Martina Voss-Tecklenburg, Stefan Kuntz und Inka Grings
analyse

Suche nach neuer Führungskraft DFB-Frauen - Inka Grings und Stefan Kuntz auf der Shortlist

Stand: 03.10.2023 15:17 Uhr

Der DFB arbeitet fieberhaft daran, den vakanten Trainerposten bei der Frauen-Nationalelf zu besetzen. Die Schweizer Nationaltrainerin Inka Grings und Stefan Kuntz sind die Topkandidaten.

Es ist kein Geheimnis, dass die Lage um die deutsche Frauen-Nationalmannschaft höchst kompliziert ist. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben, ihre Vertreterin Britta Carlson sieht sich nicht in der Chef-Rolle.

Dazu hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Posten Direktor Frauenfußball im neu strukturierten Sportbereich noch zu besetzen. DFB-Präsident Bernd Neuendorf und der neue Geschäftsführer Andreas Rettig haben dazu wichtige Gespräche angesetzt - auch mit externen Fachleuten, denn die Expertise der beiden im Fußball der Frauen gilt als begrenzt.

Es gibt zu wenige hochqualifizierte Trainerinnen

Limitiert ist auch der Markt an hochqualifizierten Trainerinnen, sonst würde nicht auch in der Frauen-Bundesliga nur eine einzige Frau - Theresa Merk beim SC Freiburg - arbeiten. Deswegen hat sich der Verband intern darauf verständigt, Frauen wie Männer als Kandidaten fürs Traineramt bei den DFB-Frauen in Betracht zu ziehen.

Das oberste Regal wäre die mit den Europameistertiteln 2017 und 2022 dekorierte Sarina Wiegman, die allerdings beim Vizeweltmeister England unter Vertrag steht. Unabhängig von der Bereitschaft der erfolgreichen Niederländerin: Aus wirtschaftlichen Erwägungen gilt die Umsetzung für den finanziell in Schieflage geratenen DFB als unrealistisch.

Die Nationalspielerinnen haben Klarheit eingefordert

Daher beschäftigt sich der Verband nach Informationen der Sportschau nun vor allem mit zwei Kandidaten, mit denen Gespräche geführt werden sollen: Inka Grings, die noch beim Schweizer Fußball-Verband (SFV) unter Vertrag steht, und Stefan Kuntz, der nach seiner Entlassung in der Türkei verfügbar wäre.

Zwar erfordert der Umgang mit Voss-Tecklenburg nach ihrer Krankmeldung Anfang September viel Fingerspitzengefühl, aber um eine Entscheidung kann sich die DFB-Spitze nicht mehr länger drücken: Mehrere Nationalspielerinnen hatten nach dem Nations-League-Sieg gegen Island (4:0) unmissverständlich "Klarheit" gefordert. Eine Weiterbeschäftigung der Bundestrainerin in ihrer bisherigen Position gilt nach Problemen in der Kommunikation bei der WM in Australien mit einem Großteil ihres Kaders inzwischen dem Vernehmen nach als ausgeschlossen.

Inka Grings arbeitet wie Martina Voss-Tecklenburg früher in der Schweiz

Grings kann auf einen ähnlichen Werdegang wie Voss-Tecklenburg verweisen, die von 2012 bis 2018 für den SFV erfolgreiche Aufbauarbeit verrichtete, ehe sie vom inzwischen entmachteten Sportlichen Leiter Joti Chatzialexiou überzeugt wurde, den Job als Bundestrainerin anzutreten. Wiederholt sich jetzt ein solcher Abwerbeversuch? Grings hat zwar jüngst die Nations-League-Spiele gegen Italien (0:1) und Spanien (0:5) verloren, doch bereitet die 44-Jährige mit Blick auf die Heim-EM 2025 bereits die Kader-Verjüngung vor und nimmt dafür Rückschläge hin.

