Olympische Spiele in Paris Boxen bei Olympia - eine angeschlagene Beziehung
Boxen zählt zu den ältesten Sportarten bei den Olympischen Spielen, allerdings wird über die Zukunft seit Jahren gestritten. Ungeachtet davon wollen in Paris drei Deutsche an glorreiche Zeiten anknüpfen. Doch ihre Auftakthürden sind teilweise sehr hoch, das Selbstvertrauen aber ebenso.
Boxen bei Olympia hat so viel Tradition wie nur wenige Sportarten, seit 1904 ist der Faustkampf im olympischen Programm und war bis auf eine Ausnahme 1912 (in Schweden war Boxen damals noch verboten) immer vertreten, wenn Wettkämpfe unter den fünf Ringen abgehalten wurden. Doch das Verhältnis zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee IOC und dem Amateurboxverband IBA (vormals AIBA) kriselt gewaltig.
Umstrittene Kampfrichterentscheide, undurchsichtige Geldflüsse inklusive hoher Verschuldung und teils zwielichtige Persönlichkeiten in den Führungspositionen der IBA haben die Olympia-Verantwortlichen auf Distanz gehen lassen. Und zwar so weit, dass das IOC 2019 beschlossen hat, die IBA zu suspendieren. Die wollte das natürlich nicht akzeptieren und klagte. Erst vor dem CAS und nun vor einem Schweizer Bundesgericht. Der Kampf um das olympische Boxen ist in vollem Gange, die traditionsreiche Sportart wackelt und ist angezählt.
Damit in Paris nach der IBA-Suspendierung überhaupt geboxt werden kann, muss wie schon 2021 in Tokio das IOC als Ausrichter einspringen. Eine entsprechende Taskforce organisiert das Turnier. Doch die IBA sorgt von außerhalb des Rings für Störfeuer, will das Handtuch einfach nicht werfen. So hat der Verband Ende Mai mitgeteilt, dass er jede Goldmedaille mit 100.000 Dollar belohnen will. Silber soll 50.000 und Bronze 25.000 Dollar bringen. Insgesamt 3,1 Millionen wollen die Ausgeschlossenen an Prämien zahlen.
Hoffnungen liegen auf Tiafack
Von all dem nicht ablenken lassen will sich der Deutsche Boxsport-Verband (DBV), der in Paris mit zwei Sportlern und einer Sportlerinnen vertreten ist. Die größten Hoffnungen ruhen dabei auf Superschwergewichtler Nelvie Tiafack, der 2022 Europameister wurde und nun auch bei Olympia ganz oben auf dem Podest stehen will. Entsprechend offensiv hatte er seine Pläne für die Spiele kommuniziert: "Ich fahre ganz sicher nicht nur nach Paris, um dort Fähnchen zu schwenken. Ich fahr' da hin, um abzuräumen."
Bei der erfolgreichen Qualifikation im italienischen Busto Arsizio in der Gewichtsklasse über 92 Kilogramm zeigte der 25-Jährige vom S. C. Colonia 06 bereits, welche Qualitäten in ihm stecken. Nach dem Turnier musste er in Folge einer Operation am rechten Daumen allerdings ein paar Wochen pausieren.
Er startet am Montag in das Boxturnier und trifft in seinem Achtelfinale auf den Aserbaidschaner Mahammad Abdullayev, gegen den er bereits einmal gewinnen konnte, aber auch schon eine Niederlage einstecken musste. Bei einem Sieg würde im Viertelfinale mit Joshua Edwards dann der nächste Brocken warten. Der US-Amerikaner ist die Nummer 1 der Setzliste.
Nelvie Tiafack zeigte sich im Vorfeld bereits in Olympia-Stimmung.
Schachidov rückt auf den letzte Drücker nach
Dass auch Magomed Schachidov noch zu Olympia-Ehren kommt, hatte sich erst ganz kurzfristig ergeben und hängt mit der Disqualifikation eines anderen Boxers zusammen. Weil dem Türken Tuğrulhan Erdemir ein Dopingvergehen nachgewiesen wurde, stößt der 29 Jahre alte Halbmittelgewichtler (bis 71 kg), der einst mit seiner Familie aus den Kriegswirren von Tschetschenien nach Deutschland geflohen war, auf den letzten Drücker noch zum deutschen Team. Schachidov hatte bei der Europaqualifikation in Polen gegen Erdemir verloren - allerdings unter kontroversen Umständen.
Weil nun der Internationale Sportgerichtshof CAS den Einspruch Erdemirs zurückwies, vergab das Internationale Olympische Komitee den Platz an Schachidov. Damit kann er auch seinen Vater mit Stolz erfüllen: "Es ist einfach der Wunsch meines Vaters, sein Traum, dass er mich eines Tages dort sieht", hatte der Boxer vom TSV 1860 München einmal gesagt. Für ihn geht es auch um viel Prestige in der Heimat: "Wer zu den Olympischen Spielen fährt, ist bei uns der Held und hat einen bestimmten Ruf." Sein Olympia-Abenteuer startet mit einem Kampf gegen den weitgehend unerfahrenen Tiago Muxanga aus Mosambik.
Der Ringrichter hebt die Hand von Magomed Schachidov und signalisiert damit den Gewinn von EM-Bronze im Jahr 2022.
Klötzer strebt forsch nach Gold
Bei den Frauen liegen die deutschen Hoffnungen auf Maxi Klötzer. Die 24-Jährige vom BC Chemnitz 94 geht in der Klasse bis 50 Kilogramm - dem Fliegengewicht - an den Start. Und sie hat große Ambitionen: "Mein Ziel ist Olympia-Gold." Diese forsche Ansage hatte sie schon im April von sich gegeben.
