Kylian Mbappe und Dayot Upamecano

Mbappé geht mit viel Einsatz voran Gewinnt Frankreichs Defensive Titel?

Stand: 04.07.2024 21:55 Uhr

Mit nur einem selbst geschossenen Tor hat Frankreich das EM-Viertelfinale gegen Portugal erreicht. Aber es gab auch erst ein Gegentor - und daran hat auch die Offensive ihren Anteil.

Von Florian Neuhauss, Hamburg

Auf leisen Sohlen betritt Kylian Mbappé den gerammelt vollen Pressekonferenzraum. Viele Journalisten nehmen ihn überhaupt erst wahr, als er das Podium betritt und Platz nimmt. Ein Auftritt, irgendwie passend zu seiner bisherigen EM. Nur ein Treffer ist dem französischen Superstar bisher gelungen, und der auch nur per Elfmeter.

Aber, da ist auch die andere Seite des Kapitäns. Die des nimmermüden Antreibers seines Teams, der mit einer für einen Stürmer beeindruckenden Zahl von im Schnitt 55 Prozent gewonnener Zweikämpfe aufwarten kann.

Anderer Spielstil der Franzosen - Mbappé passt sich an

Als er in der Nationalmannschaft gekommen sei, habe er nur lossprinten müssen, als Spieler wie Paul Pogba im Mittelfeld den Ball am Fuß hatten. Die Pässe seien dann einfach bei ihm gelandet. Aber: "Ein Spieler muss sich den Umständen anpassen. Das ist eben nicht der Spielstil meiner aktuellen Mitspieler", erklärte Mbappé - und glänzt so eben mit bisher weitgehend unbekannten Qualitäten.

Wer sich mit Blick auf das Viertelfinale am Freitag (21 Uhr, live im Sportschau-Audiostream) gegen Portugal, beim Duell von Mbappé und Altmeister Cristiano Ronaldo, den der Franzose als sein großes Idol bezeichnet, auf ein Fußball-Fest freut, sollte also gewarnt sein. Denn auch die Iberer taten sich bei dieser EM meist schwer in der Offensive.

Frankreich-Coach Deschamps versteht die Aufregung nicht

Frankreich ist nach dem wieder biederen Auftritt gegen Belgien (1:0) zuletzt dann auch hart ins Gericht gegangen mit seiner Nationalmannschaft. In der Zeitung "Le Parisien" war die Rede von "Fußball ohne Tore" und einem "barocken Konzept". Die "L'Équipe" schrieb, dieses Achtelfinale habe "ihre Limits widergespiegelt". Und in "Le Figaro" hieß es, Frankreich spiele "mit angezogener Handbremse und Angst im Bauch".

'Les Bleus' spielen Fußball ohne Tore, ein barockes Konzept, das ihre Spiele schweratmig macht. Wenn sie mal eines machen, weiß man mit ziemlicher Sicherheit, dass es das einzige Tor sein wird." 
aus der Zeitung "Le Parisien"

Nationaltrainer Didier Deschamps weiß mit der Aufregung nichts anzufangen. Bei der Pressekonferenz hielt er den Journalisten entgegen: Lange sei die schlechte Defensive kritisiert worden. Die Baustelle sei nun geschlossen worden. Aber anstatt darüber zu berichten, seien nur die Probleme Teil der Berichterstattung.

Schon nach dem Spiel gegen Belgien hatte der 55-Jährige betont, dass er sehr stolz auf sein Team sei. Die Qualifikation für das Viertelfinale sei keine Kleinigkeit. Nun fügte er hinzu: "Was wir gezeigt haben, hat gereicht, um ins Viertelfinale einzuziehen." Die vier Tage seit dem Spiel habe man dennoch genutzt, um das eigene Spiel zu optimieren.

"Equipé Tricolore" mit beeindruckenden Defensivdaten

Denn der französische Sturm ist im deutschen Sommer nicht mehr als ein laues Lüftchen. 71 Torschüsse hat Frankreich beim Turnier bisher abgegeben. Herausgesprungen ist nicht mehr als das Elfmetertor von Mbappé gegen die Polen (1:1). Die zwei anderen Tore für die Franzosen waren Eigentore des Gegners.

Frankreich gegen Belgien

Frankreich hat mit knapp 55 Prozent die beste Zweikampfquote aller Viertelfinalisten.

