Aryna Sabalenka feiert ihren Sieg bei den US Open.

Sieg bei den US Open Sabalenka krönt mentalen Ritt auf der Rasierklinge

Stand: 08.09.2024 11:40 Uhr

Im Vorjahr gab Aryna Sabalenka den Finalsieg bei den US Open noch aus der Hand. Diesmal wackelte sie zwar, gewann aber trotzdem gegen Jessica Pegula aus den USA. Es war ein besonderer Sieg. Hinter ihr liegt ein Jahr voller Hürden. 

Als alles vorbei war - der letzte Ball gespielt, die Tränen des Triumphes getrocknet und die Trophäe in ihren Händen - da sagte Aryna Sabalenka einen Satz, der ihre vergangenen zwölf Monate ganz gut zusammenfasste: "Wenn du immer weiter hart arbeitest und alles für deinen Traum aufopferst, wirst du eines Tages ans Ziel kommen."

Aryna Sabalenka hat am 7. September 2024 ihr Ziel erreicht. Im Arthur Ashe Stadium von Flushing Meadows. Dort hat sie das Finale der US Open gewonnen. Es war nach den Triumphen bei den Australian Open 2023 und in diesem Jahr ihr dritter Grand Slam-Erfolg. Nach 1:53 Stunden hatte Sabalenka 7:5, 7:5 gegen die US-Amerikanerin Jessica Pegula gewonnen. Sie hat dafür hart gearbeitet, sehr viel geopfert - und ist nun belohnt worden. 

Hinfallen, aufraffen, weitermachen, gewinnen

Sie sei "super stolz auf sich selbst", sagte Sabalenka, und betonte zugleich, dass sie so etwas eigentlich nicht über sich selbst sage. Allerdings gingen diese Worte fast im Jubel des Publikums unter. New York hatte sie lieb gewonnen, diese in Minsk geborene und in Miami lebende 26-Jährige. Denn sie personifiziert den Stoff einer Geschichte, die sie in Amerika so lieben. Eine Geschichte vom Hinfallen, sich aufraffen, vom Weitermachen - und gewinnen. All das hat Sabalenka in den vergangenen zwölf Monaten erlebt. 

Ihre Geschichte begann dort, wo sie nun auch endete: im Arthur Ashe Stadium von Flushing Meadows. Dort hatte Sabalenka am 9. September 2023 im Finale gegen die Amerikanerin Coco Gauff den ersten Satz dominiert und 6:2 gewonnen. Doch dann wurde sie nervös, machte Fehler, brachte ihre Gegnerin somit zurück ins Match. Und: Sabalenka spielte nicht nur gegen Gauff, sondern auch gegen deren knapp 24.000 lautstarke Landsleute. 

Tim Brockmeier, Sportschau, 08.09.2024 09:09 Uhr

Expertin Evert zuversichtlich

Die hatten im Hexenkessel mit den 40 Meter hohen Tribünen auf jede erfolgreiche Aktion von Gauff und jeglichen Fehler von Sabalenka reagiert wie ein hungriger Löwe, dem ein rohes Stück Fleisch vorgehalten wurde. Sie sabberten regelrecht vor Begeisterung, sie brüllten lautstark, sie wollten mehr. Und sie bekamen es auch: Gauff gewann 2:6, 6:3, 6:2.

"Sabalenka hatte einen Einbruch in dem Match, vor allem wegen des Publikums. Das wird ihr heute nicht passieren, sie hat ihre Lektion gelernt", meinte "ESPN"-Expertin Chris Evert nun im Finale gegen Pegula. Und die 18-malige Grand-Slam-Siegerin sollte zunächst recht behalten. 

Härtester Vorhand-Topspin des Turniers

5:2 hatte Sabalenka im ersten Satz geführt. Sie war besser, sie spielte souverän ihr Power-Tennis, drosch die Bälle knallhart, lang und platziert übers Netz. Jeder Schlag untermalt mit ihrem längst bekannten, lauten Stöhnen. In den Tagen von Flushing Meadows wurden viele Daten erhoben. Unter anderem die für die stärkste Vorhand des Turniers. Auf Platz eins: kein Mann, sondern Sabalenka. Sie erzielte mit ihrem Topspin eine Durchschnitts-Geschwindigkeit von 80 Meilen (128,75 km/h). Carlos Alcaraz kam auf 79 Meilen (127,14 km/h), bei Jannik Sinner wurden 78 Meilen (125,3 km/h) gemessen.

Doch was nützt all die Kraft, wenn der Kopf schwächelt? Denn plötzlich hatte Pegula zum 5:5 ausgeglichen. Sabalenka, die bis dahin so souverän auftretende Favoritin, wirkte verletzlich. Pegula merkte das - und natürlich auch das Publikum. Als Sabalenka bei 5:5, 30:30 ein Doppelfehler unterlief und Pegula somit Breakball hatte, jubelten die Massen - während Sabalenka frustriert mit ihrem Schläger vier Mal auf den blauen Boden eindrosch. Da war es wieder, dieses Gefühl des Vorjahres: sie gegen alle. Aryna gegen Amerika. 

