Spanisches Team bei der Eröffnungsfeier

Gewarnte Athleten, nicht sanktionierte Positivfälle Spaniens Versagen im Anti-Doping-Kampf

Stand: 29.07.2024 18:36 Uhr

Seit Jahrzehnten steht Spanien für seine halbherzigen Anti-Doping-Bemühungen in der Kritik. Zu den Olympischen Spielen in Paris offenbart sich das ganze Ausmaß des Versagens.

Von Hajo Seppelt, Edmund Willison und Jörg Winterfeldt

Wenn es Länder gab, denen die französische Art einer Eröffnungsfeier in die Karten spielte, dann gehörte Spanien gewiss dazu. Die Mannschaften schipperten auf Booten die Seine hinunter, weit genug weg von den Fernsehkameras. So konnte niemand so ganz genau ausmachen, wer da im olympischen Trubel genau zu Wasser mitfeierte.

Hätte das Ganze wie üblich per Einmarsch ins Stadion stattgefunden, wäre Spanien das Risiko gelaufen, dass so mancher Fachmann genauer einer Frage nachgegangen wäre: Marschiert in der Delegation des Königreichs genauso ungeniert wieder jener Mann vorweg, der die Spanier zuvor schon neun Mal als olympischer Chef de Mission bei Olympischen Spielen angeführt hat – Cayetano Cornet, ein früherer nationaler Rekordläufer?

"Wachstumshormon, Testosteron, Anabolika“

Die Personalie ist heikel, seit die ARD-Dopingredaktion kurz vor Olympia heimlich gedrehte Aufnahmen eines Gesprächs von Undercover-Journalisten mit Spaniens wohl berühmtestem Doping-Doktor ausstrahlten: Eufemiano Fuentes, der Mann, der Deutschlands früherem Tour-de-France-Star Jan Ullrich die leistungsfördernden Eigenblutinfusionen organisierte, plauderte vor laufender Kamera in einem Madrider Hotel aus, wie er eben jenem Cornet alles besorgt haben will, was illegale sportliche Bestleistungen garantieren kann – "Wachstumshormon, Testosteron, Anabolika".

Dass Cornet von den Enthüllungen offenbar unbeeindruckt nach Paris reiste, ist gesichert, aber aus der Ferne auf dem Dampfer konnte ihn kaum einer mit Sicherheit ausmachen. Dass die Spanier Cornet trotz der schweren Anschuldigungen in der Führungsrolle mit nach Paris genommen haben, charakterisiert ziemlich treffend das Verhältnis des Landes zum Anti-Doping-Kampf in den vergangenen Jahrzehnten.

Das lässt sich am besten an der Person Fuentes festmachen, der in der Dokumentation "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele", einräumt, spanische Athleten für Olympia 1992 in Barcelona im Staatsauftrag medizinisch getunt zu haben. Doch alle Verfahren gegen ihn endeten jeweils ohne Verurteilung, die Namen vieler prominenter Kunden kamen bisher nicht heraus.

Fuentes: Blutdoping anders als früher

Im mit versteckter Kamera gefilmten Interview prahlt der Dopingarzt, dass er sich immer noch mit Blutdoping so gut auskennt, dass kein Athlet aufflöge, würde er nur fachmännisch behandelt: "Ich mache es zwar nicht mehr, aber ich weiß, dass es andere machen. Sie infundieren nicht mehr einen ganzen Blutbeutel, denn das würde in deinem Blutprofil auffallen. Sie nehmen nur einen halben Beutel. Oder sie dritteln ihn sogar. Anstelle der vollständigen Menge von 500 Millilitern werden am ersten Tag 150 Milliliter zugeführt, fünf Tage später wieder 150 Milliliter und nach zehn Tagen noch einmal 150 Milliliter. Also ein progressiver Anstieg. So verändern sich die Werte nicht!"

Die ARD bat den von ihm belasteten spanischen Chef de Mission in Paris um ein Interview. Cornet ließ mitteilen, er sei zu beschäftigt während Olympia. Der ARD-Dopingredaktion liegen nun weitere Hinweise auf gravierende Unregelmäßigkeiten in Spanien vor. Spanische Athleten sollen vorab über eigentlich unangekündigte Dopingkontrollen informiert worden sein, in einer anonymen Umfrage unter Leichtathleten ihrer Majestät haben fast zehn Prozent eingeräumt zu dopen. Und Spaniens Anti-Doping-Kämpfer hatten gleich mehrmals Hinweise auf Doping, die sich aus dem Blutpass spanischer Athleten ergeben hatten, nicht sanktioniert.

