Die japanische Breakerin AMI
Reportage

Breaking bei Olympia Party und Politik: Wie die Breaking-Girls Olympia bereichern

Stand: 10.08.2024 11:28 Uhr

Die Sportart Breaking feiert eine umjubelte Olympia-Premiere im 3x3-Tollhaus an der Place de la Concorde und mit der ersten Olympiasiegerin Ami. Die Tanz-Show hinterlässt auch eine politische Botschaft einer Afghanin.

Die zwei Stadionsprecher mussten es gleich mehrmals betonen an diesem langen Tanz-Abend am Freitag (09.08.2024): "Ihr seid gerade Zeugen, wie Sportgeschichte geschrieben wird. Breaking feiert sein olympisches Debüt!", schrien die Hosts immer wieder. Die beiden wuselten unentwegt über die Bühne an der Place de la Concorde, dem Epizentrum der hippen und coolen Sportarten bei diesen Olympischen Sommerspielen. Das Mikrofon hielten sie nah an ihre Münder, immer dabei, die Stimmung hochzuhalten.

Um sie herum kreiselten Frauen auf dem Boden und hüpften danach über die Tanzfläche, ehe sie wiederum Räder, Rollen und Salti vorführten - weniger als alle halbe Minuten war ein Raunen zu vernehmen. Zu lauten Electro- und Hip-Hop-Beats aus den dicken Lautsprechern. An diesem Ort, wo das 3x3-Basketballstadion zur Breaking-Arena umfunktioniert wurde. Korb weg, DJ-Pulte für Plash One aus Polen und Fleg aus den USA und einen überdimensionalen Ghettoblaster dahinter als Verzierung rein. In der Mitte die kreisrunde Tanzfläche.

Zeit für Breaking, eine neue olympische Sportart, die es zwar eigentlich seit den 1970er Jahren im New Yorker Stadtteil Bronx gibt, früher auch bekannt unter dem Namen "Breakdance", den die Szene heute nicht mehr benutzt. Jedes Wochenende trafen sich damals junge Leute, aus dem Ghetto-Blaster tönten Hip-Hop-Beats, getanzt wurde auf eine neue, eigene Freistil-Art, nach und nach schwappte sie auch nach Europa und die anderen Erdteile über.

Von Teenies bis zur 41-jährigen Ayumi ist alles dabei

Breaking, das ist viel Gekreisle am Boden - und ganz viel Bein- und Fußarbeit im Stehen, bei den Besten sieht das wie pure Kunst aus. Hier an der Place de la Concorde wirbelten die B-Girls, wie die Tänzerinnen genannt werden, im Medaillenkampf nur so über die kreisrunde Fläche.

Es war eine bunte Truppe, die sich da maß: Athletinnen aus zwölf Nationen hatten sich für die 17 Plätze qualifiziert, ein völkerverbindender Sport, deutsche Frauen und Männer (am Samstag) schafften die Quali für Paris nicht. Und von Teenies wie der 17-jährigen Silber-Gewinnerin Nicka aus Litauen bis zur 41-jährigen Japanerin Ayumi, einer Grundschullehrerin, war am Freitag altersmäßig eben auch alles dabei.

Ami aus Japan sichert sich Olympiasieg vor Litauerin Nicka

Alle B-Girls haben Künstlernamen, es ist ein kreativer, künstlerischer Sport für Freigeister. Dabei treten sie in kurzen Runden gegeneinander an. Am Ende jeder Runde bewertet eine neunköpfige Jury die Vorstellung. Wer die meisten Stimmen holt, gewinnt. Geschichte schrieben daher nun vor allem die Olympiasiegerin Ami aus Japan, die Litauerin Nicka und die Bronze-Gewinnerin 671 aus China. Letztere nennt sich übrigens so, weil die Nummer auf Chinesisch genaus ausgesprochen wird wie ihr Name Liu Qingyi.

Direkt nach dem Olympiasieg gab Ami den ersten Fans Autogramme und stand für Selfies zur Verfügung, eine Nähe, die man sonst eher nicht bei Olympia sieht. In Trainingshose, T-Shirt, Hoodie und Jacke breakten die B-Girls - und ließen sich danach dann ausgiebig gemeinsam feiern. "Es ist die Crème de la Crème", sagte der eine Stadionsprecher. "Das sind Superheldinnen", fügte der andere hinzu.

Afghanische Breakerin Talash sendet politische Botschaft

Superheldinnen, die aber durchaus ihre ganz eigenen Geschichten zu den Olympischen Spielen mitbrachten - und zumindest einmal auch einen eigenen Umhang: Die Afghanin Talash, fürs Refugee Team angetreten, zog ihren weiten Pulli aus und lüftete einen blauen Umhang. Darauf stand in weißer Schrift: "Free Afghan Women" - "befreit afghanische Frauen". Ihre Vorkampfgegnerin India applaudierte ihr.

Talash ist nach der Machtübernahme der Taliban aus ihrer Heimat geflohen und tritt in Paris als Mitglied des Flüchtlingsteams an. "Wäre ich in Afghanistan geblieben, hätte ich nicht überlebt", sagte sie der BBC. "Sie hätten mich exekutiert oder zu Tode gesteinigt." In ihrer Heimatstadt Kabul habe sie Todesdrohungen erhalten.

Politische Botschaften sind Sportlern bei olympischen Wettkämpfen eigentlich untersagt. Vor den Spielen in Tokio 2021 hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) allerdings die Regel 50.2 der Olympischen Charta modifiziert. Demnach könne protestiert werden, solange die Prinzipien des Olympismus eingehalten werden.

Olympia "aufregende Plattform" für die Sportart

Breaking hat so an diesem Freitagabend eine Mischung aus Politik und Party geschafft. Schließlich sorgten die B-Girls neben Talashs Botschaft auch noch für eine äußerst ausgelassene Stimmung in der Arena an der Place de la Concorde, nachdem der Rapper Snoop Dogg das Event eröffnete: "Es ist absolut fantastisch. Das Publikum ist beeindruckend", sagte Raygun. Sie stammt aus Australien, heißt eigentlich Rachael Gunn - und forscht neben ihrer Breaking-Karriere auch noch als Wissenschaftlerin zur "Kulturpolitik des Breaking".

"Ich finde es so aufregend, dass wir diese Plattform Olympia haben. Es war heute wie ein Battle, das wir außerhalb der Spiele haben. Die Veranstalter haben einen guten Job gemacht, wie sie Breaking bei den Spielen präsentiert haben", sagte die 36-jährige Raygun, die sich bereits in der Vorrunde verabschiedete. Die dazu aber auch erklärte: "Ich bin immer ein Underdog. Wir haben in Australien nicht dieselbe Infrastruktur wie die anderen in Asien oder Europa." Sie war einfach nur froh, dabei zu sein.

Die australische Break-Tänzerin Rachael Gunn

So funktioniert Breaking: Die Regeln

Sportschau Olympia 2024, 22.07.2024 15:15 Uhr

Raygun sorgt im Duell mit Logistx für Lacher

Und die erfahrene Breakerin sorgte auch für die ersten Lacher auf der Tribüne. Noch früh im Wettkampf traf sie auf die US-Amerikanerin Logistx - und neckte sich heftig im Tanzkreis, erst triezte Logistix sie, dann triezte sie bei ihren Tricks zurück. So etwas gehört zum Battle dazu, Logistx antwortete darauf dann mit heftigen Stunts: per Rückwärtsrolle in den Handstand - oder später auch aus dem Rad heraus zum Rückwärtssalto und zurück auf die Füße. Die Leute in der völlig überfüllten Arena klatschten und schrien. Die neue Sportart wurde entsprechend angenommen.

Aber gut, wie kann das auch anders sein, welche Luftsprünge, welche Akrobatik zeigten die Frauen doch. Und dann drehten sie sich auch noch Breaking-echt auf ihrem Kopf um die eigene Achse. Erster Gedanke: "Dass die keinen Drehwurm kriegen!" Es ist die Art zu tanzen, die in Clubs oder Konzerten dafür sorgt, dass sich Kreise um Menschen bilden. So wie hier eben auch unterm riesigen runden Plastikplanendach in Paris.

Los Angeles 2028 findet ohne Breaking statt

Dabei schwang trotz all der Freude immer auch mit, dass die Premiere am Freitag auch gleich wieder eine Abschiedsvorstellung war. Erst einmal bleiben Nicka, Ami und 671 die einzigen Medaillengewinnerinnen der Sportart. Die Organisatoren in Paris setzten sich für sie als Teil der Spiele ein, der nächste Olympia-Austragungsort Los Angeles verzichtet 2028 auf Breaking und holt etwa Flag Football, Lacrosse oder Baseball hinzu.

"Es war enttäuschend, dass unser Sport nicht für LA ausgewählt wurde, ohne die Chance zu haben, sich vorher bei den Olympischen Spielen zu präsentieren", findet Raygun. "Vielleicht ärgern sie sich jetzt ja, weil es auch großartige amerikanische Breakers gibt." Es sei aber nicht das Ende für Breaking.

Erst einmal sowieso nicht, weil am Samstag in Paris ja noch die B-Boys antreten. Aber auch aus einem anderen Grund, den man an der Place de la Concorde betrachten konnte: Unweit von der Wettkampfstätte waren mitten in der freien Fläche zwei weitere Pulte für DJs aufgestellt, die für Stimmung auf einer kleinen Bühne sorgten. Vor ihnen tanzten zwei Breaker - und eine Schar von Kindern um sie herum. Den Nachwuchs erreicht die Sportart also offenbar, auch außerhalb des olympischen Wettkampfs. Was sie künftig doch wieder interessant fürs IOC machen könnte.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr