Eine Schwimmerin aus China bei den Olympischen Spielen

Neue Doping-Verdachtsfälle WADA winkt weitere chinesische Freisprüche durch

Stand: 30.07.2024 19:35 Uhr

Zwei chinesische Schwimmer, die 2022 positiv auf ein anaboles Steroid getestet worden waren, wurden heimlich freigesprochen - was die Welt-Anti-Doping-Agentur erneut ohne Beweis akzeptierte.

Von Hajo Seppelt und Jörg Winterfeldt

Der Skandal um dopingverdächtige chinesische Schwimmer nimmt immer größere Ausmaße an. Neuen Doping-Enthüllungen zufolge sind in einem weiteren bisher nicht bekannten Fall chinesische Top-Schwimmer positiv getestet worden.

Es handelt sich um zwei Schwimmer der chinesischen Nationalmannschaft, bei denen 2022 die im Sport verbotene Substanz Methandienon nachgewiesen wurde. Später wurden die beiden Nationalschwimmer in China freigesprochen, weil angeblich erneut ein Kontaminationsfall vorläge. Die Welt-Anti-Doping-Agentur ging nicht dagegen vor.

Olympiasiegerin von Tokio betroffen

Die Behauptung der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA, dass Fleischkontamination mutmaßlich ursächlich sei, wurde von der WADA akzeptiert, obwohl kein Beweis dafür erbracht wurde. Die eine Betroffene, Tang Muhan, zählte zu der Mannschaft, die bei den Olympischen Spielen in Tokio die 4x200-Meter-Freistilstaffel gewann. Sie wird an diesem Donnerstag in Paris versuchen, erneut Gold mit der Staffel zu gewinnen.

Der andere, He Junyi, nimmt zwar nicht an den Wettkämpfen in der französischen Hauptstadt teil, war aber ebenfalls einer der 23 Schwimmer, die angeblich 2021 mit dem Herzmittel Trimetazidin kontaminiert worden waren. Er wurde innerhalb von zwei Jahren also gleich zweimal heimlich vom Dopingverdacht freigesprochen.

Fälle wurden trotz vorläufiger Sperre nie öffentlich

Die jüngsten Fälle, über die am Dienstag in der "New York Times" berichtet wurde und die von Quellen der ARD separat bestätigt wurden, werfen weitere Fragen über eine Vorzugsbehandlung chinesischer Schwimmer auf. Auch ihre Fälle mit positiven Dopingproben wurden nie veröffentlicht, auch wenn diese Schwimmer - im Gegensatz zu den Trimetazidin-Fällen - zumindest eine Zeit lang vorläufig gesperrt worden waren.

Längst ist in vielen Ländern umstritten, ob die WADA ihre Rolle als globaler Kontrolleur von Dopingfällen angemessen wahrnimmt. Zuvor waren die WADA und die CHINADA wochenlang kritisiert worden, nachdem im April bekannt geworden war, dass 23 Schwimmer im Jahr 2021 durch angebliche Kontamination in einer chinesischen Hotelküche positiv auf das Herzmedikament Trimetazidin getestet, aber in aller Stille freigesprochen worden waren.

Chinesische Ermittler hatten behauptet, dass die verbotene Substanz angeblich versehentlich ins Essen des Restaurants des Hotels gelangt sei, in dem die Athleten untergebracht waren. Auch dieses Szenario konnte die CHINADA nicht belegen, aber die WADA unterstützte deren Erklärungen.

Positiver Test wird auf verunreinigte Hamburger zurückgeführt

Eine Untersuchung des jetzt bekannt gewordenen Falls der beiden positiv auf das anabole Steroid Methandienon getesteten Schwimmer, an der auch wieder staatliche Sicherheitskräfte beteiligt waren, konnte nicht genau feststellen, wie sie das Mittel aufgenommen hatten. Sie kam aber zu dem Schluss, dass eine unbeabsichtigte Kontamination durch das Essen eines Burgers mit Fleisch in einem Restaurant in Peking am wahrscheinlichsten sei.

Es wurde spekuliert, ob möglicherweise aus Australien nach China eingeführtes Rindfleisch dafür verantwortlich war. Es wurden angeblich nur geringe Mengen der Substanz nachgewiesen, was nach Ansicht der Ermittler eher auf eine Verunreinigung als auf vorsätzliches Doping hindeute.

"Keine Beweise, die das Kontaminationsszenario in Frage stellen"

Die WADA legte gegen dieses Urteil keinen Einspruch ein. Sie teilte der "New York Times" mit, sie habe "die gesamte Akte mit großer Skepsis und aller gebotenen Sorgfalt geprüft" und fügte hinzu: "Letztendlich gab es keine Beweise, die das von den Athleten und CHINADA präsentierte Kontaminationsszenario in Frage gestellt hätten."

Witold Banka, Olivier Niggli und Darren Mullaly (v.l.)

WADA-Funktionäre Witold Banka, Olivier Niggli und Darren Mullaly (v.l.).

Es gibt nachweislich Fälle, in denen kontaminiertes Fleisch für Dopingfälle mit einem anderen anabolen Steroid, Clenbuterol, verantwortlich gemacht wurde. Dies hat dazu geführt, dass die Regeln geändert wurden und Fälle von geringer Dosierung entweder als Verunreinigung oder als absichtliches Doping betrachtet werden konnten.

Bei Methandienon wurden jedoch keine derartigen Änderungen vorgenommen, und es sind nur in sehr geringer Zahl Zusammenhänge zwischen der Substanz und kontaminiertem Fleisch nachgewiesen worden.

Keine öffentliche Bekanntgabe - wie bei den Trimetazidin-Fällen

Die Anti-Doping-Bestimmungen besagen, dass positive Tests in aller Regel als Dopingverstöße behandelt werden. Es sei denn, dem Sportler war die Einnahme zu therapeutischen Zwecken ausnahmsweise erlaubt oder es wird ein Beweis für eine Kontamination gefunden. Selbst wenn sich herausstellt, dass den Athleten keine Schuld trifft, werden die Fälle in der Regel im Verlauf der Ermittlungen öffentlich bekannt gegeben.

Die chinesischen Behörden und die WADA wurden in den letzten Wochen nach Bekanntwerden der Trimetazidin-Fälle massiv kritisiert. Ihre Verteidigung stützt sich auf die Behauptung, dass die Substanz, die normalerweise als Herzmedikament verwendet wird, irgendwie in die Küche des Mannschaftshotels gelangen konnte und dort irgendwie in die Speisen der 23 betroffenen Athleten.

Dies wurde jedoch nie zweifelsfrei bewiesen, und die Quelle der Küchenkontamination wurde angeblich nie entdeckt. Neue Informationen, die der ARD durch einen chinesischen Whistleblower zugetragen wurden, lassen Zweifel daran aufkommen, ob alle 23 Schwimmer überhaupt in demselben Hotel untergebracht waren und ob sie alle über den Vorfall informiert wurden.

Die WADA erklärte, dass sie diesen Hinweisen aber nur unter der Bedingung nachgehen werde, dass der chinesische Whistleblower gegenüber der WADA seine Identität preisgibt und zu einem Gespräch bereit ist.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr