Caleb Williams beim NFL-Draft Der Hoffnungsträger, der nicht jedem schmeckt
An der Speerspitze des NFL-Drafts 2024 steht Quarterback Caleb Williams. Ein herausragendes Talent und eine extrovertierte Persönlichkeit - eine Kombination, die nicht jedem schmeckt und doch händeringend gesucht wird.
Ein Schwarzer Quarterback, der sich die Fingernägel lackiert und sich seiner sportlichen Fähigkeiten extrem bewusst ist. So bewusst, dass er seine medizinischen Reports anstatt wie eigentlich obligatorisch allen NFL-Franchises nur denen zur Verfügung stellt, die früh im Draft wählen dürfen, weil er genau weiß, dass die anderen ihn sowieso nicht mehr nehmen können.
Caleb Williams - "Markenbotschafter der Gen Z"?
Ein Quarterback, der zu der ersten Generation von Football-Talenten gehört, die im College schon Geld verdient haben, ein Quarterback, der bereits eine echte "Marke" aufgebaut hat, bevor er überhaupt gedraftet wird und auch entsprechend selbstbewusst auftritt. Das ist Caleb Williams, der nicht nur, aber auch wegen all dieser Eigenschaften von einigen als erster echter Markenbotschafter der "Gen Z" in der NFL bezeichnet wird.
Und er kann bald noch viel mehr Werbung für sich machen. Beim NFL-Draft wurde er in der Nacht von Donnerstag (MESZ, 25.04.2024) zu Freitag an erster Stelle von den Chicago Bears ausgewählt und zog dabei alle Aufmerksamkeit auf sich.
Ein Umstand, mit dem zumindest ein paar der vielen weißen, alten, männlichen (oder alles zusammen) Team-Besitzer in der NFL mutmaßlich nicht nur glücklich sein dürften. Eins der traditionsreichsten Teams der Liga will jedenfalls mit diesem Draft-Pick eine neue Ära einläuten.
Sportliche Vergleiche mit Patrick Mahomes
Sportlich vor allem, denn die Bears hatten lange keinen echten Top-Quarterback und haben seit 13 Jahren kein Playoff-Spiel mehr gewonnen. Williams ist sportlich, da sind sich so gut wie alle Experten einig, das Ausnahmetalent des diesjährigen Drafts, in dem wohl noch mindestens drei weitere Quarterbacks in der ersten Runde gewählt werden dürften, vielleicht sogar schon an den Positionen 2, 3 und 4. Williams überstrahlt sie dennoch alle. Der 22-Jährige hat in seiner Laufbahn nur wenige auszumachende Schwächen gezeigt. "Es gibt keinen Wurf, den er nicht kann", ist ein Satz, den man häufig über ihn liest.
Diese "unmöglichen" Würfe haben ihm schon Vergleiche mit den ganz Großen eingebracht, vor allem mit Patrick Mahomes, dem derzeit Besten seines Fachs. Natürlich sind Vergleiche zwischen einem 22 Jahre alten College-Spieler und einem mehrfachen NFL-MVP Unsinn, aber sie zeigen, was von ihm erwartet wird. In seiner letzten College-Saison musste Williams auch viele dieser Würfe abliefern, denn seine USC Trojans hatten ihm kein wirklich starkes Team an die Seite gestellt, und mit einer Siegbilanz von 7-5 endete die Saison entsprechend enttäuschend.
Chicago - eine Sportstadt sucht Michael Jordans Nachfolger
Ein Umstand, den Williams prompt auf seinem "X"-Profil anführte, als Ex-NFL-Quarterback Greg McElroy behauptete, Williams habe nie "Gegenwind" erfahren, wie es beispielsweise Mahomes in seiner College-Karriere erlebt hatte. Williams hat also nach seiner letzten College-Saison und auch nach dem verlorenen Championship-Game 2022 den berühmten "Chip" auf der Schulter, er hat "etwas zu beweisen". Zumindest fühlt es sich für ihn offenbar so an.
