Leichtathletik-EM Mihambo startet mit "gemischten" Gefühlen in Istanbul
Sportlich mit guten Aussichten, aber gleichzeitig auch im Bewusstsein um das schwere Leid der Erdbebenopfer in der Türkei startet Weitspringerin Malaika Mihambo bei den Hallen-Europameisterschaften in Istanbul.
"Natürlich schwingen auch gemischte Gefühle auf dem Weg in die Türkei mit. Es ist schrecklich, dass so viele Menschen in dieser Region leiden mussten und immer noch mit den Folgen zu kämpfen haben. Umso schlimmer zu wissen, dass mit den richtigen politischen Entscheidungen viel Leid verhindert hätte werden können", sagte die 29 Jahre alte Mihambo vor ihrem Wettkampf.
Die Hallen-Europameisterschaften werden vom 2. bis 5. März in Istanbul ausgetragen und sind der erste Höhepunkt der Saison. Der Deutsche Leichtathletik-Verband DLV hat für Istanbul 15 Athletinnen und 17 Athleten nominiert, die in 18 Entscheidungen vertreten sein werden.
Kessing: "Normalität, um von der Not abzulenken"
"Die Gedanken an die Erdbeben sind ständig präsent, die kann man nicht wegschieben. Man wird auch immer darauf angesprochen", sagte DLV-Präident Jürgen Kessing im Gespräch mit der Sportschau.
An der Spitze des europäischen Leichtathletikverbands sei heftig darüber diskutiert worden, ob man die Hallen-EM in Istanbul austragen soll oder nicht, so Kessing. Viele andere Sportarten in der Türkei würden allerdings auch weitermachen, wie zum Beispiel Fußball und Basketball. "Es ist ein stückweit Normalität, die der Staat geben möchte, um von der Not abnzulenken, die zwar nicht in Istanbul direkt aber im ganzen Land greifbar ist", erklärte der DLV-Funktionär.
Dezentes Rahmenprogramm und Spenden für die Opfer
"Es schwingt ein ungutes Gefühl mit, wenn man zu einem Wettkampf in ein Land reist, in dem gerade große Trauer herrscht", sagte auch Mihambos Trainer Ulli Knapp. "Aber wenn sich ein Gastgeber dazu entscheidet, eine EM auszurichten, wäre es auch nicht fair, dort nicht an den Start zu gehen."
Nach den beiden schweren Erdbeben am 6. Februar an der türkisch-syrischen Grenze, bei denen mehr als 50.000 Menschen starben, hat der europäische Verband European Athletics bereits angekündigt, dass das Rahmenprogramm der Titelkämpfe sehr viel spärlicher ausfallen soll als ursprünglich geplant. Auf große Werbeaktionen etwa verzichten die Veranstalter. Ferner wird ein Euro pro verkauftem Eintrittsticket den Erdbebenopfern zugute kommen.
Um was geht es sportlich bei der Hallen-EM?
Fast 600 Athletinnen und Athleten haben insgesamt für die Hallen-EM gemeldet. In den Wettbewerben der Männer und Frauen werden insgesamt 26 Titel vergeben, 24 im Einzel und zwei in den Staffeln über 4x400 Meter. Ausgetragen werden die Meisterschaften in der Ataköy Athletics Arena, die 7.000 Zuschauern Platz bietet. Vor zwei Jahren wurden die Titelkämpfe in der polnischen Stadt Toruń ausgetragen.
Im Blickpunkt: Weitsprung der Frauen
Noch fehlt Malaika Mihambo ein Hallen-EM-Titel in ihrer umfangreichen Sammlung. Das soll sich nun in Istanbul ändern. Die zweifache Weltmeisterin und Olympiasiegerin geht als Goldfavoritin in die Sprunggrube. Mit 7,30 Metern bringt sie die beste Vorleistung aller Teilnehmerinnen mit. Aber die Titelvergabe wird kein Selbstläufer für das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik.
Am ehesten können ihr wohl zwei Serbinnen den Titel streitig machen. Ivana Vuleta (Bestmarke: 7,24 Meter) hat Mihambo schon einmal EM-Gold weggeschnappt. Auch Milica Gardasevic will in die Phalanx der beiden Top-Springerinnen einbrechen. Ein spannender Wettkampf ist zu erwarten.
Wer sind die deutschen Medaillenhoffnungen bei den Männern?
Im Stabhochsprung der Männer ist nach dem Startverzicht von Weltrekordler Armand Duplantis der Weg frei. Eine Chance, die sich Torben Blech und Bo Kanda Lita Baehre (beide TSV Bayer 04 Leverkusen) nicht entgehen lassen wollen. Blech kommt mit übersprungenen 5,82 Metern an den Bosporus. Lita Baehre holte sich im vergangenen Jahr den Vize-EM-Titel bei den Freiluftmeisterschaften und gehört damit auch zum Titelanwärter.
Drei Bronzemedaillen von drei aufeinander folgenden Hallen-Europameisterschaften hat Dreispringer Max Heß vom LAC Erdgas Chemnitz auf dem Konto. Setzt er in Istanbul den Medaillenreigen fort? Auch die deutschen Hochspringer können aufs Podium springen. Auf der Bahn haben über 1.500 Meter Amos Bartelsmeyer und Sam Parsons Medaillenambitionen, jedoch auch sehr starke Konkurrenz, allen voran den norwegischen Olympiasieger Jakob Ingebrigtsen.
Wer sind weitere deutschen Medaillenhoffnungen bei den Frauen?
Hinter Konstanze Klosterhalfen, Hanna Klein und Malaika Mihambo sind die Chancen bei den deutschen Frauen nicht mehr ganz so aussichtsreich, zumal Sprinterin Gina Lückenkemper auf einen Start verzichtet und sich lieber auf die Sommersaison konzentrieren will.
Sarah Gambetta vom SV Halle wird im Kugelstoßen und einer in dieser Saison erzielten Weite von 18,57 Metern an vierter Stelle der Meldeliste geführt. Wenn es gut läuft, ist sie sicher vorne mit dabei. Gleiches gilt für Hochspringerin Christina Honsel vom TV Wattenscheid, die eine Bestmarke von 1,98 Meter aufweisen kann. Die müsste sie aber wohl auf jeden Fall erreichen, um sich gegen starke Konkurrenz vor allem aus der Ukraine durchzusetzen.
Wer sind die internationalen Stars der EM?
Auch wenn Höhenjäger Armand Duplantis abgesagt hat, befinden sich unter den Starterinnen und Startern zahlreiche internationale Stars der Leichtathletik. So ist Zehnkampf-Weltrekordler Kevin Mayer aus Frankreich dabei und führt das Feld im Siebenkampf an. Die beiden Norweger Karsten Warholm (400 m) und Jakob Ingebrigtsen (beide Norwegen; 1.500/3.000 m) gehen auf ihren Laufdistanzen auf Rekordjagd.
Weitere vier Olympiasieger haben für Istanbul gemeldet. Das sind der Grieche Miltiadis Tentoglou (Weitsprung), Pedro Pablo Pichardo aus Portugal im Dreisprung und der Italiener Marcell Jacobs, der in Tokio über 100 Meter gewann und sich im Vorjahr den Hallen-WM-Titel über 60 Meter sicherte. Bei den Frauen darf man gespannt sein auf Siebenkampf-Olympiasiegerin Nafissatou Thiam aus Belgien, die unter dem Hallendach diesmal Gold im Fünfkampf holen will.