Bundestrainer Julian Nagelsmann geht mit Trainingsutensilien über den Platz.

Länderspielpremiere von Julian Nagelsmann Feuertaufe im "Chaos aus Stahl"

Stand: 14.10.2023 16:39 Uhr

Ein Ort, ein Wort: Hartford. Hier lieferten sich 1987 Boris Becker und John McEnroe ein legendäres Davis-Cup-Match. Und hier gibt Julian Nagelsmann heute gegen die USA sein Debüt als Bundestrainer. Es soll der Auftakt eines neuen, erfolgreichen Kapitels werden.

Von Heiko Oldörp, Hartford/Foxborough

Der Pressekonferenzraum des Rentschler Field in Hartford ist im Gegensatz zu den ansonsten großen Ausmaßen der knapp 40.000 Fans Platz bietenden Arena sehr eng. Fünf Stuhlreihen vor dem Podium, rechts ein Bildschirm an der Wand. Alles in allem nichts Besonderes.

Wenn da nicht dieses Schild an der linken Wand wäre. Die Zeilen darauf klingen, je nach Auslegungssache, wie eine Ode an das Stadion, oder aber als Beispiel für den oftmals etwas überdrehten US-amerikanischen Patriotismus. Dieses "Chaos aus Stahl" sei der Ort, an dem "Helden geschaffen, Vermächtnisse festgelegt, Legenden geboren werden", steht dort unter anderem geschrieben.

Nagelsmann "schwer beeindruckt" von seinem Team

Die Worte stammen von Dan Orlovsky. Der heute 40-Jährige hatte einst eine ganz erfolgreiche College-Karriere als Quarterback an der University von Connecticut, dessen American-Football-Team seine Heimspiele im Rentschler Field von Hartford austrägt.

Julian Nagelsmann kennt Orlovsky nicht, nahm dessen Zitat auf seiner Abschluss-Pressekonferenz vor dem heutigen Testspiel gegen die USA in Hartford aber auf. Er glaube, sagte der Bundestrainer, dass in seiner Mannschaft "generell schon viele Legenden" vorhanden seien. Vor allem bei der Trainingseinheit am Mittwoch sei er "schwer beeindruckt" vom Team gewesen. "Außergewöhnlicher Spirit, aber auch inhaltlich sehr, sehr gut", so Nagelsmann.

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Harte Arbeit, gute Laune, Sonnenschein

Nicht nur er wirkt zufrieden. Rückkehrer Mats Hummels, der zuletzt beim Aus im EM-Achtelfinale am 29. Juni 2021 gegen England das DFB-Trikot trug, hob hervor, dass er "rundum glücklich" sei und "wirklich Spaß" habe.

Generell waren in den vergangenen vier Tagen bei den vier Trainingseinheiten in Foxborough, auf dem Gelände der New England Revolution aus der Major League Soccer, eine positive Grundstimmung und Einstellung auszumachen. Harte Arbeit gepaart mit guter Laune - und das alles bei Sonnenschein und Temperaturen um die 18 Grad.

Nur Beckenbauer und Ribbeck verloren Debüts

Doch was das alles wirklich wert ist, wird sich heute im zwölften Duell gegen die USA zeigen. Ein Sieg sei ihm "natürlich wichtig", sagt Nagelsmann - und ergänzt umgehend: "Wichtig wäre, dass der Sieg allen wichtig wäre - und nicht nur mir." Aber das dem so sei, habe er "schon gespürt diese Woche".

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Der 36-Jährige ist der zwölfte Bundestrainer/Teamchef der Nationalmannschaft. Von seinen elf Vorgängern verloren nur Franz Beckenbauer (1:3 gegen Argentinien) und Erich Ribbeck (0:1 gegen Türkei) ihre Debüts. Bis auf den erkrankten Joshua Kimmich stehen Nagelsmann alle Spieler zur Verfügung.

