Kritik von allen Seiten Der IOC-Entscheid, die Reaktionen und die Folgen
Das IOC wählt bei der Rückkehr russischer Athleten einen Kompromissweg - und fast alle sind unzufrieden. Ukrainische Athleten prüfen eine Klage, die Sportfachverbände reagieren unterschiedlich.
Kritik von allen Seiten prallt dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) aktuell entgegen. Viele Athletinnen und Athleten sowie Politiker prangern an, dass das IOC russische und belarusische Athleten wieder bei internationalen Wettbewerben zulassen will. Diese Empfehlung hat der Dachverband seinen Mitgliederverbänden am Dienstag (28.03.2023) mitgegeben - rechtzeitig zum Start der ersten Qualifikationswettbewerbe für Olympia 2024 in Paris.
Vor 13 Monaten hatte das IOC nach Russlands Einmarsch in die Ukraine noch einen Ausschluss empfohlen. Seitdem hat sich politisch nicht viel verändert, der russische Angriffskrieg mit Unterstützung durch Belarus läuft unvermindert brutal weiter. Vor diesem Hintergrund sehen viele Politiker keinen Anlass für eine Öffnung. Piotr Wawrzyk, Staatssekretär im polnischen Außenministerium, sprach von einem "Tag der Schande für das IOC".
Ukrainische Athleten prüfen Klage
Ukrainische Athleten prüfen gar eine Klage gegen die Entscheidung. "Wir werden uns diese Möglichkeit anschauen", sagte Wladislaw Heraskewitsch in einer Pressekonferenz am Mittwoch. Noch sei es aber zu früh, eine Entscheidung zu kommunizieren, meinte der Skeletoni, der seit Kriegsbeginn so etwas wie der inoffizielle Athletensprecher der Ukraine geworden ist.
IOC nennt Einschränkungen für Rückkehr
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hätte laut seinem Präsidenten Thomas Weikert eine Fortsetzung des Bannes befürwortet. Weikert hob im ARD-Gespräch aber auch die festgelegten Einschränkungen hervor. "Die Voraussetzungen, die das IOC benannt hat, sind sehr strikt, und das ist auch gut so. Nun muss man sich anschauen, wie das umgesetzt wird."
So legte das IOC fest, dass Teams aus Russland und Belarus weiterhin gesperrt bleiben sollen - das betrifft vor allem die olympischen Mannschaftssportarten Fußball, Handball, Basketball, Hockey, Volleyball, Rugby und Wasserball. Außerdem sollen Einzelsportler nur starten dürfen, wenn sie nicht beim russischen oder belarusischen Militär oder bei nationalen Sicherheitsbehörden unter Vertrag stehen.
Laut "Spiegel" sind dadurch rund drei Viertel der Athleten weiterhin ausgeschlossen. Diese Bedingung ist nach Meinung des Sportrechtsexperten Mark Orth allerdings "kaum zu überprüfen". So könne nur Russland oder Belarus die Frage beantworten, ob ein Athlet beim Militär oder bei nationalen Sicherheitsbehörde unter Vertrag stehe.
Hinzu kommt, dass Hymnen und Nationalsymbole verboten bleiben sollen und die Athleten den Krieg nicht aktiv unterstützen dürfen - wobei auch hier unklar bleibt, welche Kriterien dafür gelten.
Russisches NOK: "Kriterien absolut unzumutbar"
So kommt es, dass auch aus Russland scharfe Kritik an der IOC-Entscheidung zu hören ist. "Die verkündeten Parameter und Kriterien (...) sind absolut unzumutbar", teilte Russlands Nationales Olympisches Komitee (NOK) mit. Sportminister Oleg Matytsin bezeichnetet die Entscheidung als "inhuman" und "offen diskriminierend".
Wie werden Russland und Belarus nun reagieren? Denkbar ist, dass beide Nationen ihr Sportfördersystem so umstellen, dass die Athleten zumindest auf dem Papier unabhängiger werden von der Armee. Gleichzeitig werden sie wohl die Drohkulisse aufrechterhalten, eigene Strukturen außerhalb des IOC voranzutreiben.
Gemeinsame Wettbewerbe mit China und Co.?
Russische Medien hatten Mitte März berichtet, dass eine Delegation unter Leitung von Sportminister Matytsin in Neu-Delhi vorgeschlagen hatte, ein eigenes Sportfest abzuhalten, eine Art Sommerspiele für die Mitglieder der Shanghai Cooperation Organziation (SCO). In dieser sind neben Russland und Indien auch China, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Pakistan und Iran organisiert.
Solche Pläne scheinen IOC-Präsident Bach zu beeindrucken. Beim Politischen Forum Ruhr in Essen hatte er in der Vorwoche vor einem möglichen "Zerfall des internationalen Sportsystems" gewarnt, wenn das IOC Sportler aus politischen Gründen ausschließe. Dann werde es keine globalen, universellen Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele mehr geben.
Keine Rückkehr in der Leichtathletik, Kritik am Fecht-Verband
Und wie reagieren die Sportfachverbände? Viele werden den IOC-Empfehlungen wohl folgen. Die Leichtathleten (World Athletic) haben dagegen angekündigt, bei ihrer Entscheidung zu bleiben, auch Einzelathleten aus Russland und Belarus weiterhin bis zu einem Ende des Angriffskrieges auszuschließen. Ähnlich äußerte sich der Turn-Weltverband FIG, man wolle das Thema bei einer "kommenden Sitzung des FIG-Exekutivkomitees erörtern".
Die Internationale Biathlon-Union IBU und der Rodel-Weltverband FIL sehen trotz einer "Empfehlung" des Internationalen Olympischen Komitees aktuell keinen Grund für eine Rückkehr von Teams aus Russland und Belarus. "Angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine sind die Gründe, die zu der Entscheidung des Kongresses geführt haben, immer noch gültig. Die Zeit ist nicht gekommen, um diese Entscheidung zu überdenken", teilte die IBU auf SID-Anfrage mit.
Die Welt-Fechtverband (FIE) hatten dagegen eine Öffnung bereits am 10. März beschlossen, auch für Teams. Seitdem sieht sich die FIE scharfer Kritik seitens der Athleten ausgesetzt, mehr als 300 Fechter schrieben in einem offenen Brief von einem "katastrophalen Fehler". Der ukrainische Fechtverband will Veranstaltungen mit Teilnehmern aus Russland und Belarus boykottieren.
Zwischenlösungen im Fußball und Tennis
Die Fußballer sind bisher den Sonderweg gegangen, Teams aus Russland auszuschließen, Teams aus Belarus dagegen nicht. Der Europa-Verband UEFA erwägt mittlerweile, auch Belarus zu verbannen. Im Tennis waren die Profis zu keiner Zeit von WTA- und ATP-Turnieren ausgeschlossen, sondern nur in Wimbledon und bei Teamwettbewerben. Zuletzt gab es vermehrt Spannungen in der Szene.
Der IOC-Kompromiss dürfte die ohnehin schon großen Probleme und das Chaos in der internationalen Sportwelt weiter verschärfen. Denn am Ende der Kette stehen ja auch noch die Athletinnen und Athleten, die nun für sich die Entscheidung treffen müssen, wie sie mit der Situation umgehen müssen.