Ein Jahr vor Paris 2024 Razzien, Skandale und Champagner
Ein Jahr vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Paris nehmen die Aufregungen in Frankreich zu. Es gibt Zweifel am Verkehrskonzept, die Büros des Organisationskomitees wurden von der Polizei durchsucht und falsche Tickets wurden auch noch in den Onlineverkauf gestellt.
Die Ausrichtung Olympischer Spiele ist eine komplexe Angelegenheit. Das bemerkt derzeit auch die französische Bevölkerung. Die hat nicht nur mit den Auswirkungen der Randale nach der Ermordung des 17-jährigen Nahel Merzouk und der parallel entbrannten Diskussion um rassistische Haltungen innerhalb der Polizei zu kämpfen.
Olympia-Begeisterung in Frankreich nimmt ab
Auch die Rentenreform der Regierung von Präsident Emmanuel Macron ist ein Aufreger. Und in den vergangenen Wochen halten zudem Pannen, Razzien und Skandale rings um das Organisationskomitee der Olympischen Spiele 2024 in Paris viele in Atem.
Einer Umfrage des Instituts Odoxa zufolge sank die Zustimmung zu den Spielen seit September 2021, also nach dem Ende der Olympischen Sommerspiele in Tokio, von 76 Prozent auf jetzt 58 Prozent. Das lässt den Schluss zu, dass immer noch die Mehrheit der Franzosen sich auf die Spiele im eigenen Land freut. Aber es ist nur noch eine knappe Mehrheit.
Polizei-Razzia wegen Korruptionsverdachts
Das Umfragetief wurde auch durch eine Großrazzia der Antikorruptionseinheit der Pariser Polizei sowohl am Sitz des Ausrichterkomitees als auch bei Unternehmen, die direkt mit dem Bau von Sportstätten und dem Marketing für die Spiele beauftragt wurden, ausgelöst.
Die Ermittlungen gehen bis ins Jahr 2017 zurück. Es besteht der Verdacht von persönlicher Vorteilsnahme im Zusammenhang mit öffentlichen Geldern und auf Interessenkonflikte einzelner Beteiligter. Tatsächlich sind die Verflechtungen zwischen Organisationskomitee und beauftragten Firmen sehr dicht.
Etienne Thobois, ein früherer Badmintonspieler und Generaldirektor des Bewerbungskomitees für die Olympischen Spiele, ist zugleich Gründer der Beratungsagentur Keneo. Die bekam im Mai 2017, vier Monate vor der Bekanntgabe von Paris als Ausrichterstadt, zwei Millionen Euro im Kontext der Bewerbung überwiesen.
Der Hauptsitz des Organisationskomitees in Paris
Keneo war zu dieser Zeit allerdings schon von der japanischen Firma Dentsu aufgekauft. Die steht ihrerseits im Mittelpunkt der Korruptionsermittlungen rings um die Spiele von Tokio. Ein früherer Miteigner von Keneo arbeitet inzwischen ebenfalls beim Organisationskomitee von Paris 2024.
Illegale Arbeiter auf Olympia-Baustellen
Razzien wurden auch bei Solideo durchgeführt. Die Firma ist unter anderem mit dem Bau des Athletendorfes und des Medienclusters beauftragt. Außerdem war ebenfalls im Juni bekannt geworden, dass auf Olympiabaustellen von Solideo illegale Arbeiter beschäftigt wurden.
Solideo-Chef Nicolas Ferrand ging prompt in die Offensive. "Es handelt sich um schwere Vorkommnisse. Mindestens ein Dutzend Arbeiter ist betroffen. Wir haben die Arbeiten auf dieser Baustelle vorübergehend eingestellt. Das Einhalten der Arbeitsrechte ist wichtiger", sagte er. Und er betonte: "Es ist ein Zeichen, dass die Kontrollen funktionieren."
Das Aquatic Center in Paris für die Schwimmwettbewerbe
Paris 2024 gibt Umfrage in Auftrag
Auch das Organisationskomitee schob nach. Kaum war die Umfrage mit dem gesunkenen Zuspruch der Bevölkerung veröffentlicht, brachte Paris2024 eine selbst in Auftrag gegebene Umfrage heraus. Danach stehen 72 Prozent der Franzosen den Spielen weiterhin positiv gegenüber, 65 Prozent glauben, dass die Tourismusdestination Frankreich von dem Event profitiere, und 58 Prozent meinen, dass das Sportgroßereignis in Frankreich Stolz auslösen werde.
Die Umfrage wurde von Harris International durchgeführt. Stolz ist eine etwas merkwürdige Kategorie bei einer solchen Großveranstaltung. Eine Pannenserie hatte zuletzt auch eher für Frust als für Stolz gesorgt.
Frust über Ticketpreise und falsche Tickets
Da sind zum einen die hohen Eintrittspreise für einzelne Sportveranstaltungen. Der Leichtathlet Jimmy Gressier klagte: "Tickets für die Leichtathletik wurden zu astronomischen Preisen von 290 bis 995 Euro vergeben. Wie kann man solche Preise für einen Sport, der die Basis ist, aufrufen? Er sollte zugänglich für alle sein."