Verfehlungen bei CELAD

So sorgte selbst eine in Spaniens Medien inzwischen zaghaft erwachende Kritik am Chef der nationalen Anti-Doping-Agentur CELAD im Januar dafür, dass der Mann schließlich seinen Hut nehmen musste. Gleich mehrere Fälle verschleppter oder ähnlich nachsichtig ohne Sperre abgewickelter Verfahren nach positiven Dopingproben führten zum Rauswurf von José Luis Terreros, nachdem sich in den Tagen zuvor sogar die WADA kritisch über ihn geäußert hatte.

Dabei war den Wächtern über den weltweiten Kampf gegen Doping seit Jahren bekannt, dass in Spanien nicht alles ordnungsgemäß läuft. So begutachtete die WADA im November 2019 Spaniens nationale Anti-Doping-Agentur und notierte gleich mehrere Verfehlungen. Am schwersten wog im Abschlussbericht: "Das Prüfteam stellt fest, dass es bei den folgenden biologischen Athletenpässen zu atypischen Ergebnissen gekommen ist, sie aber bisher keinem Verfahren gemäß Code-Artikel 7.5 unterzogen wurden." Dann wurden Codenummern zu drei Athletenpässen aufgeführt.

Ungeklärte Frage zu Konsequenzen

Warum am Ende zumindest ein Teil der Fälle offenbar konsequenzlos blieb, ist bis heute ungeklärt. "Die WADA hat beim CAS gegen eine Reihe spanischer ABP-Fälle Berufung eingelegt, die derzeit noch anhängig sind. Die WADA hat auch das Ergebnismanagement einer Reihe anderer spanischer ABP-Fälle an die zuständigen internationalen Verbände übertragen. Diese Fälle sind ebenfalls noch anhängig", teilt die Welt-Anti-Doping-Agentur auf Anfrage mit: "Darüber hinaus hat die unabhängige Ermittlungsabteilung der WADA vor einigen Monaten eine Untersuchung über angebliches Fehlverhalten im spanischen Sport eingeleitet.“

Der Schutz der Betrüger

Seit Jahren werden die Strukturmängel in Spaniens Anti-Doping-Kampf vom Juristen Alberto Yelmo angeprangert. Er war früher Mitglied des externen Rechtsbeirats von CELAD. "Der Präsident des Hohen Rates für Sport ist gleichzeitig der Präsident der spanischen Anti-Doping-Agentur“, sagt Yelmo, "das schafft einen klaren Interessenkonflikt. Denn es ist schwierig, Medaillen gewinnen und die Leistung verbessern zu wollen und gleichzeitig gegen Doping vorzugehen."

Außerdem stieß Yelmo bei Recherchen auf fast ein halbes Dutzend Fälle möglichen Blutdopings, das CELAD nicht sanktioniert hatte. Ein beteiligter Rekordathlet hätte trotz seiner auffälligen Blutwerte sogar weiter staatliche Förderung erhalten, sagt Yelmo. "Ich glaube, die CELAD wurde zu einer düsteren Organisation. Keine Transparenz", klagt Yelmo, "es gab mehr Interesse daran, den Kampf gegen Doping zu bekämpfen, als Doping selbst zu bekämpfen."

Druck nicht ausreichend

Tatsächlich liegen der ARD-Dopingredaktion mehrere voneinander unabhängige Hinweise aus dem Umfeld spanischer Athleten vor, die darauf hindeuten, dass Sportler womöglich aus der CELAD vor anstehenden Kontrollen gewarnt worden sein könnten – auch vor den Olympischen Spielen noch. Eine unrühmliche Rolle im Fall Spanien scheint die Welt-Anti-Doping-Agentur zu spielen. Nicht nur, weil sie offenbar in der Affäre der nicht geahndeten Blutpassfälle nach 2019 kaum ausreichenden Druck ausübte.

Auch hat sie die Doper in der Operacion Puerto, Fuentes' Blutdoping-Skandal vor 20 Jahren, nicht mit aller Schärfe verfolgt. So geht aus den Protokollen früherer Vorstandstagungen hervor, wie ausgerechnet der Generaldirektor der WADA, Olivier Niggli, mehrmals davor gewarnt hat, die von Fuentes gedopten Sportler an den Pranger zu stellen.

Haftungsrisiko zu hoch

"Wie könnte die WADA es potenziell rechtfertigen, die Namen zu veröffentlichen", wird Niggli in einem Tagungsprotokoll von Mai 2017 zitiert, "und so tatsächlich den Ruf der Athleten zu schädigen, nachdem die Verjährung eingesetzt hat." Die WADA konnte da in Lausanne laut Vorstandsprotokoll auf 116 Blutproben zugreifen, 27 verschiedene DNA lagen vor.

Doch Niggli ging es offenbar mehr um den Schutz der Betrüger und die Sorge um die Finanzen. Er warnte vor "Kosten, die damit verbunden sind" und "dem großen Risiko der Haftung", sollten die Namen der Doper nach Ablauf der Verjährung durch die WADA öffentlich werden.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr