Stress nach der WM Für viele Handball-Nationalspieler bleibt nur eine Mini-Pause
Nach der WM ist vor dem DHB-Pokal: Für viele Handball-Nationalspieler geht es nach der Weltmeisterschaft direkt weiter - eine enorme Belastung, mit der vor allem die Trainer sensibel umgehen müssen.
Viel Zeit zum Durchschnaufen blieb Julian Köster nicht. Vergangenen Sonntag noch, da stand der Handballer mit der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden in Stockholm auf dem Feld, holte mit der DHB-Auswahl den fünften Platz. Dann ging es zügig in den Flieger und zurück in die Heimat.
Drei Tage lang durfte der 22-Jährige die Beine hochlegen und sich von den Physiotherapeuten seines Klubs VfL Gummersbach pflegen lassen. Bereits an diesem Donnerstag (02.02.2023) erwartet ihn sein Trainer Gudjon Valur Sigurdsson in der Trainingshalle, denn die Handball-Mühle dreht sich nahezu ununterbrochen weiter, und die Vorbereitung auf das Pokalspiel am Samstag (19 Uhr) gegen den TBV Lemgo Lippe steht an.
Bei vorherigen Großturnieren baute der Deutsche Handball-Bund zumindest noch das sportlich unbedeutende Allstar-Game im Anschluss an eine EM oder WM in den Spielplan ein, diesmal geht es direkt mit den Pokal-Viertelfinalen weiter, bei denen viel auf dem Spiel steht. Immerhin winkt eine sechststellige Summe für das Erreichen des lukrativen Final-Four-Turniers im April.
"Den Kopf erstmal klar bekommen"
Gummersbachs Trainer Sigurdsson versucht jedenfalls, so behutsam wie möglich mit seinem Jungstar Köster umzugehen. "Julian war ein bisschen angeschlagen nach dem letzten WM-Spiel. Er hat richtig viel gespielt. Dann bringt es nichts, ihn gleich wieder in die Halle zu holen und weiterarbeiten zu lassen. Der muss jetzt den Kopf erst wieder klar bekommen“, sagt der Isländer. Schon fünf Tage später, am Donnerstag (09.02.2023) treffen die VfLer erneut auf Lemgo Lippe, diesmal in der Bundesliga.
Nach diesen zwei Spielen will Sirgudsson entscheiden, ob noch einmal einige Urlaubstage für Köster drin sind, denn dann hat der VfL zwei Wochen spielfrei. "Wir brauchen ihn natürlich und wollen ihn dabei haben. Julian hat ja bei der WM insgesamt sechs bis sieben Stunden Spielzeit gehabt. Das ist schon eine enorme Belastung, deswegen bekommt er ein paar Tage mehr frei, weil wir wissen, dass er in Spielform ist. Wir müssen ihn nur fit kriegen für die nächsten Spiele“, sagt der Coach im Gespräch mit der Sportschau.
Neun Spiele in 17 Tagen
Eine enorme Belastung war das WM-Turnier ohne Frage. In 17 Tagen absolvierte die deutsche Mannschaft neun Spiele – ein Mammutprogramm. Hinzu kamen Reisestrapazen, die deutsche Mannschaft zog zweimal um. Schon während des Turniers hatten Akteure wie Juri Knorr Kritik an dem aufgeblasenen Turnierplan geübt. "Ich verstehe diesen Modus nicht. Jeder, der Profisport auf diesem Niveau macht, weiß, wie intensiv die Spiele sind. Es ist gefährlich für uns und für unseren Körper“, sagte Knorr im WM-Spielort Kattowitz.
Für den deutschen Teamarzt Philipp Lübke ist dagegen vor allem eine intensive Betreuung der Spieler wichtig. "Es ist viel, aber nicht zu viel. Wir haben gut austrainierte Spitzenathleten, die kennen die Belastung aus der Bundesliga. Und wir können sie gut steuern, haben alles engmaschig unter Kontrolle", sagte der Kieler Orthopäde während der WM. Das Wichtigste seien die Hände der Physiotherapeuten.