Trotz magentafarbenem Outfit plötzlich blass

Ähnlich angespannt war sie kurz darauf, als sie bei einer 6:5-Führung und Aufschlag Pegula vier Satzbälle nicht verwandeln konnte. Die fünfte Chance nutzte Sabalenka dann mit einem gefühlvollen Rückhandstop zum 7:5. Allerdings wurde auch der zweite Durchgang für sie zu einem Mental-Ritt auf der Rasierklinge. 

Nach zwei gewonnenen Aufschlagspielen und einem Break war Sabalenka 3:0 vorn - und wurde trotzdem wieder nervös. Fortan diktierte Pegula die Ballwechsel, war die druckvollere Spielerin, und führte 5:3. Sabalenka war fast nur in der Defensive und wirkte trotz ihres magentafarbenen Outfits ziemlich blass.

Sabalenka kratzt, kämpft und kommt zurück

Doch dann zeigte sich die Entwicklung, die sie seit der Niederlage gegen Gauff gemacht hatte. Sabalenka kratzte, kämpfte und kam so zurück ins Match. Sie nahm Pegula den Aufschlag zum 5:5 ab. Sie brachte anschließend ihr eigenes Service zum 6:5 durch - und sie nutzte ihren zweiten Matchball zum Sieg. 

Sabalenka sank zu Boden, hielt sich die Hände vor das Gesicht und weinte. Vor einem Jahr hatte sie genau hier noch Tränen der Enttäuschung vergossen, nun waren es Tränen der Erleichterung, der Erlösung und Genugtuung. Sabalenka verteilte Handküsschen Richtung Ränge und klatschte auf ihrem anschließenden Weg zu ihrer Box mit vielen Fans ab. Alle freuten sich mit ihr. Wenn schon keine Amerikanerin die US Open 2024 gewinnen sollte, dann war diese Aryna Sjarhejeuna Sabalenka die beste Option für das New Yorker Publikum.

Charme-Offensive mit New Yorker Publikum

Was hatten beide in den vergangenen Tagen miteinander geflunkert und geflirtet. "Die Getränke gehen auf meine Rechnung", antwortete Sabalenka unter dem Jubel der Fans nach ihrem Viertelfinalsieg auf die Frage, wie sie denn im Halbfinale gegen die Amerikanerin Emma Navarro die Fans dazu bringen könne, sie zu unterstützen. 

"Jetzt werdet ihr aber mich anfeuern, oder", meinte sie dann mit ihrem sympathischen Lächeln nach dem Sieg gegen Navarro, als noch nicht feststand, dass sie mit Pegula auch im Endspiel auf eine Amerikanerin treffen würde. Und nun, als sie endlich diese US Open gewonnen hatte, bedankte sich Sabalenka für die "viele Unterstützung." Die Fans, hob sie hervor, seien "fantastisch" und würden "das alles hier zu einem besonderen und reizenden Ort" machen. 

Ex-Lebenspartner nimmt sich das Leben

Soviel zum Sportlichen. Doch zu ihrer Geschichte der vergangenen zwölf Monate gehört noch ein Kapitel. Ein tragisches. Ihr ehemaliger Lebenspartner, Konstantin Koltsov, war im März in Miami gestorben. Der ehemalige Eishockey-Profi, der in seiner Karriere unter anderem 144 Spiele für die Pittsburgh Penguins in Nordamerikas Profiliga NHL absolvierte, war von einem Hotelbalkon gesprungen. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Sabalenka sprach von einer "undenkbaren Tragödie". Sie war zwar zum Zeitpunkt des Unglücks nicht mehr mit Koltsov zusammen gewesen, dennoch sei ihr "Herz gebrochen", betonte sie. 

Trotzdem legte Sabalenka keine Pause ein und spielte beim Turnier in Miami. Genau so hatte sie es auch schon 2019 gemacht, als ihr Vater Sergey im Alter von 43 Jahren verstorben war. Damals habe ihr Tennis geholfen, durch diese harte Zeit zu kommen, sagte sie vor den US Open in einem Interview mit der britischen Zeitung "The Guardian". Und deshalb habe sie nach Koltsov's Tod gedacht, dass sie es diesmal erneut so machen müsse. Ihren Kummer mit Training und Turnieren irgendwie betäuben. 

Mentale Probleme führen zur Verletzung

Rückblickend sei dies ein Fehler gewesen. Sie habe gemerkt, dass Körper und Kopf einfach nicht mehr konnten, so sehr sie sich auch zwang. Im Viertelfinale der French Open streikte ihr Magen. Beim Turnier in Berlin musste sie wegen einer Schulterverletzung aufgeben und verpasste anschließend auch Wimbledon. Mittlerweile kennt Sabalenka den Grund: Sie hatte mentale Probleme, ihre seelische Gesundheit habe in dieser Phase sehr gelitten, sagt sie. Erst durch die Schulterverletzung sei ihr klar geworden, dass sie dringend eine Pause gebraucht habe, so Sabalenka. 

Nach ihrem Comeback gewann sie das Turnier in Cincinnati - im Finale ebenfalls gegen Pegula - und nun die US Open. Der Titel in Flushing Meadows sei "immer ein Traum" von ihr gewesen, sagte sie: "Im Vorjahr war ich so nahe dran. Jetzt diese wundervolle Trophäe zu haben, bedeutet mir sehr viel. Ich bin einfach sprachlos."