WM-Halbzeit in Budapest Deutsche Zwischenbilanz - Ist das Finale die neue Medaille?
Zur Halbzeit der Leichtathletik-WM wartet das deutsche Team weiter auf die erste Medaille. Doch anders als im Vorjahr bei den Welt-Titelkämpfen in Eugene überzeugen viele DLV-Athleten in Budapest - und die besten Chancen kommen noch.
Der DLV macht keine Medaillenvorgaben. Das ist schon längst Tradition. In diesem Jahr wäre das auch schwierig gewesen bei all den namhaften Ausfällen, die der Verband zu beklagen hat. Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo, 5.000-m-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen und Stabhochsprung-Vize-Europameister Bo Kanda Lita Baehre mussten unter anderem für Budapest passen.
Das Potenzial zum richtigen Zeitpunkt abrufen
Doch ohnehin ist den Verantwortlichen die Medaillenzählerei ein Dorn im Auge. Das war schon zu den Zeiten so, als das begehrte Edelmetall noch ziemlich verlässlich um die Hälse deutscher Athleten baumelte.
Potenziale ausschöpfen und das im richtigen Moment, das ist vor allem das Thema. Im vergangenen Jahr in Eugene, als es lediglich Gold durch Mihambo und Bronze durch die Sprintstaffel der Frauen gegeben hatte, blieben nicht nur die Medaillen historisch rar, sondern auch die von den deutschen Athleten gezeigten Leistungen allzu oft auf einem beklagenswerten Niveau.
Schon jetzt mehr Endkampf-Platzierungen als in Eugene
Weil das - abgesehen von den Enttäuschungen um die Sprinter Gina Lückenkemper und Joshua Hartmann - aber bei den Titelkämpfen in der Donaumetropole anders ist, fiel die Zwischenbilanz von Annett Stein am Mittwoch (23.08.2023) trotz leerer Vitrine nach 18 Entscheidungen positiv aus.
"Wir reden oft nur über Medaillen. Aber das Finale ist auf jeden Fall eine Leistung, die es wertzuschätzen gilt."
"Wir erleben, dass die Leute gut abliefern, mit persönlichen Bestleistungen und Saison-Bestleistungen und dass die Entwicklungsschritte in Richtung Olympia getan werden", sagte die DLV-Chefbundestrainerin und verwies zufrieden auf sieben Top-Acht-Platzierungen, sechs persönliche Bestleistungen und zehn Saisonbestleistungen. Damit holte der DLV schon zur Hälfte der Titelkämpfe in Budapest mehr Endkampf-Platzierungen als in Eugene - immerhin.
Hochspringer Potye schnuppert an der Medaille
Allein, es fehlt der Ausreißer nach oben. Wenn die Weltspitze zum absoluten Höhepunkt der Saison noch eine Schippe drauflegt, wird es bislang eng für die DLV-Asse. Hochspringer Tobias Potye, eine der wenigen deutschen Medaillenhoffnungen, war am Dienstagabend (22.08.2023) immerhin schon ganz nah dran.
Mit 2,33 m sprang der Vize-Europameister aus München so hoch wie das schwebende Leichtgewicht Mutaz Barshim, das in seiner eindrucksvollen Karriere schon alles gewonnen hat und in Budapest Bronze holte. Nur ein Fehlversuch trennte den am Ende fünftplatzierten Potye vom dritten Rang. Sicherlich auch bitter, doch der zweitbeste Wettkampf seiner Karriere macht Hoffnung für Olympia in Paris im kommenden Jahr. "Da will ich oben stehen. Ganz klar", kündigte er an.
Auch Geher Christopher Linke, der in der ersten WM-Entscheidung den deutschen Rekord über 20 km verbesserte, überzeugte. Zum Auftakt der zweiten WM-Hälfte am Donnerstag (24.08.2023) ließ er auch über 35 km eine nationale Bestmarke folgen. Beide Male wurde er Fünfter.
Diskus-Trio in den Top Ten
Das starke deutsche Diskus-Trio der Frauen hatte ebenfalls mit einer Medaille geliebäugelt, am Ende wurden es die Plätze sechs, sieben und zehn für Kristin Pudenz, Shanice Craft und Claudine Vita. "Sechster Platz auf der Welt muss man auch erstmal schaffen", bilanzierte Pudenz, die schon Olympia-Silber in Tokio gewann, sich aber ebenso wie ihre Teamkolleginnen im Finale verwundert die Augen rieb. Mit Weiten über 69 m trumpfte die Konkurrenz auf den ersten beiden Plätzen auf - sagenhaft.
Ich würde nicht sagen, dass wir aktuell zu schlecht sind. Vielleicht ist die internationale Konkurrenz einfach zu stark.
Niveau auch im zweiten WM-Jahr in Folge hoch
Obwohl es auch international viele Verletzte gibt, ist das Niveau im zweiten WM-Jahr in Folge generell extrem hoch. Wohl dem, der da mithalten kann. Einigen im deutschen Team gelang das bisher ziemlich gut. Sophie Weißenberg überzeugte als Siebte im Siebenkampf und ist ebenso ein Versprechen für die Zukunft wie die Hürden-Langsprinter, von denen mehrere Athleten die erste Runde überstanden. Joshua Abuaku schaffte es gar als erster Deutscher seit 36 Jahren ins WM-Finale.
Konkurrenz aus anderen Ländern wächst
"Man sieht, wie sich junge Athleten sukzessive weiterentwickeln", sagte Stein und wünscht sich Respekt. "Wir reden oft nur über Medaillen. Aber das Finale ist auf jeden Fall eine Leistung, die es wertzuschätzen gilt." Zumal die Konkurrenz wächst: "Wie auch in anderen Sportarten ist der Anteil von Ländern, die Medaillen erringen können, in jedem Jahr höher und höher. Trainer gehen teilweise in die Welt, Kompetenz wird eingekauft."
Ist das Finale also die neue Medaille? Stein wiegelt ab. "Natürlich wünschen wir uns Medaillen." Eine WM ohne Goldmedaille hat es für die deutschen Leichtathleten erst einmal gegeben: 2003 in Paris. So weit muss es nicht kommen, denn die größten Chancen folgen nun in der zweiten Hälfte des Zeitplans.
Es fehlt die Medaille, das ist klar. Aber es ist noch eine Reihe an Finals.
Hoffnungen ruhen auf Zehnkämpfern und Weber
Allen voran die Zehnkämpfer um Europameister Niklas Kaul und den deutschen Rekordhalter Leo Neugebauer sowie Speerwurf-Europameister Julian Weber haben gute Aussichten.
Es geht noch was in Budapest für das deutsche Team, das einen zarten Aufschwung verzeichnet. Bis 2028 verfolgt der DLV das ambitionierte Ziel, wieder die Top Fünf der Nationenwertung zu erreichen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.