Handball-WM 2023 Deutschlands Handballer hoffen auf Versetzung in die Weltklasse
Die deutschen Handballer haben bei der WM die erhoffte positive Entwicklung gezeigt und ihre Pflicht erfüllt. Ein Sieg im Viertelfinale am Mittwoch (25.01.2023, live im Audiostream und im Live-Ticker) gegen Frankreich würde den nächsten riesigen Schritt bedeuten.
Müsste man der Leistung des DHB-Teams bei der knappen Niederlage gegen Norwegen eine Schulnote geben, wäre man wahrscheinlich im Bereich von einer 2-.
Vieles war gut oder sehr gut, wie die Torhüterleistung von Andreas Wolff, die Angriffsvorstellung in Hälfte eins mit einem überragenden Juri Knorr und die Deckung, die in Halbzeit zwei mit Luca Witzke und Djibril M'bengue auf den Halbpositionen zwei echte Verstärkungen aus der "zweiten Reihe" erhielt.
Einiges war aber auch nicht gut, sondern maximal ausreichend, oder eben auch mal mangelhaft. Nämlich vor allem die Abschlussquote bei freien Wurfgelegenheiten und die Abstimmung in der Abwehr, die in den ersten 30 Minuten fast so viele Gegentore zuließ (18) wie im ganzen Spiel gegen Argentinien (19).
Gegen Norwegen auf Augenhöhe
Nun muss man weder Handball- noch Geografie-Experte sein, um zu der Feststellung zu kommen: "Norwegen ist nicht Argentinien." Wichtig ist aber etwas anderes: Das DHB-Team hat bewiesen, dass es sich im Vergleich zu den vergangenen Turnieren weiterentwickelt hat.
Gegen Gegner wie Serbien oder die Niederlande, die großes "Stolperpotenzial" bieten, spielte die Mannschaft von Alfred Gislason größtenteils souverän, auch wenn das Serbien-Spiel denkbar knapp war. Der Einzug ins Viertelfinale und damit unter die besten acht Teams der Welt ist der Lohn dafür. Angesichts der Auslosung musste dieses Viertelfinale aber auch das Ziel der Mannschaft gewesen sein.
Gegen den ersten Top-Gegner Norwegen war es trotz einer "Zwei-Minus-Leistung" eine Partie auf Augenhöhe. Viele Spieler zeigten sich nach dem Spiel nicht zufrieden mit der eigenen Vorstellung, obwohl man gegen einen Titelkandidaten mehrfach die Chance auf einen Sieg hatte.
Einser-Schüler Juri Knorr
Das zeigt das veränderte Anspruchsdenken innerhalb des Teams – bisher war man im Turnier der "Einser-Schüler" gewesen. Ein Jahr vor der Heim-EM ist ein anderer Punkt nämlich eigentlich noch wichtiger als die reinen Ergebnisse auf der Anzeigetafel. Jeder, der die vergangenen Turniere verfolgt hat, konnte bei dieser WM sehen: Diese Mannschaft ist in der Lage, begeisternden Handball zu bieten – und sie hat vor allem noch Luft nach oben.
Wer sah, wie Knorr in Halbzeit eins die norwegische Defensive sezierte, musste schon sehr tief in seinem Gedächtnis kramen: Einen Einzelspieler mit diesen Fähigkeiten hatte man im Rückraum seit vielen Jahren nicht mehr. Die "spanische Schule" des FC Barcelona, für den Knorr eine Zeit lang spielte, also das nahezu perfekte Gefühl für die Entscheidung zwischen dem Pass zum Kreisläufer oder dem eigenen Abschluss, teilweise aus dem Stand, ist ein Element, das das deutsche Spiel bereichert.
Dominik Klein: Man muss die Fehler zugestehen
Dass Knorr in Hälfte zwei ein wenig überdrehte, sich auf kleine Scharmützel einließ und mit Schiedsrichterentscheidungen haderte, fand Sportschau-Experte Dominik Klein absolut verständlich: "Das darf man ihm auch zugestehen, das sind auch Lernschritte für die nächsten Aufgaben. Jetzt in der K.o.-Phase wird ihm so eine Reaktion vielleicht nicht mehr passieren." Dieses Zugestehen von Fehlern lässt sich auf die gesamte international relativ unerfahrene Mannschaft übertragen, Knorrs Leistung steht bloß exemplarisch dafür.
Frankreich als "Abschlussprüfung" für die Versetzung in die Weltklasse
Ob die Lernkurve des Teams jetzt nach dem ersten Rückschlag in diesem Turnier schon so steil nach oben gehen kann, dass es gegen die Franzosen reicht, ist zumindest fraglich. Frankreich hat bei der WM bisher noch gar nicht gewackelt, besiegte mit Spanien, Slowenien oder Gastgeber Polen gleich drei sehr unangenehme Gegner und ist, noch etwas mehr als Norwegen, ein Anwärter für das Finale.
Einzelne Elemente, mit denen auch die hoch veranlagten Franzosen zu schlagen sind, hat die Mannschaft schon gezeigt. Die Angriffsleistung aus Halbzeit eins gegen Norwegen und die Defensiv- und Torhüterperformance aus Hälfte zwei müssen allerdings konstant über die gesamten 60 Minuten abgerufen werden.
Das DHB-Team hat jedenfalls schon jetzt seine Hausaufgaben hervorragend erledigt und wird damit definitiv in die nächste Klasse versetzt. Nämlich die, direkt unter der Weltklasse. Manchmal überspringen besonders talentierte Schüler aber ja auch eine Klasse – dafür müsste nun aber auch endlich mal wieder ein "Großer“ bei einem großen Turnier geschlagen werden.