Die Situation in Chicago verstärkt das Ganze. Eine Sportstadt lechzt nach neuem Erfolg, nach einem neuen Michael Jordan, einem neuem Hoffnungsträger. Man hatte gehofft, diesen in Justin Fields gefunden zu haben. Der Quarterback, den die Bears im Draft 2021 mit dem elften Pick der ersten Runde geholt hatten, hat vor allem als mobiler Quarterback durchaus spannende Ansätze gezeigt, war dabei oft verletzt, spielte insgesamt eher durchwachsene Saisons, zeigte aber gegen Ende der vergangenen Spielzeit eine ansteigende Formkurve.
Die schwierige Situation mit Justin Fields
Das bewegte die Fans in Chicago, in den Jahren zuvor in Sachen Quarterback wirklich leidgeprüft, eine Vertragsverlängerung von Fields zu fordern. Selbst als sich herauskristallisierte, dass man dank eines Trades im Vorjahr mit den immer noch sehr erfolglosen Carolina Panthers im Draft 2024 als Erster würde auswählen dürfen, war das Fanlager gespalten.
Sollte man diesen Pick nicht dafür nutzen, die Arbeitsbedingungen für Fields, der auch im Team sehr beliebt gewesen sein soll, deutlich zu verbessern? Doch General Manager Ryan Poles entschied sich gegen Fields und transferierte diesen nach Pittsburgh. Nun ist der Weg frei für den neuen Hoffnungsträger, der zu 99,9 Prozent Caleb Williams heißen wird. Die sportlichen Ansprüche an ihn könnten kaum größer sein - aber das ist nicht alles.
Ein Top-Quarterback verändert eine ganze Franchise
Denn wer Williams draftet, der holt sich damit nicht nur die Hoffnung auf eine sportliche Verbesserung, sondern auch eine neue Marke, ein neues Image ins Haus. Ob man will oder nicht, denn die Marke Caleb Williams existiert längst und wird das Gesicht der Bears zumindest kurzfristig völlig verändern.
Nun ist es nicht so, dass die Bears das nicht bitter nötig hätten. Das einzige, wofür diese so traditionsreiche, aber "nur" mit einem einzigen Super-Bowl-Sieg dekorierte Franchise in den vergangenen Jahren konstant stand, waren neben sehr schwankenden Quarterback-Performances die immer wieder schmachvollen Niederlagen gegen den lange von Aaron Rodgers geführten Rivalen Green Bay Packers.
Jemand wie Williams ist eigentlich genau das, was so viele NFL-Teams auch in diesem Draft wieder suchen. Der Quarterback ist der Spieler, auf dem die meiste Aufmerksamkeit liegt, der verlängerte Arm des Trainers, der Entscheider in der Offense, der in jedem Angriff den Ball bekommt. Hat man diese Position hochkarätig besetzt, wird nicht nur die Performance auf dem Feld besser, sondern eine ganze Franchise rückt plötzlich in ein anderes Licht.
So geschehen zum Beispiel bei den Houston Texans, die sich im vergangenen Draft CJ Stroud sicherten. Der mauserte sich in nur einer Saison zu einem der besten Quarterbacks der Liga und verwandelte eine drei Jahre lang völlig erfolglose und unter dem Chaos um Deshaun Watson leidende Franchise zu einem der heißesten Teams der Liga.
Manche wollen ihn einfach nicht mögen
Doch das, was Williams im Gegensatz zu dem meist bescheiden und eher ruhig auftretenden Stroud verkörpert, hat eben nicht nur Fans. Als Williams bei einem Training an seinem wohl zukünftigen Teamkollegen Keenan Allen vorbeiging, und es so aussah, als würde er diesen ignorieren, ging der Clip durch sämtliche soziale Medien, und prompt kritisierte man Williams für dessen "viel zu großes Ego". Dass Williams Allen nur Sekunden später mit einem Lächeln, Handschlag und Umarmung begrüßte und sich später in Interviews extrem positiv über diesen äußerte, wurde dabei geflissentlich ignoriert.
Es dürfte in den kommenden NFL-Saisons jedenfalls wenig spannendere Themen geben als die Entwicklung des Spielers Caleb Williams und den Einfluss, den er auf die Chicago Bears und die gesamte Liga nehmen wird.