, womit sie die beste Deutsche ist.
So richtig zufrieden ist die 26-Jährige mit ihrer Tour nicht. "Ich habe gemischte Gefühle. Meine Form ist okay und ich war in den Bergen mit dabei. Aber ich bin einfach nur müde", so Lippert im Interview. Sie sei froh, dass die Tour de France Femmes nun vorbei sei. "Andererseits gibt es jetzt keine Möglichkeit mehr, eine Etappe zu gewinnen. Aber zweimal Podium ist ja auch nicht so schlecht."
Eigene Erwartungen nicht erfüllt
Mindestens einen Platz auf dem Podium hätte gerne auch Romy Kasper mit ihrem Team Human Powered Health erreicht. Doch Krankheit und Verletzungen machten einen Strich durch die Rechnung. Kasper, die als Road-Kapitänin das Team im Rennen anführte und dieses schließlich als 92. beendete, sieht ihre eigene Leistung kritisch.
"Ich war in der Vorbereitung ein bisschen krank und habe das mit in die Woche genommen", so die 36-Jährige zur Sportschau. Es sei einfach schade, dass sie ihre Leistung beim größten Ereignis des Jahres nicht bringen konnte. "Ich habe nicht so helfen können, wie ich es eigentlich gekonnt hätte. Insgesamt bin ich mit höheren Erwartungen an mich selbst zur Tour gereist." Anders Franziska Koch, die sich sowohl mit ihrer als auch der Leistung ihres Teams dsm-firmenich PostNL zufrieden zeigte. "Mit den Siegen von Charlotte Kool direkt zu Beginn hätten wir uns keinen besseren Start wünschen können", so Koch, die in der Endabrechnung 50. wurde.
Wehmut und Frohsein zugleich
Ihre beste Leistung hob sich Hannah Ludwig für die Königsetappe auf. Als 15. kam die Fahrerin vom französischen Cofidis-Team am Alpe d'Huez ins Ziel und war damit die beste Deutsche. Dass die Tour de France Femmes nun vorbei ist, löst in ihr Wehmut und Frohsein zugleich aus. "Man ist schon erschöpft, aber wenn dann morgen auf einmal kein Rennen mehr ansteht, fragt man sich schon, was man mit seiner Zeit anfangen soll", sagt Ludwig gegenüber der Sportschau. Auch wegen der tollen Stimmung sei es bei ihrer dritten Teilnahme ihre liebste Tour gewesen.
Kein Wunder, denn nach sieben Renntagen und knapp 950 Kilometern beendet die 24-Jährige das Rennen als 23. der Gesamtwertung. Ihre Tour-Premiere absolvierte in diesem Jahr Linda Riedmann und sorgte maßgeblich dafür, dass ihre Teamkollegin Marianne Vos den Gewinn des Grünen Trikots feiern darf.
Ceratizit-WNT Pro Cycling mit bester Tour
Knapp dran am Podium war auch das deutsche WorldTour-Team Ceratizit-WNT Pro Cycling vor der letzten Etappe. Am Ende sprang der sechste Platz für die Französin Cédrine Kerbaol, die zusätzlich für den ersten französischen Sieg bei der Tour de France Femmes sorgte, im Gesamtklassement raus. So gut war das deutsche Team noch nie. Anders als bei Canyon SRAM bleibt jedoch keine Zeit zum Feiern, denn das nächste Rennen steht schon wieder in wenigen Tagen an.