Vor dem 1000. Länderspiel Hansi Flick und der Auftrag ein Jahr vor der EM
Bundestrainer Hansi Flick hat die Nationalmannschaft am Mittwoch zusammengerufen. Für das Jubiläumsspiel gegen die Ukraine in Bremen ist der Kader aber nicht komplett.
Die große Terrasse auf dem Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Frankfurter Stadtteil Niederrad bietet einen prächtigen Blick auf die Skyline. Zugleich ist sie so geräumig gestaltet, dass hier 600 Fans am Donnerstagnachmittag (08.06.2023) vor Platz eins auch das Training der deutschen Nationalmannschaft verfolgen können.
So viele Plätze hat der DFB über seine digitalen Kanäle verlost, der damit ein Jahr vor der Heim-EM bei seinen nächsten Länderspielen erneut Volksnähe demonstrieren möchte. Ohne gültiges Ticket gibt es keinen Einlass auf das ansonsten hermetisch abgeriegelte Gelände, in dem die DFB-Auswahl für drei Länderspiele zusammenkommt.
Erst gibt es die Benefizpartie gegen die Ukraine in Bremen kommenden Montag (12.06.2023/18 Uhr), die zugleich das 1000. Länderspiel der DFB-Geschichte ist. Anschließend folgen noch Testspiele gegen Polen in Warschau (16. Juni) und gegen Kolumbien in Gelsenkirchen (20. Juni). Bundestrainer Hansi Flick spricht von "drei starken Gegnern".
Die EM 2024 ist noch nicht in den Köpfen
Der übergreifende Auftrag: mit guten Leistungen das Interesse an der Nationalmannschaft steigern und eine gewisse Vorfreude für das Turnier im eigenen Land wecken, das am 14. Juni 2024 in München eröffnet wird und am 14. Juli in Berlin endet. Es geht auch ums grundsätzliche Interesse an einem Ereignis, das aus diversen Gründen noch nicht wirklich bei allen Sportinteressierten bereits als Erweckungserlebnis wie einst die WM 2006 verankert ist.
Zum einen drücken die weltweiten Krisenherde bei vielen Menschen aufs Gemüt, aber insbesondere der Profifußball hat den Imageverlust durch seine Gier nach immer mehr Geld und immer größeren Formaten zu verantworten. Dazu befindet sich die deutsche A-Nationalelf zur Unzeit in einer Talsohle und hat viele Anhänger verloren. Nach den drei unbefriedigenden Turnieren mit der WM 2018, der EM 2021 und vor allem der WM 2022 befindet sich der Bundestrainer mit Blickrichtung auf den nächsten Sommer in der Bringschuld.
Es gibt Verbesserungsbedarf
"Wir sind mit der Nationalmannschaft nicht mehr an der Spitze. Das heißt, wir müssen uns das Step für Step alles wieder erarbeiten. Wir können nicht garantieren, dass wir alle drei Spiele gewinnen, aber dass wir 100 Prozent Einsatz zeigen und versuchen, die Fans auf unsere Seite zu bekommen", sagte Flick in einer Videobotschaft zur Kadernominierung.
Der nach der WM inthronisierte DFB-Sportdirektor Rudi Völler erwartet, dass alle nach der langen Saison "noch mal eine Schippe drauflegen". Die ersten Auftritte im Frühjahr gegen Peru (2:0) und Belgien (2:3) nach der auf allen Ebenen vermasselten WM in Katar lösten noch keine Begeisterungsstürme aus.
Je vier Spieler aus München, Dortmund und Leipzig berufen
Inwieweit dazu jetzt wirklich vier Akteure des FC Bayern um Interimskapitän Joshua Kimmich nach einem einwöchigen Kurzurlaub, dazu mit Nico Schlotterbeck, Marius Wolf, Emre Can und Julian Brandt die vier Aktiven von Borussia Dortmund nach der verpassten Meisterschaft in der Lage sind, wird sich zeigen.
Das Quartett von RB Leipzig hatte hingegen erst gerade die Titelverteidigung im DFB-Pokal zu feiern. Bundestrainer Hansi Flick hat insgesamt einen 26-köpfigen Kader nominiert, wobei nicht alle jetzt am Mittwoch (07.06.2023) im Kempinski Gravenbruch vor den Toren Frankfurts erwartet werden.
Nicht alle Akteure reisen sofort an
Denn mit Ilkay Gündogan (Manchester City) und Robin Gosens (Inter Mailand) stehen sich zwei deutsche Nationalspieler erst noch am Samstag im Champions-League-Finale gegenüber und werden erst nach dem Ukraine-Spiel zum Aufgebot stoßen. Thilo Kehrer (West Ham United) als frischgebackener Conference-League-Sieger sowie Torwart Marc-André ter Stegen, der mit dem FC Barcelona noch auf Japan-Reise war, stoßen am Freitag zum Team dazu.
Flick ist sichtlich bemüht, die Motivation bei seiner Mannschaft zu schüren, was in drei Freundschaftsspielen nach Ende einer durch die WM extrem kräftezehrenden Spielzeit nicht ganz so leicht werden dürfte. "Im 1000. Länderspiel dabei sein zu dürfen, ist für jeden Spieler etwas Besonderes", betonte der 58-Jährige. Besonders ist mit dem Bremer Weserstadion auf jeden Fall der Spielort. Mehr als 32.000 Tickets sind bislang verkauft, der DFB rechnet fest damit, dass alle 35.975 Plätze bei dieser historischen Begegnung belegt sein werden.
Das erste Länderspiel in Bremen seit Februar 2012
Dort, wo die Weser einen Bogen macht, wurde schon mehr als ein Jahrzehnt kein Länderspiel mehr ausgetragen. Letztmals am 29. Februar 2012. Damals noch mit Tim Wiese zwischen den Pfosten, Dennis Aogo als linker Verteidiger und Mesut Özil in der Regiezentrale einer DFB-Elf, die gegen Frankreich 1:2 den Kürzeren zog. Seitdem war Bremen wegen eines sogar vor Gericht ausgetragenen Streits um die Beteiligung an Polizeikosten mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) mit einem Bannstrahl belegt.
Unter Präsident Wolfgang Niersbach entzog der Verband der Hansestadt im Herbst 2015 kurzfristig die zugesagte Begegnung in der EM-Qualifikation gegen Gibraltar. Der aktuelle DFB-Chef Bernd Neuendorf nutzte seine politischen Verbindungen als ehemaliger SPD-Mann, um wieder Brücken in die sozialdemokratisch geprägte Hansestadt zu schlagen. Im Herbst vergangenen Jahres saß Neuendorf bereits mit Bremens streitbarem Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) zusammen, im Frühjahr machten beide Seiten die Versöhnung publik.
Bernd Neuendorf hat die Versöhnung hinbekommen
"Bremen gehört für den DFB auf die Landkarte des Fußballs, unabhängig von unterschiedlichen Auffassungen mit dem Senat zu einzelnen politischen Sachthemen", erklärte Neuendorf. Und Mäurer ergänzte: "Mit der Vergabe des 1.000. Länderspiels an Bremen hat der DFB seine bisherige Haltung korrigiert. Das ist erfreulich."
Der involvierte Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald war ebenfalls heilfroh, "dass wieder Länderspiele am Osterdeich stattfinden können". Schließlich ist Werder Bremen als Verein auch kein schlechter Repräsentant, was Werte wie soziale Verantwortung oder Nachhaltigkeit angeht.