Der Däne Andersen ist nach der Niederlage gegen Deutschland frustriert

Diskussion um VAR "Dafür haben wir die Technik" - Schiri-Experte Wagner zu strittigen Szenen

Stand: 30.06.2024 15:40 Uhr

Beim 2:0 der deutschen Nationalmannschaft im EM-Achtelfinale gegen Dänemark stand der VAR im Mittelpunkt - und sorgte für jede Menge Diskussionsstoff. ARD-Schiedsrichterexperte Lutz Wagner ordnet die Szenen ein.

Deutschland steht im Viertelfinale der EM 2024 - nach einem denkwürdigen Abend in Dortmund, den keiner der Beteiligten so schnell vergessen dürfte. Neben der knapp 25-minütigen Unterbrechung in Halbzeit eins wegen eines schweren Gewitters mit sintflutartigen Regenfällen sowie Blitz und Donner standen beim 2:0 des DFB-Teams gegen Dänemark vor allem Schiedsrichter Michael Oliver sowie der Video Assistant Referee (VAR) im Mittelpunkt.

Den ersten Aufreger gab es bereits in der 3. Minute. Abwehrspieler Nico Schlotterbeck traf nach einem Eckball per Kopf zum vermeintlich frühen Führungstreffer für das DFB-Team. Doch Referee Oliver pfiff das Tor zurück, weil er einen "Block" von Joshua Kimmich an Schlotterbecks Bewacher Andreas Skov Olsen als Foul interpretierte. Der VAR griff in dieser Szene nicht ein.

Das aberkannte Tor von Schlotterbeck

Sportschau UEFA EURO 2024, 29.06.2024 22:55 Uhr

Nico Schlotterbecks frühes Tor wird zurecht aberkannt

Für Lutz Wagner geht diese Entscheidung in Ordnung. "Oliver hatte insgesamt eine kleinliche Linie, da hat diese Entscheidung direkt zu Beginn gut reingepasst", sagt der ARD-Schiedsrichterexperte der EM 2024 gegenüber sportschau.de und führt aus: "Joshua Kimmich hat sich in dieser Szene überhaupt nicht um den Ball gekümmert, sondern hat rein gegnerorientiert agiert. Er hat seinen Gegenspieler weggeblockt, was Schiedsrichter Michael Oliver auf dem Feld gesehen und geahndet hat. Es war definitiv keine Fehlentscheidung, also muss der VAR in dieser Szene auch nicht intervenieren."

Kniffliger wurde es kurz nach der Halbzeitpause, als sich die Ereignisse überschlugen. In der 48. Minute traf zunächst Joachim Andersen zur vermeintlichen Führung für die Dänen und jubelte mit seinen Mannschaftskameraden bereits vor den deutschen Fans auf der Dortmunder Südtribüne. Es dauerte allerdings nicht lange, bis der VAR wegen einer minimalen Abseitsstellung von Passgeber Thomas Delaney eingriff.

Das aberkannte Tor von Andersen

Sportschau UEFA EURO 2024, 29.06.2024 22:47 Uhr

Lutz Wagner: "Dafür haben wir ja die Technik"

"Dass eine Abseitsstellung vorlag, war mit bloßem Auge nicht zu erkennen, deshalb war der VAR-Eingriff korrekt", befindet Lutz Wagner, der die Aberkennung des Treffers begrüßt: "Durch den Chip im Ball wird der Abspielzeitpunkt genau festgelegt, somit hat man eine faktische Entscheidung durch den Computer. Durch ihn wird bestimmt, ob eine Abseitsstellung vorliegt. Die nächste Frage lautet, ob diese strafbar ist. Das beantwortet dann immer der Mensch. Und diese Antwort war in diesem Fall unstrittig, weil Thomas Delaney ja glasklar den Ball spielt."

Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand hatte es indes anders gesehen - er kochte nach dem Spiel vor Wut. Der Coach hatte auf der Pressekonferenz sein Handy gezückt und das Standbild der Abseitsposition vor dem vermeintlichen 1:0, als die Zehenspitzen von Delaney ein wenig voraus waren, gezeigt. "Das Spiel wurde entschieden durch zwei VAR-Entscheidungen. So sollten wir nicht den Videoschiedsrichter benutzen, es geht um einen Zentimeter", sagte Hjulmand. "Das ist einfach nur lächerlich."

