Die chinesische Schwimmerin Zhang Yufei über 100 m Schmetterling

Scharfe Kritik von Athletensprecher WADA geht Hinweisen nicht nach: China-Affäre geht weiter

Stand: 29.07.2024 22:17 Uhr

Trotz neuer Ansätze: Die WADA will die Authentizität von Recherche-Material der ARD-Dopingredaktion vorerst nicht überprüfen. Sie pocht auf Kontakt von Ermittlern zum chinesischen Whistleblower.

Von Hajo Seppelt und Jörg Winterfeldt

Nach Informationen der ARD-Dopingredaktion will die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) derzeit die Ermittlungen im Fall der 23 im Januar 2021 positiv auf ein verbotenes Mittel getesteten, aber nicht sanktionierten Schwimmer nur unter Bedingungen wieder aufnehmen. Die Affäre, in der die WADA der Entlastungstheorie der Chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA - ohne eigene Ermittlungen in China und ohne mit den betroffenen Schwimmern zu sprechen - gefolgt war, überschattet die Olympischen Spiele.

Athleten aus mehreren Nationen hatten in Paris gesagt, das Vertrauen in einen einheitlichen Anti-Doping-Kampf und die WADA verloren zu haben. Am Samstag hatten dann Ermittler der WADA und der Internationalen Test-Agentur (ITA) in Paris Recherche-Material der ARD-Dopingredaktion eingesehen. Es widerspricht Kernpunkten der chinesischen Entlastungstheorie und stellt damit die Glaubwürdigkeit der Theorie zusätzlich in Frage.

Whistleblower fürchtet Repressalien

Zum Schutz von Hinweisgebern waren Teile des Materials unkenntlich gemacht worden. Wie die ARD nun aus der WADA hört, reichen ihr die Hinweise offenbar wieder nicht für weitere Ermittlungen aus. Diese wolle die WADA nur unter der Maßgabe aufnehmen, dass sie direkten Zugang zum Whistleblower, zur Quelle, erhalte.

Bis dahin sei es auch unwahrscheinlich, dass sie die Möglichkeit in Paris nutzt, mit den betroffenen Athleten direkt zu sprechen, um die chinesische Geschichte zu überprüfen. Aus Furcht vor Repressalien in China lehnt der Whistleblower direkten Kontakt zur WADA ab. Er ist nach eigenem Bekunden mit den Informationen gerade deswegen an die ARD getreten, weil kein Vertrauen in die WADA herrsche, nachdem sie den Fall 2021 nach sechs Wochen Prüfung ohne Sanktionen und ohne ihn öffentlich zu machen, eingestellt hatte.

"Vorgehen grenzt an Erpressung"

Negativ ins Gewicht gefallen sei auch, dass sich aus dem unabhängigen Untersuchungsbericht samt Anlage zum Vorgehen der WADA in der China-Affäre eine besondere Nähe der WADA-Führung zur chinesischen Regierung herauslesen lässt: Am Tag, nachdem die Chinesen Mitte Juni 2021 ihren Beschluss zur Einstellung des Verfahrens mitgeteilt hatten, fand umgehend ein Telefonat zwischen WADA-Generaldirektor Olivier Niggli und Chinas stellvertretendem Sportminister statt.

Kevin Götz, der Athletensprecher im Deutschen Schwimmverband (DSV), ist entsetzt: "Für mich grenzt das Vorgehen an Erpressung, wenn die WADA erst dann aktiv werden will, wenn sie Zugang zur Quelle erhält, zum Whistleblower, wenn also dessen Identität preisgegeben werden soll", sagte Götz: "Denn es ist doch klar, dass die WADA zuletzt viel Vertrauen verspielt hat, und ich kann völlig verstehen, dass die Quelle unter den Voraussetzungen lieber anonym bleiben will, gerade wenn es ein Land wie China betrifft. Die Historie hat immer wieder gezeigt, wie dringend wir Whistleblower brauchen und, dass ihr Schutz oberstes Gebot ist."

"WADA wäre gut beraten, ihrem Auftrag nachzukommen"

Das von der CHINADA mit Unterstützung einer Regierungsbehörde aufgesetzte Papier entlastet die Schwimmer. Sie seien versehentlich mit dem Herzmittel Trimetazidin, das in ihrer Hotelküche in ihr Essen gelangt sei, kontaminiert worden und damit unschuldig. Das will eine Wochen später erfolgte Untersuchung anhand von Spuren des Mittels etwa im Küchenabfluss ermittelt haben, obwohl zur damaligen Covid-Zeit extrem gründliche Reinigungen und Desinfektionen regelmäßig stattgefunden haben.

Der ARD vorliegendes Recherche-Material würde diese Theorie an Kernpunkten empfindlich entkräften, sollte es sich als authentisch erweisen. Einerseits haben sich offenbar nicht alle Schwimmer im selben Hotel aufgehalten und dort gegessen, um alle dort kontaminiert worden sein zu können. Zum anderen haben viele offenbar vor dem Wettkampf in einer staatlichen Einrichtung in Peking zusammen trainiert, statt, wie von den Chinesen angegeben, über das Land verteilt. Somit könnten sie womöglich doch gleichzeitig mit dem verbotenen Mittel hätten gedopt werden können.

Die ARD-Dopingredaktion kann die Authentizität der Chats und Posts nicht in China überprüfen. Dass die WADA diese Vorgänge nur unter Bedingungen weiter untersuchen will, zumal es nun neue Anhaltspunkte gibt, entrüstet Athleten weltweit. "Die WADA wäre gut beraten, weniger Forderungen zu stellen", sagt der Athletenvertreter Götz, "und eher ihrem Auftrag nachzukommen und Ermittlungen anzustellen, die alle Hintergründe ans Licht bringen."

Köhler Vierte hiner Zhang

Am Samstag hatte Angelina Köhler über 100 m Schmetterling als Vierte eine Medaille knapp verpasst - hinter der drittplatzierten Chinesin Zhang Yufei. Zhang gehört zu den 23 dopingverdächtigen Schwimmerinnen und Schwimmern. Elf von ihnen sind bei Olympia in Paris gemeldet.

Schwimmerin Angelina Köhler guckt nach dem Rennen enttäuscht. Bild: imago / Laci Perenyi

Koehler

Weltmeisterin Köhler war nach dem Rennen in Tränen aufgelöst. "Es hat einen bitteren Beigeschmack", sagte die 23-Jährige.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr