WADA-Präsient Witold Banka

Treffen mit deutschen Sportpolitikern WADA-Chef Banka schließt Rücktritt aus - Konter von Tygart

Stand: 10.08.2024 21:23 Uhr

Die WADA-Spitze trifft wegen der Affäre um nicht sanktionierte chinesische Dopingfälle in Paris deutsche Sportpolitiker – und stößt auf massive Kritik. USADA-Boss Tygart kontert derweil im ARD-Interview Attacken der WADA.

Von Hajo Seppelt, Peter Wozny, Sebastian Krause, Jörg Mebus und Jörg Winterfeldt

Eigentlich spielte das System der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in die Karten. Bei den Olympischen Spielen in Paris ist sie nicht für die Dopingkontrollen zuständig, sondern die Internationale Test-Agentur. Die WADA überwacht die Kontrollen nur. Die Rolle im Hintergrund kommt ihr im Augenblick sehr gelegen, weil sie dann nicht immer wieder lästigen Fragen beantworten muss. Etwa warum sie es durchgehen ließ, dass in China gleich mehrmals nach positiven Dopingproben chinesischer Schwimmer nicht statutengemäß vorgegangen wurde. Und warum alle Schwimmer am Ende heimlich straffrei blieben.

Doch kurz vor dem Ende der Olympischen Spiele holen die Versäumnisse die Anti-Doping-Bosse in Paris doch noch ein. In einem nicht öffentlich angekündigten Treffen mit einer Delegation des Sportausschusses des Deutschen Bundestages mussten WADA-Präsident Witold Banka sowie sein Generaldirektor Olivier Niggli und deren Chefjurist Ross Wenzel sich zur Rede stellen lassen. Am Donnerstagvormittag stand das WADA-Trio den Sportpolitikern aus Berlin in einem Hotel an der Porte Maillot fast zwei Stunden lang Rede und Antwort.

"Vorbehalte gegen die Führung"

In den Wochen zuvor hatten sich die Anti-Doping-Kämpfer vor solchen Situationen gedrückt. Eine Einladung in den Sportausschuss in Berlin hatte der Pole Banka kürzlich noch genauso ausgeschlagen wie eine Befragung im US-Kongress. Politiker in Deutschland diskutieren längst offen, ob Banka noch der richtige Mann an der Spitze der WADA ist. "Es ist ihm gesagt worden, dass es aus Reihen des Sportausschusses Vorbehalte gegen die Führung gibt", sagte SPD-Mann Christian Schreider nach dem Treffen, "er hat dies zurückgewiesen und persönliche Konsequenzen ausgeschlossen."

Insgesamt zeigten sich die Politiker nicht besonders überzeugt vom Vortrag der WADA-Führung. Sie muss sich seit Monaten dafür rechtfertigen, gleich zwei Mal Entscheidungen der Chinesischen Anti-Doping-Agentur abgesegnet zu haben, dass inzwischen insgesamt 25 Schwimmer wegen angeblicher Kontamination mit hochwirksamen Dopingmitteln nach positiven Dopingproben weder gesperrt noch deren Fälle öffentlich gemacht wurden.

Nebelkerze gezündet

"Aus meiner Sicht hat die WADA in diesem Gesamtkomplex viele Möglichkeiten verstreichen lassen, für Transparenz zu sorgen, für Aufklärung zu sorgen", sagte der CSU-Sportpolitiker Stephan Mayer. SPD-Sportausschuss-Mitglied Schreider sagt klar: "Wir erwarten, dass die WADA im Fall China weiter ermittelt." Mayer fordert "eine strukturelle und personelle Reform der WADA". Die WADA müsse "das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen. Und das kann aus meiner Sicht nur mit einem Neustart gelingen."

Just zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit den deutschen Politikern hatte die WADA eine Pressemitteilung herausgegeben, die wie eine Nebelkerze in dem Fiasko um die chinesischen Fälle wirkte. Darin wurde die US-Anti-Doping-Agentur (USADA), die derzeit schärfster Kritiker der WADA ist, ins Visier genommen: "Die USADA erlaubte gedopten Athleten, jahrelang an Wettkämpfen teilzunehmen, in mindestens einem Fall, ohne ihre Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen jemals zu veröffentlichen oder zu sanktionieren, was einen direkten Verstoß gegen den Welt-Anti-Doping-Code und die eigenen Regeln der USADA darstellt."