Dänemarks Hjulmand - "Ist einfach nur lächerlich"

Sportschau UEFA EURO 2024, 30.06.2024 11:46 Uhr

Für Bundestrainer Julian Nagelsmann war der Abseitspfiff "korrekt", wenngleich etwas "skurril" gewesen. "Ich verstehe aber den Unmut der Dänen."

Nagelsmann - "Ich verstehe den Unmut der dänischen Spieler"

Sportschau UEFA EURO 2024, 30.06.2024 10:31 Uhr

Lutz Wagner hat ebenfalls Verständnis für die Emotionen, die nicht nur die Trainer zeigten, hat aber eine klare Haltung. "Dafür haben wir die Technik. Auch wenn es nur um Zentimeter geht, Abseits ist Abseits", so der Experte.

Dänemarks Abseitssituation im Spiel gegen Deutschland

Dänemarks Abseitssituation im Spiel gegen Deutschland

Knapp zwei Minuten nach dem aberkannten Treffer stand erneut Andersen im Mittelpunkt. Nach einer Flanke von David Raum berührte der Innenverteidiger von Crystal Palace den Ball mit der Hand und fälschte ihn leicht ab. Nach Videobeweis gab es Elfmeter für Deutschland, Schiedsrichter Oliver hatte sich die Bilder zuvor noch einmal auf dem Monitor angeschaut. Bei der Intervention des VAR half auch die neue Technik durch den Chip im Ball, die anzeigt, wann und wie stark der Ball berührt wurde. Kai Havertz behielt die Nerven und netzte eiskalt rechts unten zum 1:0 fürs DFB-Team ein (53.).

Handelfmeter sorgt für Unmut bei den Dänen

Sportschau UEFA EURO 2024, 30.06.2024 12:58 Uhr

"Durch den Chip im Ball weiß man, ob eine Berührung vorgelegen hat"

"Es ist egal, ob die Hand den Ball 'nur' berührt oder ob der Spieler ihn fängt oder faustet. Die Berührung ist das alleine entscheidende Kriterium für die Kategorien 'strafbar' oder 'nicht strafbar'", ordnet Lutz Wagner die Szene ein. Für den Experten war der VAR-Eingriff deshalb korrekt.

"Die Spieler bewegen sich zur Grundlinie, deshalb kann ich nachvollziehen, dass der Schiedsrichter das Handspiel auf dem Feld nicht gesehen hat, weil die Szene für ihn ja auch durch den Körper des Abwehrspielers verdeckt ist. Und auch, wenn der Abstand zwischen den Spielern nur gering ist, so hat der Abwehrspieler die ganze Zeit über Blick auf das Geschehen und weiß genau, von wo der Ball gleich kommen wird. Das wird als sogenannte 'erwartbare Situation' definiert, deshalb ist der VAR-Eingriff richtig. Durch den Chip im Ball weiß man, ob eine Berührung vorgelegen hat. Das ist daher eine sehr sinnvolle Neuerung."

In der 59. Minute sorgte schließlich eine weitere Szene für Diskussionen. Havertz war über halblinks nach Pass von Raum frei durch und chippte den Ball über den dänischen Keeper Schmeichel hinweg rechts am Tor vorbei. Der mitgelaufene Leroy Sané war währenddessen im Laufduell mit Andreas Christensen zu Fall gekommen, Schiedsrichter Oliver hatte weiterlaufen lassen.

"Sané kriegt ein Bein gestellt und kommt dadurch zu Fall. Der Referee hat richtigerweise auf Vorteil für Havertz entschieden - der Vorteil war der bessere und größere und er kam ja auch zum Tragen", beurteilt Lutz Wagner. "Der Schiedsrichter hätte auch das Foul an Sané pfeifen können, aber dann hätte ein eventuelles Tor von Havertz nicht gezählt." Das Foul an Sané nachträglich zu ahnden, etwa mit einer Gelben Karte, sei aufgrund der Tatsachenentscheidung und des Vorteils nicht möglich, so Wagner weiter: "Bei taktischen Fouls lautet die Regel: Vorteil gleich keine persönliche Strafe."

Fazit

In einer turbulenten Partie mit jeder Menge Diskussionsstoff haben der Unparteiische Oliver und die Video-Assistenten für Lutz Wagner vertretbare Entscheidungen getroffen, auch wenn die Szenen knifflig waren. Der Sportschau-Experte begrüßt technische Neuerungen wie den Chip im Ball. Sie würden nicht nur bei der Bewertung von möglichen Handspielen helfen, sondern auch, wenn es darum geht, den genauen Zeitpunkt eines Abspiels bei einer Abseitsstellung festzulegen.