Debütantin im Para-Boccia Anita Raguwaran siegt und darf vom Viertelfinale träumen
Anita Raguwaran hat Einzigartiges geschafft. Als erste deutsche Athletin startet sie bei den Paralympics in Paris im Para-Boccia. Über die Weltrangliste qualifizierte sich die 34-Jährige für den Einzelwettbewerb - und das, obwohl sie mit dem Sport bereits abgeschlossen hatte. Jetzt träumt sie sogar vom Viertelfinale.
Anita Raguwaran hat als erste deutsche Boccia-Spielerin überhaupt ein Spiel bei den Paralympischen Spielen gewonnen. Die 34-Jährige setzte sich in ihrem zweiten Gruppenspiel am Donnerstag mit 7:2 gegen Carla Oliveira aus Portugal durch und darf damit vom Einzug in die nächste Runde träumen. Zuvor hatte Raguwaran noch ihr Auftaktduell 0:6 gegen die Ungarin Alexandra Szabo verloren.
Aus den vier Vierergruppen erreichen jeweils die besten zwei Spielerinnen das Viertelfinale. Raguwaran trifft zum Abschluss der Gruppenphase auf die Brasilianerin Laissa Polyana Teixeira - ihr Ziel, die Vorrunde zu überstehen, kann die 34-jährige Saarländerin mit einem Sieg erreichen.
Während eines Reha-Aufenthalts entdeckt Raguwaran Boccia für sich
"Boccia hat mir die Welt des Sports eröffnet", sagt Raguwaran, dabei hatte sie in ihrer Kindheit schon mit dem Sport abgeschlossen. "Sport war nie eine große Sache für mich. Ich war nie ein Kind, das gerne gerannt ist", sagt sie heute. Raguwaran lebt mit einer Muskeldystrophie, einem Gendefekt, der die Muskulatur immer schwächer werden lässt. Seit ihrem 25. Lebensjahr nutzt sie einen Rollstuhl.
Aufgrund dieser Erkrankung begibt sie sich 2015 in eine Reha-Klinik in Göttingen. Dort trifft sie eines Abends zufällig auf ihren heutigen Trainingspartner Boris Nicolai. "Wie es halt oft so ist: Saarländer ziehen sich an“, erinnert sich Raguwaran lächelnd. Er macht sie mit dem Boccia-Sport vertraut und Raguwaran merkt schnell, dass sie Talent hat.
Beide stellen fest, dass sie aus demselben Bundesland kommen und so steigt Raguwaran auch bei der BRS Gersweiler-Ottenhausen (Saarbrücken) ins Vereinstraining ein. Sieben Jahre später gewinnen sie beim Weltcup in Rio de Janeiro als Duo Gold. "Ich möchte für andere ein Vorbild sein, um zu zeigen, jeder kann Sport machen und es funktioniert", sagt sie heute rückblickend.
Letztes Trainingslager vor den Paralympics in Paris
In Saarbrücken bereiten sich Raguwaran und Nicolai auf die Paralympischen Spiele in Paris vor. Für Nicolai sind es, nach Tokio, bereits die zweiten Paralympics, Raguwaran ist zum ersten Mal dabei. "Ich glaube, für jeden Sportler sind die Olympischen oder Paralympischen Spiele das Ziel, auf das man hinarbeitet. Dafür gibt man sein Bestes".
Die Qualifikation im Mixed (Pairs) haben Raguwaran und Nicolai beim letzten Qualifikationsturnier im portugiesischen Coimbra leider verpasst. "Es war sehr enttäuschend, weil wir alle große Erwartungen und Anstrengungen in das Turnier gesetzt haben".
Beide qualifizierten sich über ihren Weltranglistenplatz (Raguwaran 10, Nicolai 8) für Paris. Dort hofft Raguwaran auf "einen gewissen Heimvorteil" und fügt an: "Man ist in zwei bis vier Stunden in Paris und kennt die Gegend."
Trainingspartner Nicolai gegen Vize-Weltmeister am Ende chancenlos
Für den, der sie zum Sport gebracht hatte, ging der Auftakt schief: Boris Nicolai unterlag Vize-Weltmeister Euclides Grisales (Kolumbien) 0:11. Die ersten beiden Durchgänge verlor der Saarländer mit 0:1 und 0:2. Die nächsten beiden Sätze endeten jeweils 0:4 gegen den Deutschen, der 2018 WM-Dritter geworden war. Grisales peilt in Paris eine Medaille an.
Boccia: Starke Nerven & Fingerspitzengefühl
Boccia ist eine Präzisionssportart. Es braucht starke Nerven und viel Fingerspitzengefühl, um seine eigenen Bälle so nah wie möglich an den Zielball zu spielen. Die Entfernung variiert dabei zwischen 1,5 m und 10 m. Gerade bei missglückten Würfen ist es wichtig, sich davon nicht verunsichern zu lassen. Deshalb haben Anita Raguwaran und Boris Nicolai im vergangenen Jahr viel Mentaltraining absolviert, um an diesen Fähigkeiten zu arbeiten.
"Verhältnisse wie bei Amateuren"
Für viele internationale Spielerinnen und Spieler ist das erhöhte Trainingsaufkommen vor dem Paralympischen Turnier kein Problem. Sie sind Vollprofis und können mehr als doppelt so viel Zeit ins Training investieren als Raguwaran und Nicolai. Die Förderung in Deutschland ist gut, betonen beide Sportler. Speziell die Landesförderung hat sich im letzten Jahr deutlich verbessert. Trotzdem müssen beide Vollzeit arbeiten und trainieren pro Woche ca. 8-10 Stunden in der Halle. "Wir sind im Hochleistungsport, wir sind in der Weltspitze, aber mit Verhältnissen wie bei Amateuren", beschreibt Vereinstrainer Wolfgang Blöchle die Bedingungen.
Erst Paralympics, dann Prüfung
Deshalb wird der Sport bei Anita Raguwaran nach den Paralympics ein wenig in den Hintergrund treten. "Danach muss ich anfangen zu pauken." Anfang 2025 steht für die Assistenz-Ärztin der Radiologie ihre Facharzt-Prüfung an.