Debatte um die Bundestrainerin Alexandra Popp vermeidet das Bekenntnis
Den Auftakt in die Nations League gegen Dänemark sollen die deutschen Fußballerinnen für einen Neustart nutzen, aber ausgerechnet die Kapitänin will der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nicht den Rücken stärken.
Die Verständigungsprobleme bei den deutschen Fußballerinnen sind offenkundig. Selten hat es bei einer digitalen Pressekonferenz des deutschen Frauen-Nationalteams so sehr gehakt wie vor dem Nations-League-Auftakt in Viborg gegen Dänemark (Freitag 18 Uhr/live ARD).
Die Ton- und Bildausfälle aus der dänischen Region Midtjylland auf dem Wege nach Deutschland standen symbolhaft für die gesamten Störungen bei einem früheren Aushängeschild des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), das seinen Führungsanspruch bei der WM in Australien und Neuseeland mit dem ersten Vorrundenaus der Geschichte vor 50 Tagen verspielt hat.
Britta Carlson will mehr Leidenschaft sehen
Die DFB-Frauen sind durch das WM-Desaster nur noch Sechster der FIFA-Weltrangliste. Dazu fehlt mit der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg das Gesicht. Insofern lastet einiger Ballast auf dem Ensemble, das Britta Carlson vorübergehend anleitet. Die in die Verantwortung gerückte Assistentin forderte Aggressivität und Leidenschaft ein, "die wir bei der WM nicht immer gezeigt haben". Ein weiteres Eingeständnis des Versagens in Australien.
Als Kapitänin Alexandra Popp sich vor einer "schönen Herausforderung gegen einen internationalen Topgegner" (Carlson über Dänemark) zur Ausgangslage äußerte, hörte sich das verhalten optimistisch an. Dem Team sei klar, was gegen die Däninnen mit Starstürmerin Pernille Harder auf dem Spiel stehe. Zur WM sei nur ein "Mini-Rückblick" angestellt worden: "Wir haben Gespräche geführt, um offen miteinander umzugehen."
Alexandra Popp reicht die Entscheidung an den Verband weiter
Verräterisch allemal, dass die seit Jugendzeiten mit Voss-Tecklenburg verbandelte Torjägerin jedoch auf explizite Nachfrage kein klares Bekenntnis zu ihrer langjährigen Förderin abgeben wollte. Die Frage, ob sie sich die Rückkehr der Bundestrainerin wünsche, ließ die 32-Jährige unbeantwortet: "Wir hoffen, dass Martina wieder gesund wird und voll genesen irgendwann wieder da ist. Alles andere entscheidet der Verband und nicht wir. Es ist grundsätzlich nicht unsere Entscheidung."
Derlei Distanz von einer der wichtigsten Fürsprecherinnen muss hellhörig machen. Zugleich nahm die Anführerin aber auch ihre Mitspielerinnen in die Verantwortung, eine Trotzreaktion nach dem historischen Vorrundenaus zu zeigen. "Niemand ist gerade glücklich über die Situation, aber die müssen wir bestmöglich annehmen", mahnte Popp. "Es geht um die Olympia-Qualifikation. Deswegen heißt es jetzt: zusammenstehen und arbeiten."
Deutschlands Fußballerin des Jahres war beim Training - und nicht nur beim Autogrammeschreiben - die vergangenen Tage wieder eine der Fleißigsten. Popp will eine "positive Spannung" spüren, wo man auch mal "gegenseitig aneckt", doch die Bedingungen für einen Neustart sind allemal herausfordernd.
Es könnte ein stürmischer Herbst werden
Die Nations League, die die Uefa auch den Frauen übergestülpt hat, entscheidet über zwei freie Startplätze zum Olympischen Fußballturnier 2024, wo auch die bereits 2016 mit Gold noch unter Silvia Neid dekorierte Popp unbedingt noch mal mitspielen möchte: "Wir wollen zu Olympia."
Das bei der WM in der Vorrunde an Marokko, Kolumbien und Südkorea so kläglich gescheiterte Team muss erst die Gruppe mit Dänemark, Island und Wales gewinnen - und danach wahrscheinlich auch das Halbfinale gegen einen anderen Gruppensieger, der Spanien oder Schweden, England oder Niederlande heißen könnte. Frankreich ist als Gastgeber qualifiziert.
Carlson begrüßt dieses Format genau wie Popp. Denn die Qualifikationsspiele gegen zweit- und drittklassige Gegner haben in der Vergangenheit niemandem etwas gebracht. Doch in der aktuellen Lage des deutschen Teams ist ein Kaliber wie Dänemark nicht zu verachten. Die Vize-Europameisterinnen müssen dafür schnell eine andere Haltung als im Sommer entwickeln, als schon die Warnschüsse in den Testspielen gegen Vietnam und Sambia niemand hören wollte - auch die Bundestrainerin nicht.
Der Rucksack der WM ist nicht abgelegt
Carlson kündigte jetzt taktische und personelle Veränderungen an, die als Schlussfolgerung der Aufarbeitung zu verstehen sind. Konkret wollte sich die 45-Jährige aber nicht äußern. Sicher ist, dass Svenja Huth nicht wieder Rechtsverteidigerin spielt, weil deren Ehefrau ein Kind zur Welt gebracht hat.
Mehrere Spielerinnen waren in der vom DFB durchgeführten Befragung, federführend übrigens der Sportliche Leiter Joti Chatzialexiou, so ehrlich, solche Missstände anzusprechen. Nur allzu gerne hätte DFB-Präsident Bernd Neuendorf seine Erkenntnisse mit der Analyse der Bundestrainerin abgeglichen. Doch dieser entscheidende Part der Aufarbeitung ist blockiert. Nun schleppt man den Rucksack mit sich herum, wie Chatzialexiou einräumte. Der 47-Jährige muss selbst befürchten, dass er bald seinen Job als Leiter der Nationalmannschaften los ist.
Denn dem Vernehmen nach steht Chatzialexiou für den noch vakanten Posten als Direktor Frauenfußball nicht zur Verfügung. Und die anderen Bereiche sind bereits von Rudi Völler (A-Nationalmannschaft und U21) und Hannes Wolf (Nachwuchs, Training und Entwicklung) abgedeckt. Chatzialexiou ist mit nach Dänemark gereist, will dem Team beistehen - er hatte einst auch Voss-Tecklenburg vom Schweizer Fußball-Verband zum DFB gelotst.