Ein abgekartetes Spiel?

Doch die WADA-Argumentation hatte einen Haken: Es ging darum, dass überführte Doper als Informanten in der Szene belassen wurden, um Informationen zum Doping anderer Athleten und Hintermänner zu liefern. Die WADA räumte selbst ein, spätestens seit 2021 informiert gewesen zu sein. Dass der Fall nun öffentlich wird – erst durch eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters, gleich danach durch ein offizielles WADA-Statement – wirkt nicht nur für die USADA wie ein abgekartetes Spiel.

"Wir wissen, dass die WADA einige Reporter auf die Spur gesetzt und ihnen sogar die Namen betroffener Athleten gegeben hat, was sehr bedauerlich ist. Ich glaube, der Grund, warum die WADA das tut, ist der Versuch, von Fragen abzulenken, die die 25 chinesischen Schwimmer betreffen“, sagte USADA-Chef Travis Tygart der ARD-Dopingredaktion.

"Als die Fälle im Jahr 2014 und davor aufkamen, also vor über zehn Jahren, hatte die damalige Führung der WADA unser Vorgehen gebilligt. Ebenso der zuständige internationale Verband. Er war eng daran beteiligt, die Informanten anzuleiten, das Vorgehen zu genehmigen und die Informationen zu nutzen, um systemisches Doping und Netzwerke aufzudecken, die Athleten ausnutzten oder sie in andere Straftaten hineinzogen. Jetzt, zehn Jahre später, gibt es eine neue Führung bei der WADA, die diese Instrumente nicht mehr einsetzen will“, ergänzte Tygart.

Die WADA bestreitet auf Anfrage, vor 2021 von den Vorgängen Kenntnis gehabt oder das Vorgehen abgesegnet zu haben. Sie behauptet, in einem der Fälle sogar von der USADA insofern getäuscht worden zu sein, als sie davon ausgegangen war, dass der betroffene Doper längst bestraft sei, während der noch jahrelang an Wettkämpfen teilnahm. Damals im Amt befindliche WADA-Spitzenfunktionäre waren auf Rückfrage der ARD zunächst nicht zu erreichen.

Tygart: WADA lehnt Undercover-Einsätze ab

Tygart sagt, die Regeln ließen solche Undercover-Einsätze von Dopern immer noch zu, "aber die WADA ist nachgiebig geworden: Sie hat gesagt, sie will so etwas nicht mehr.“ Das Vorgehen, dass Beschuldigte in Bedrängnis in die Offensive gehen, wie die WADA es nun offenbar gegen die USADA macht, kenne Tygart aus früheren Fällen.

"Das ist genau das, was Lance Armstrong getan hat, als ihm Fragen zu seinem Doping gestellt wurden, nämlich den Versuch, den Spieß umzudrehen und genau die Leute anzugreifen, die berechtigte Fragen stellen“, sagt Tygart, „wir verstehen, dass diese Art von Menschen so vorgeht. Es ist traurig, dass die Anführer für weltweit sauberen Sport und Integrität im Sport so handeln. Das zeigt eindeutig, dass sie etwas zu verbergen haben, denn warum sollte man nicht einfach die Akten öffnen und die grundlegenden Fragen beantworten?“

Seine Hoffnung auf Aufklärung in der China-Affäre setzt er inzwischen vermehrt auf Politiker, schließlich steuerten die Regierungen der Welt die Hälfte des jährlichen WADA-Budgets bei - mit den USA an der Spitze. "Es bedurfte explizit eines Schreibens des US-Kongresses, damit die WADA endlich zugibt, dass China sich nicht an die Regeln gehalten hat. Das hatten sie vor dem Brief an den Kongress nie eingestanden", sagt USADA-Chef Tygart, "man sieht also, was passiert, wenn Gremien mit Autorität Fragen stellen. Sie werden gezwungen, Fragen zu beantworten."

Der deutsche Sportpolitiker Mayer sagt, er habe der WADA-Führung um Banka geraten, sich noch in Paris den Fragen von Medien, etwa der ARD, vor laufender Kamera zu stellen, um "die fachliche Position der WADA darzustellen. Und ich habe es persönlich schon bedauert, dass dieser Vorschlag überhaupt nicht auf Anklang gestoßen ist und sofort abgeschmettert wurde."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 10.08.2024 | 07:30 Uhr