Serbische Nationalmannschaft Kampf der Egos vor dem "Spiel des Lebens"
"Ich denke, ich bin der beste Spieler im Team", hat Serbiens Kapitän Dusan Tadic nach der EM-Auftaktniederlage gegen England gesagt und seinen Trainer kritisiert. Dragan Stojkovic gibt Tadic vor dem wichtigen zweiten Gruppenspiel gegen Slowenien dennoch eine Startelfgarantie.
Es hätte ein positiver Start in das Turnier für die serbische Nationalmannschaft sein können. Der EM-Neuling lieferte sich mit England lange ein Duell auf Augenhöhe. Nur in den ersten 30 Minuten war der große Favorit eindeutig überlegen.
Danach kämpfte Serbien, machte den Superstars um Harry Kane das Leben schwer und war durch einen starken Weitschuss von Dusan Vlahovic am Ende dem Ausgleich ganz nahe. Trotz der 0:1-Niederlage gab es viel Positives, was Serbien aus diesem Spiel mitnehmen konnte, um sich anschließend auf die kommenden Spiele und das Erreichen der K.o.-Phase zu konzentrieren. Doch dann machte Dusan Tadic den Mund auf.
Tadic: "Bin der Kapitän, der Anführer, der beste Spieler"
Ausgerechnet der Kapitän erschütterte die Nationalmannschaft wenige Minuten nach Abpfiff mit einem Interview. Dragan Stojkovic hatte den 35-jährigen Offensivspieler von Fenerbahce Istanbul nicht von Beginn an spielen lassen und Tadic war davon offensichtlich nicht begeistert.
"Ich bin der Kapitän, der Anführer. Ohne falsche Bescheidenheit: Ich denke, dass ich der beste Spieler in diesem Team bin. Und natürlich denke ich, dass ich von Anfang hätte spielen sollen", sagte er in einem Interview mit dem serbischen Sender "RTS".
Davon, dass der Routinier wusste, welches Erdbeben er mit diesen Worten auslöst, ist auszugehen. Ebenso, dass die Ergänzung "Natürlich akzeptiere ich die Entscheidung des Trainers" das aufziehende Donnerwetter kaum eindämmen würde.
Stojkovic erfuhr wenige Minuten später durch einen Journalisten von den Worten seines Kapitäns. "Das ist überhaupt nicht gut, wenn er das gesagt hat. Das ist überhaupt nicht schön", sagte der Trainer und erklärte dann: "Es war eine taktische Entscheidung, ihn auf der Bank zu lassen. Ich wollte, dass Tadic frisch hereinkommt und Impulse setzt."
Gegen Slowenien: Tadic kehrt in die Startelf zurück
Auch von den Mitspielern gab es Gegenwind für Tadic. "Fußball ist ein Mannschaftssport. Die Entscheidung des Trainers sollte respektiert werden, so wie es jeder andere Spieler der Nationalmannschaft tut", sagte etwa Nikola Milenkovic und der serbische Fußballverband verkündete schließlich am Dienstag, Tadic habe sich bei Trainer und Mannschaftskameraden für sein Verhalten entschuldigt.
Beendet war die Debatte damit nicht. Wenig verwunderlich bezogen sich auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Slowenien (20.06.2024, Radioreportage und Liveticker) vier der ersten sechs Fragen auf die Causa Tadic. Sichtlich schlecht gelaunt versuchte Stojkovic, die Fragen abzuschmettern.
Gibt es gegen Slowenien personelle Veränderungen: "Zwei." Wird Tadic spielen? "Ja." Welchen Einfluss hatten dessen Aussagen auf die Vorbereitung: "Es ist nichts Besonderes passiert. Was er gesagt hat, hat er gesagt. Wir halten uns damit nicht auf. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."
"Wie bei der NASA" - Stojkovic genervt von UEFA-Richtlinien
Es war die Frage, ob er sein Lächeln verloren habe, die den serbischen Nationaltrainer ein wenig aus der Reserve lockte. "Warum ich nicht lächle?", fragte Stojkovic und zerrte die Akkreditierung der UEFA, die um seinen Hals hing, hervor. "Vielleicht deshalb. Egal, wo ich hingehe. Alle zwei Sekunden wird dieses Ding gescannt. Als wären wir hier bei der NASA. Es ist der Wahnsinn. Vielleicht ist mir deshalb das Lachen vergangen", sagte der serbische Nationaltrainer - und plötzlich umspielte tatsächlich doch ein spitzbübisches Lächeln seinen Mund.
Mitrovic begrüßt Entscheidung pro Tadic
Serbien steht gegen Slowenien vor einem der wichtigsten Spiele der jüngeren Vergangenheit. Mit einem Sieg kann der EM-Debütant das Tor zum Achtelfinale weit aufstoßen. Für diese Aufgabe stellt Trainer Stojkovic sein eigenes Ego hintenan, rehabilitiert den launischen Superstar und setzt auf die technischen Fähigkeiten von Tadic, um das Tor von Sloweniens Torwart Jan Oblak in Bedrängnis zu bringen.
Eine Entscheidung, die zumindest beim zweiten Kapitän Aleksandar Mitrovic gut anzukommen scheint. Der Stürmer und Tadic standen schon 76-mal gemeinsam für Serbien auf dem Platz. "Wir könnten selbst mit geschlossenen Augen miteinander spielen. Wir verstehen uns, wir wissen, wie der andere spielt. Er macht die Sache für mich einfacher", sagte Mitrovic einen Tag vor dem Spiel.
Er merkte wahrscheinlich, dass er seinem Trainer mit dieser Aussage vielleicht keinen Gefallen tat, denn er ergänzte hastig: "Aber ich möchte betonen: Wir sind hier, um den Anweisungen des Trainers zu folgen. Das Team steht über allem. Das Spiel gegen Slowenien ist das Spiel unseres Lebens."
Und sollten Tadic und Mitrovic gegen Slowenien so harmonieren, wie es der Stürmer auf der Pressekonferenz angekündigt hat - vermutlich könnten dann nicht einmal die Akkreditierungskontrollen Stojkovic am Donnerstagabend die Laune verderben.