Gressier, frisch gebackener Landesrekordhalter über 5.000 Meter, beschwerte sich auch darüber, dass selbst Athleten solche Preise zahlen müssten. Denn nur zwei Freikarten pro Athlet gibt es. "Wenn ich zehn Personen meiner Familie einladen möchte, wären das 6.000 bis 7.000 Euro. Das ist völlig außerhalb des Budgets, nicht nur für mich", sagte er.
In der Bretagne werden die offiziellen Maskottchen für die Spiele 2024 produziert.
Der Aufschrei wurde noch größer, als im Mai bekannt wurde, dass Tickets für falsche Wettkämpfe in den Verkauf gekommen waren. Wer zum Beispiel den 5.000-Meter-Lauf sehen wollte, hätte sich mit Speerwerfen oder dem 200-Meter-Lauf zufrieden geben müssen. Zumindest diese Panne ist laut Auskunft der Veranstalter behoben.
Verkehrsprobleme in Paris und Lille?
Weitere Sorgen bereitet das Verkehrskonzept. In den Bewerbungsunterlagen wurde noch von Fahrtzeiten vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle von 22 Minuten zum Medienzentrum und 30 Minuten zum Olympischen Dorf geworben. Die neuen Metrolinien 16 und 17, die das leisten sollen, werden wegen Verzögerungen im Bauablauf aber erst in Teilstücken 2026, 2028 und 2030 eröffnet. Nur die Linie 14, die etwas Entlastung verschaffen kann, soll im Juni 2024 fertig werden.
Valérie Pécresse, Präsidentin des Regionalrats der Region Île-de-France, rechnete gegenüber dem Sender "TF1" zur Eröffnungsfeier der Spiele mit einem "Freitagabend des großen Durcheinanders" aufgrund der erwarteten 600.000 Zuschauer des Open Air-Spektakels auf der Seine. Laurent Probst, Generaldirektor der Verkehrsbetriebe der Großregion Paris, warnte: "Nur bis zu 500.000 Personen können wir managen." Vielleicht nimmt aber auch die Lust auf Olympia ab, und so wird dann das Chaos vermieden.
Wie ein Bagatellproblem muten an, dass die Stadt Lille, in der unter anderem die Wettbewerbe im Handball und Basketball ausgetragen werden sollen, keine Extraspur auf der Autobahn für den Olympischen Verkehr zur Verfügung stellen möchte. Auch das wurde im Zuge der Bewerbung versprochen. Im Großraum Paris zumindest soll es diese Extraspur geben, meldete das Nachrichtenmagazin "20minutes.fr".
Gewerkschaftsaktivisten besetzen Olympia-Zentrale
Und auch die großen gesellschaftlichen Probleme erreichen mittlerweile die Olympiaplaner. Anfang Juni besetzten Gewerkschaftsaktivisten, die gegen die Rentenreform von Präsident Macron sind, kurz die Zentrale des Organisationskomitees. Ihr Slogan: "Keine Rente, keine Spiele."
Ein weiterer Paukenschlag war der Rücktritt der Präsidentin des Nationalen Olympischen Komitees der Gastgebernation, Brigitte Henriques. Sie klagte über eine "permanente Destabilisierungskampagne" von Seiten ihres Vorgängers. Beide Seiten reichten französischen Medien zufolge Klagen gegeneinander ein. Nachfolger wurde der Präsident des Weltradsportverbandes UCI, David Lappartient. Er gehört seit vergangenem Jahr auch dem IOC an. Der kurze Dienstweg zu IOC-Präsident Thomas Bach ist damit gewährleistet,
Die ehemalige Präsidentin des französischen Olympischen Komitees, Brigitte Henriques
Bach zeigte sich ohnehin recht unbeeindruckt von den Schwierigkeiten in Paris. Bei einem Medientreffen am 18. Juli erklärte er die Spiele von Paris zum "Beginn einer neuen Ära, den ersten Spielen, die nach dem neuen Programm ausgerichtet werden und ein Referenzpunkt für alle folgenden Spiele sein werden".
Imagekampagne mit Fernsehshow und Luxusmarken
Werbung im eigenen Land soll ab dieser Woche die Fernsehsendung "Aux Jeux, Citoyens!" ("Zu den Spielen, Bürger!") machen. Dort wird über den Fortschritt der Bauarbeiten berichtet, Freiwillige werden vorgestellt und Blicke hinter die Kulissen geworfen, die Lust auf das Event machen sollen. Als positiven Punkt nach einer ganzen Reihe von Niederschlägen konnte Organisationschef Tony Estanguet diese Woche endlich die Unterschrift unter einen Partnervertrag mit LVMH setzen. Dank dieses Premiumvertrags mit der Dachfirma von Luxusmarken wie Louis Vuitton, Dior, Moët-Hennessy und Chaumet kann nicht nur eine Deckungslücke geschlossen werden.
Die Juweliere von Chaumet sollen nach Auskunft von LVMH-Boss Antoine Arnault auch die Medaillen entwerfen. Und an Champagner aus dem Hause Moët & Chandon wird es ebenso wenig mangeln. Wen kümmern dann noch Korruptionsermittlungen, Verkehrsstaus für normale Olympiabesucher, Rentenproteste oder Arbeiter auf Baustellen, die außerhalb der Tarifbestimmungen angestellt wurden? ‚Kuchen und Spiele‘ hätte Marie-Antoinette, letzte - und guillotinierte - Königin von Frankreich, wohl gesagt.