Dieser Bilanz des offensiven Schreckens steht allerdings ein defensives Bollwerk gegenüber. Die Franzosen leisten sich nicht nur sehr wenige Fehler - die durchschnittliche Fehlpass-Quote liegt bei neun Prozent. Gerade einmal acht Torschüsse des Gegners lässt das Team von Deschamps, früher selbst ein Mittelfeldorganisator von Weltklasse, pro Partie zu.

In nunmehr vier Partien hatten Frankreichs Gegner gerade einmal zwei (!) Großchancen. Und eine davon war der Elfmeter, den der Pole Robert Lewandowski - im zweiten Anlauf - verwandelte.

Deschamps verzichtet auf Rotation

Deschamps hat seine Stammformation gefunden - gerade in der Defensive: Keeper Mike Maignan (AC Mailand) stand genauso in jedem der vier EM-Spiele in der Anfangsformation wie Rechtsverteidiger Jules Olivier Koundé (FC Barcelona), die Innenverteidigern Dayot Upamecamno (FC Bayern München) sowie William Saliba (FC Arsenal) und Linksverteidiger Theo Hernandez (ebenfalls Milan).

Auf Rotation verzichtet der Trainer, der als Spieler selbst Europa- und Weltmeister war, ganz bewusst: "Die Spiele sind so intensiv - da ist es schwer, hereinzukommen", erklärte Deschamps, der gegen Belgien gerade mal eine seiner fünf Wechseloptionen nutzte.

Rabiot fehlt gesperrt - wird es dadurch offensiver?

Der defensiven Stabilität ist vieles untergeordnet. Mit Dauerläufer N’Golo Kanté und Aurélien Tchouaméni vor der Abwehr haben die Franzosen noch zwei weitere eher defensive Spieler in der Stammelf. Dazu Adrien Rabiot, der zwar der beste Torschussvorbereiter (12) im Team ist, aber selbst eher selten als Torschütze in Erscheinung tritt. Der langjährige Spieler von Juventus Turin, der seit dem 1. Juli ohne Verein ist, hat in seinen bisher 47 Einsätze für die "Équipe Tricolore" nur viermal über einen eigenen Treffer gejubelt.

Allerdings fehlt Rabiot gegen Portugal wegen seiner zweiten Gelben Karte. Zwei Möglichkeiten liegen auf der Hand - und Deschamps ließ sich nicht in die Karten schauen: Entweder er zieht Antoine Griezmann ins Mittelfeld zurück - und könnte zum Beispiel durch Ousmane Dembélé eine zusätzliche Offensivoption bringen. Oder der Weltmeistercoach von 2018 bringt Eduardo Camavinga und bleibt damit seiner defensiven Grundeinstellung treu.

Frankreich gegen Portugal - "der Kampf der Mächte"

Deschamps erwartet jedenfalls, dass die Portugiesen nicht so offensivfreudig agieren werden wie in den Spielen bisher. "Portugal greift lieber an als zu verteidigen. Aber auch die Niederlande haben gegen uns deutlich vorsichtiger gespielt, als man das sonst von ihnen kennt", so Deschamps, der gegen Portugal einen "Kampf der Mächte" erwartet.

Auf Nachfrage, ob er die gute Defensivarbeit als seinen großen Erfolg verbuche, antwortete der Trainer sofort: Er müsse Mbappé, Griezmann und Co. nicht sagen, dass sie nach hinten arbeiten müssen. "Die machen das einfach."

Mbappé will die richtige Mischung finden

Aber natürlich braucht es mindestens ein Tor, um den Traum vom EM-Titel am Leben zu erhalten. Und ein Mbappé hat auch keine Lust, 90 Minuten in der Defensive zu ackern. "Der Teufel liegt im Detail. Das wird ein Duell auf Augenhöhe und wir müssen in beiden Strafräumen die richtigen Entscheidungen treffen", betonte der 25 Jahre alte Stürmerstar.

Und seine eigenen Entscheidungen in der Offensive gehören da explizit dazu: "Ich bin kein Spieler, der Ausreden sucht. Ich mag es, die Läufe in die Tiefe zu machen und werde gegen Portugal die Räume suchen. Und sie können sicher sein, dass ich dann auch versuchen werde, Tore zu schießen. Wir wollen schließlich Europameister werden."