Auch für Marion Sulprizio, Sportpsychologin an der Sporthochschule Köln, ist vor allem der richtige Umgang mit großen Anstrengungen entscheidend: "Man kann die hohe Belastung mit einem guten 'Mood', einer guten Stimmung wettmachen. Diese hatten die deutschen Spieler ja mit Erreichen des fünften Platzes." Generell sei wichtig, dass jeder Spieler für sich Regenerationsstrategien finde, sowohl körperlich als auch psychologisch. Das könnten Sauna-Besuche sein oder Zeit mit der Familie. Da ticke jeder anders, sagt Sulprizio gegenüber der Sportschau.
Alte Diskussion mit neuen Protagonisten
Die Diskussion um das enorm hohe Pensum ist im Profi-Handball nicht neu und in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeflammt, ohne dass einschneidende Veränderungen vorgenommen wurden.
Sigurdsson jedenfalls hält sich bei diesem Thema zurück. "In dieses schwarze Loch werde ich jetzt nicht einsteigen. Ich habe 20 Jahre als Spieler mitgemacht, jetzt bin ich Trainer. Ich verstehe meine Kollegen, die auch in internationalen Wettbewerben dabei sind und alle drei, vier Tage ein Spiel haben. Es ist ein ewiges Thema, das werden wir nicht heute lösen“, meint der Ex-Profi.
Einer, der die Zusatzbelastung mit Europapokalspielen kennt, ist Florian Kehrmann, der Trainer von Gummersbachs kommendem Gegner TBV Lemgo Lippe. Im Herbst spielte Kehrmann mit seiner Mannschaft neben Meisterschaft und Pokal zusätzlich auch noch im Europapokal, allerdings nur bis zur zweiten Runde, dann schieden die Lipper im EHF-Cup aus.
Kehrmann: Viel mit den Spielern reden
Kehrmann will wie Sigurdsson nicht in Klagen verfallen. Natürlich müsse auch er sich mit dem enormen Pensum seiner Spieler arrangieren, ändern könne er daran nichts. "Das sollen die entscheiden, die es entscheiden müssen, da bin ich der falsche Ansprechpartner“, so Kehrmann. Im deutschen Nationalspieler Lukas Zerbe, dem Spanier Gedeon Guardiola sowie den Niederländern Bobby Schargen und Versteijen stellte der TBV vier Nationalspieler zur WM ab.
Zerbe und Guardiola waren wie Julian Köster noch am Sonntag im Einsatz, der Spanier erreichte mit seinem Team sogar den dritten Platz. Das hinderte Guardiola aber nicht daran, bereits am Dienstag wieder beim Training in der Lemgoer Halle zu sein, wie Florian Kehrmann berichtet. "Manche Spieler brauchen mehr Zeit, andere weniger. Diese regenerieren schnell und benötigen keine großen Pausen", so der TBV-Coach. Seine Devise: viel mit den Spielern sprechen, um herauszufinden, wie es ihnen geht.
Auch für Sportpsychologin Marion Sulprizio sind Gespräche eine wichtige Komponente. Und sie richtet in dem Zusammenhang einen Appell an die Trainer: "Wichtig ist für sie zu schauen: Was kann ich den Spielern in Phasen hoher Anstrengung zumuten? Die Trainer sollten den Spielern die Angst nehmen, dass sie nicht gleich aus dem Kader fliegen, wenn sie weniger eingesetzt werden", sagt Sulprizio.
Maik Machulla: Mehr Zeit zum Reflektieren
Maik Machulla, der Trainer der SG Flensburg-Handewitt, setzt zum Beispiel auf den Schwung, den seine dänischen Nationalspieler von der gewonnenen Weltmeisterschaft mit an die Förde bringen. In Kevin und Lasse Möller, Emil Jakobsen, Simon Hald, Jakob Hansen und Mads Mensah hat Machulla gleich ein dänisches Sextett, das sich die WM-Krone aufsetzte.
Gerne hätte sich der Coach für seine Spieler mehr Zeit gewünscht, ihre Erfolge und Erlebnisse zu verarbeiten und ein wenig zu reflektieren. "So ist es nur ein Abhaken, Job erledigt, Medaille eingesackt und einen Titel mehr auf dem Zettel", sagte Machulla. Die SG Flensburg-Handewitt spielt ebenfalls am Samstag im Viertelfinale des Pokalwettbewerbs gegen die HSG Wetzlar.