Bundestrainer will aktiven, aggressiven Fußball

Mehr ließ er sich zur Aufstellung nicht entlocken, sprach dafür aber ausführlich über die Spielweise, die er gegen die USA und am Dienstag in Philadelphia gegen Mexiko sehen möchte. "Wir wollen aktiven, aggressiven Fußball spielen, uns über eigene Ballbesitz-Phasen mehr Torchancen herausspielen, als das vielleicht zuletzt der Fall war", sagte der Trainer und ergänzte: "Die Leute, die zuschauen, sollen Spaß dabei haben."  

Thomas Müller, einer von fünf Profis, die bis zu Nagelsmanns Entlassung am 23. März beim FC Bayern München von ihm trainiert wurden, hat eine "relativ ähnliche Herangehensweise" wie zu Nagelsmanns Tagen beim Rekordmeister ausgemacht. Der Trainer habe allerdings auch betont, es "nicht zu kompliziert halten" zu wollen, ergänzt der Sturm-Routinier. Denn bei der Nationalmannschaft habe der Coach schließlich nicht die Zeit wie im Verein.

In acht Monaten EM-Auftakt in München

In genau acht Monaten beginnt am 14. Juni mit dem Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft in München die Europameisterschaft. Und nach der USA-Reise gibt es nur noch einen DFB-Lehrgang im November und einen im März, bevor dann bereits die EM-Vorbereitung beginnt. Deshalb gehe es jetzt "um Ergebnisse", weiß Müller.

In Hartford gab es schon mal ein, aus deutscher Sicht, ganz wichtiges Ergebnis - verbunden mit einem legendären Tennis-Match. Nur fünf Kilometer vom Rentschler Field entfernt, auf der anderen Seite des Connecticut River. Dort standen sich vom 24. bis 26. Juli 1987 im Civic Center die USA und Deutschland im Davis Cup gegenüber. Es ging um den Verbleib in der Weltgruppe.

Becker spielt in Hartford "größtes Match" seiner Karriere

Damals hatte dieser Wettbewerb noch eine weitaus größere Bedeutung. Er lockte Millionen Menschen vor die TV-Geräte - und er bot eben Spiele wie das von Becker gegen McEnroe, die am 24. Juli im zweiten Match aufeinandertrafen. Die Atmosphäre war hitzig, auch, weil McEnroe seine 10.000 Landsleute mit wedelnden Armen immer wieder animierte, noch lauter zu sein als ohnehin schon.

Der 19-jährige Becker, damals bereits zweimaliger Wimbledon-Sieger, setzte sich dennoch in einem 6:21-Stunden-Thriller in fünf Sätzen durch und sprach anschließend vom "größten Match, das ich je gespielt habe". Deutschland gewann 3:2, schaffte somit den Klassenerhalt, Becker lief mit einer riesigen, schwarz-rot-goldenen Fahne über das Spielfeld. Davis-Cup-Rekordsieger USA hingegen musste erstmals absteigen.

Potenziale nur wertvoll, wenn man sie ausschöpft

Für Deutschland war der Sieg von Hartford der Beginn der glorreichsten Davis-Cup-Ära der Verbandsgeschichte. Denn 1988 und 1989 gewannen Becker und Co. jeweils den Titel. Nun können die deutschen Fußballer zwar in Hartford nicht absteigen, aber sie könnten zumindest ihre Talfahrt stoppen - und somit vielleicht, wie einst das Davis-Cup-Team, den Grundstein für ein erfolgreiches, ja womöglich gar legendäres Kapitel legen.

Legenden oder auch ein Geist würden entstehen, sagt Nagelsmann, wenn man Partien gewinne und gut spiele. Die Potenziale dazu habe seine Mannschaft. Aber Potenziale seien eben nur sinnvoll, wenn man sie auch ausschöpfe. Und genau dies zu tun, dafür seien letztlich "wir alle verantwortlich", betont Nagelsmann.

Von Beckers legendärem Match in Hartford hatte er übrigens nichts mitbekommen. Nagelsmann war zwar schon auf der Welt, aber am 24. Juli 1987 erst einen Tag alt.