Kniffliger WM-Auftakt Drei Engel für Harry - Deutschland trifft auf Schweden
In Tampere und Riga treffen sich fast alle Eishockey-Nationen von Weltrang. Nur Russen und Belarusen müssen weiter draußen bleiben, aber darüber wird vor Ort kaum noch gesprochen. Obwohl die WM überhaupt nur deshalb erneut nach Finnland und Lettland vergeben wurde, weil Sankt Petersburg die Austragung aus den bekannten Gründen entzogen wurde.
Für die deutsche Mannschaft ändert sich dadurch nicht viel: Ein Platz im Viertelfinale ist das Ziel. Unter Umständen wäre das gleichbedeutend mit der direkten Qualifikation für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand.
Am heutigen Freitag startet Deutschland mit dem Spiel gegen Schweden in das Turnier (Ab 19.20 Uhr live im Ticker bei sportschau.de). In der Hoffnung, kein eiskaltes Erwachen in Finnland zu erleben.
Winter in Suomi - Frost und wenig Sonne
Bis eben war noch Winter in Suomi. Aus dem Flugzeug sind kaum Konturen zu erkennen. Ein blasses Braun liegt noch über dem Land. Die zahllosen Birken warten kerzengerade auf das erste Grün. Die Sonne müht sich nach Kräften, das Leben zurückzubringen.
Nicht jeder in Tampere traut ihr über den Weg. Gerade die älteren Bewohner sind noch mit Wintermantel und Schal unterwegs, während sich viele Studenten auf den weitläufigen Grünflächen entlang des Tammerkoski-Flusses schon übergangslos auf den Sommer eingelassen haben.
DEB-Team: Frust und Frost vergessen
Bis eben war noch Frost im deutschen Team und ein bisschen Frust vielleicht auch. Für diese WM haben so viele Etablierte abgesagt wie lange nicht. Offiziell aus Sorge um ihr körperliches Wohlbefinden, und der Berühmteste kann (wahrscheinlich) sowieso nicht kommen.
Leon Draisaitl versucht auch in diesem Jahr, sich mit den Oilers aus Edmonton endlich den Traum vom Stanley Cup zu erfüllen. Doch seit ein paar Tagen ist der Optimismus im DEB-Team zurück. Das liegt an drei Verteidigern.
NHL-Profis verstärken deutsches Eishockey-Team
Leon Gawanke, Kai Wissmann und Moritz Seider kommen aus dem amerikanischen Profibetrieb und können die deutsche Abwehr durchaus auf ein anderes Niveau heben. Und das Powerplay natürlich auch, denn dieses Trio weiß zweifellos, wo das Tor steht. "Ich denke, dass jeder hier glücklich ist, dass wir gekommen sind", sagt Kai Wissmann und meint das viel bescheidener als es zunächst klingt.
Wissmann hat gerade ein einjähriges Experiment hinter sich gebracht. In Boston wollte er sich den Traum von der NHL erfüllen, es reichte am Ende "nur" für das Farmteam, und selbst da wurde er in den Playoffs nicht mehr eingesetzt.
Seider überraschend auch dabei
Moritz Seider aus Detroit ist in Tampere überraschenderweise auch dabei. Er hatte wegen einer Verletzung zunächst abgesagt und versucht nun, mit Extraschichten seinen Körper noch einmal auf Top-Niveau zu trimmen. Sollte ihm das gelingen, kann er zum Unterschiedsspieler für die DEB-Auswahl werden. Das hat er oft genug bewiesen.
Leon Gawanke schließlich wird erst am Sonntag in Tampere erwartet. Er spielte vier Jahre lang für die Manitoba Moose, das Farmteam des NHL-Klubs aus Winnipeg. Und auch wenn es für den gebürtigen Berliner nicht zu einem Platz in der besten Liga der Welt gereicht hat, 20 Tore in der zurückliegenden Spielzeit sind eine erstaunliche Marke. Künftig wird Gawanke übrigens für die Adler Mannheim auflaufen.
Bundestrainer: "Ein bisschen Aufregung"
Diese drei Verteidiger sind, etwas blumig beschrieben, "Drei Engel für Harry". Harry ist der Bundestrainer, den man Harry oder Härry nennen darf, denn Harry Kreis ist ja ein gebürtiger Kanadier, auch wenn er jetzt schon seit fast 45 Jahren in Deutschland lebt, und nun in sein erstes großes Turnier als deutscher Cheftrainer geht.
Deutschlands Eishockey-Bundestrainer Harold Kreis an der Bande.
Nervös sei er deshalb nicht, "weil das bedeuten würde, dass wir im Vorfeld etwas versäumt haben". Aber "ein bisschen Aufregung" verspürt der neue starke Mann hinter der deutschen Bande schon.
Drei Brocken zum Auftakt für Deutschland
Denn diese WM hat es ja in sich. Schweden, Finnland und die USA heißen die drei Auftaktgegner. Nach dem Duell mit Schweden geht es gegen Titelverteidiger und Gastgeber Finnland nur 24 Stunden später (19.20 Uhr) und am Montag gegen die USA (15.20 Uhr). Das sind drei Teams, die um den Titel mitspielen werden.
NHL-Star Moritz Seider sprach von "absoluten Brettern", Torhüter Mathias Niederberger von einer "direkten Challenge" und Stürmer Marcel Noebels bekannte zur Aussicht, nach drei Spielen noch punktlos dazustehen: "Das steht natürlich im Raum."
Sprung ins WM-Viertelfinale wird kompliziert
Dänemark, Frankreich, Österreich und Ungarn heißen die übrigen Gegner und gelten wie immer als schlagbar, aber es ist ziemlich sicher davon auszugehen, dass der Sprung ins Viertelfinale trotzdem eine komplizierte Angelegenheit wird.
Denn nach der Absagenflut auf der einen, und dem Verzicht auf einige deutsche DEL-Topstürmer auf der anderen Seite stellt sich mal wieder die Frage nach dem Knipser. Dominik Kahun, Freddie Tiffels oder Marcel Noebels als Routiniers, und natürlich JJ Peterka und Nico Sturm als aktuelle NHL-Spieler sind hier besonders in der Verantwortung.
Licht und Schatten im letzten Testspiel
Im letzten Vorbereitungsspiel gegen die USA gab es zwar eine deftige 3:6-Niederlage, aber das Ergebnis täuscht über die Fortschritte im deutschen Team hinweg. Vor allem das temporeiche Offensivspiel war durchaus verheißungsvoll. Jetzt muss halt "nur" noch die Balance gefunden werden, zwischen Gier und Geduld.
Moritz Müller glaubt fest daran, dass das gelingt. Der Kapitän ist zum elften Mal bei einer WM dabei: "Meine Erfahrung sagt: Wir können es nur als Einheit schaffen." Dafür will er sorgen. Es muss schnell gehen. Nur durch die Teilnahme am Viertelfinale wird Deutschland in der Weltrangliste von Platz 9 nach vorne rücken können. Und das ist nötig, wenn das nächste Olympiaticket direkt gelöst werden soll.
Aber in Finnland ist es ja auch so, dass der Winter meistens ohne Umschweife dem Sommer Platz macht. Meist dauert es nur zwei Wochen, und das konturlose Braun hat sich in ein vielschichtiges Grün verwandelt.