Doch der Weg dahin, wird sehr schwer, die Auslosung hat es auch mit ihr nicht wirklich gut gemeint. Sie trifft in ihrem Auftaktkampf am Sonntag (12.20 Uhr) auf die Inderin Nikhat Zareen. Und die ist immerhin die Weltmeisterin von 2022 und 2023. Die sächsische Athletin muss damit bereits in ihrer Olympia-Premiere, die zugleich ihr 100. Box-Kampf sein wird, alles raushauen.
Wie auch Tiafack hatte sich Klötzer in Italien das Ticket für Paris gesichert. Zuerst kam gar nicht bei ihr an, was sie gerade geschafft hatte. "Ich habe gar nichts mehr gefühlt, außer Freude. Ich habe nur noch geweint und konnte es nicht realisieren", erklärte Klötzer. Seitdem hat sie monatelang an ihrem großen Ziel gefeilt, in Trainingscamps mit internationalen Hochkarätern. Nun wird sich gleich im ersten Kampf zeigen, was die lange Vorbereitung wert gewesen ist.
Maxi Klötzer kämpft gegen Alua Balkibekova im Qualifikationsturnier. Durch ihren Sieg darf sie zu Olympia.
Hoffnungen auf größeres Team erfüllten sich nicht
Mit nur drei Aktiven also reist der Deutsche Boxsport-Verband nach Paris. Nur durch das Nachrücken von Schachidov konnte ein Nachkriegs-Tiefstwert vermieden werden. Bereits 2021 in Tokio war das deutsche Team nur drei Aktive stark. Nach dem Quali-Turnier in Busto Arsizio hatte DBV-Sportdirektor Michael Müller noch auf ein größeres Team und "zwei bis vier zusätzliche Qualifikationsplätze" gehofft, "so dass wir mit einem größeren Team nach Paris fahren, als zu den letzten Spielen in Tokio."
Dieser Wunsch erfüllte sich beim Turnier in Bangkok allerdings nicht. Von den elf Boxerinnen und sechs Boxern, die in die thailändischen Hauptstadt reisten, konnte sich niemand qualifizieren. In Tokio vor drei Jahren war das deutsche Box-Team ohne Medaille geblieben. Die letzte deutsche olympische Box-Medaille gewann 2016 in Rio Artem Harutiunian mit Bronze im Halbweltergewicht.
Der letzte der bisherigen elf deutschen Goldmedaillengewinner war 1992 in Barcelona der Rostocker Andreas Tews. Der wohl berühmteste ist Henry Maske, der 1988 in Seoul für die DDR Gold im Mittelgewicht holte und später auch Weltmeister bei den Profis war. Bei den Frauen, die erst seit London 2012 bei Olympia um Medaillen boxen, gab es bisher noch keine Deutsche auf dem Podest.
Henry Maske steht nach seinem Olympiasieg für die DDR auf dem Podium.
Joshua, Usyk und Shields waren Olympiasieger
Bis vor wenigen Jahren noch war es der "normale" Weg im Boxen, erst eine erfolgreiche Amateurkarriere hinzulegen und dann zu den Profis zu wechseln. Cassius Clay wurde 1960 in Rom Olympiasieger und stieg später als Muhammad Ali zum vermeintlich besten Boxer der Geschichte auf.
Oleksandr Usyk und Anthony Joshua triumphierten 2012 und machten sich auf die Fersen von Ali, hielten verschiedenste WM-Titel. Usyk krönte sich im Mai dieses Jahres zum ersten Schwergewichtsweltmeister, der gleich fünf WM-Titel trägt, und dem ersten unumstrittenen Champion seit einem Vierteljahrhundert.
Bei den Frauen machte sich etwa die US-Amerikanerin Claressa Shields nach ihren Olympiasiegen 2012 und 2016 auch bei den Profis einen großen Namen. Sie war unumstrittene Weltmeisterin im Halbmittelgewicht sowie Mittelgewicht und damit die erste Person im Boxsport, die gleich in zwei Gewichtsklassen alle vier bedeutenden WM-Titel vereinen konnte.
Claressa Shields war doppelte unumstrittene Weltmeisterin im Boxen.
Letztmalig Boxen bei Olympia?
Doch dieser Karriereweg wird immer seltener. Da seit 2016 auch beim Boxen Profis bei den Olympischen Spielen erlaubt sind, ist die vormals strikte Trennung zwischen Amateuren und Profis inzwischen etwas verwässert worden. Entsprechend wird es künftig vermutlich weniger solcher Karrieren à la Clay, Maske, Usyk, Joshua oder Shields geben.
Ob solche Karrieren auch weiterhin möglich sein werden, hängt natürlich viel von der weiteren Entwicklung im Streit zwischen dem IOC sowie der IBA beziehungsweise einem möglichen Nachfolgerverband ab und ob Boxen auch über 2024 hinaus im olympischen Programm bleibt. Ein möglicher IBA-Nachfolger wurde mit "World Boxing" bereits gegründet, zahlreiche nationale Verbände haben sich hinter ihn gestellt.
Allerdings noch zu wenige. Es fehlt weiterhin die Anerkennung durch das IOC. Im vorläufigen Programm für die Sommerspiele 2028 in Los Angeles fehlt Boxen. Erst Anfang kommenden Jahres wollen die Olympia-Verantwortlichen entscheiden, wie es weitergeht. Bis dahin muss ein "anerkannter und zuverlässiger internationaler Verband als Partner" gefunden werden. Ansonsten droht das olympische Boxen endgültig ausgezählt zu werden.