Die 96-fache Nationalstürmerin führte das Nationalteam der "Eidgenossen" mit einem sehr pragmatischen Ansatz bis ins WM-Achtelfinale, wo die Schweiz dann allerdings gegen die späteren Weltmeisterinnen aus Spanien (1:5) unter die Räder kam. Die Nationaltrainerin hatte im Vorlauf körperliche Mehrarbeit von ihren Spielerinnen gefordert, um den erhöhten physischen Anforderungen standzuhalten, zudem Wert auf eine funktionierende Defensive gelegt. Beides hätte auch der DFB-Auswahl in Australien gut getan.

Grings gilt als selbstbewusst, extrovertiert und stressresistent - und kennt Spielerinnen wie Alexandra Popp noch aus ihrer aktiven Zeit. Und sie war ja auch die ehemalige Lebensgefährtin der aktuellen Bundestrainerin, die nach der Trennung vor den Olympischen Spielen 2000 aus der DFB-Auswahl flog. Die Irritationen von früher sind zwischen beiden aber längst beigelegt. Erst vor der WM sagte Voss-Tecklenburg, sie sei heute überaus stolz, dass sie auch "mit Inka respektvoll und freundschaftlich miteinander umgehe, obwohl wir unterschiedliche Lebenswege gegangen sind". Ihre ehemalige Lebensgefährtin trainierte 2019/2020 sogar den Männer-Regionalligisten SV Straelen, wo ihr Ehemann Hermann Tecklenburg als Vereinsboss die Strippen zieht.

Derzeit noch für den Schweizer Fußball-Verband tätig: Inka Grings

Derzeit noch für den Schweizer Fußball-Verband tätig: Inka Grings

Martina Voss-Tecklenburg könnte den Posten als Direktorin bekommen

Der Bauunternehmer brachte seine erkrankte Frau nun als DFB-Direktorin ins Gespräch. "Sollte sie ihren aktuellen Job nicht weitermachen oder weitermachen dürfen, halte ich das für eine hervorragende Idee", sagte der 75-Jährige in der "Bild", denn: "Sie kann Dinge klug vortragen, hat eine außergewöhnliche Weitsicht und enorme Kompetenzen. Das sollte der DFB weiterhin schätzen. Martina zu verlieren, wäre ein Riesenfehler."

Tatsächlich können sich viele auf dem DFB-Campus die 55-Jährige in einer solchen Rolle vorstellen, um die Förderung von Frauen und Mädchen im Fußball und den Übergang bis in den Elitebereich zu verbessern oder Themen wie Talentgerechtigkeit und Equal Play mit mehr Inhalt zu füllen. Die Versetzung in den eher administrativen Bereich unter Rettigs Obhut wäre eine elegante Lösung, damit alle Beteiligten das Gesicht wahren - zudem würde Geld für eine neue Person als Direktor gespart.

Große Aufgeschlossenheit gegenüber Stefan Kuntz

Dringender scheint aber die Trainerfrage. Unter den Spielerinnen herrscht große Aufgeschlossenheit gegenüber einer Figur wie Kuntz, der mit seiner durchaus mitreißenden Art die deutsche U21 zu zwei EM-Siegen führte. Dem 60-Jährigen werden Fähigkeiten zugeschrieben, die unter Interimstrainer Horst Hrubesch bis zum Amtsantritt von Voss-Tecklenburg bestens ankamen. Ein Menschenfänger wäre nach den vielen atmosphärischen Störungen genau der Richtige, heißt es intern.

Am Rande des Spitzenspiels Eintracht Frankfurt gegen VfL Wolfsburg (2:4) äußerte sich auch Torhüterin Almuth Schult am Sonntag (01.10.2023) im Hessischen Rundfunk positiv über Kuntz. "Ich kann bestätigten, dass er eine herausragende Persönlichkeit ist. Von daher ist so jemand auf dem Posten nicht falsch", sagte die dreifache Mutter. Die 32-Jährige sitzt noch immer im Mannschaftsrat, ihr Wort hat viel Gewicht.

Tommy Stroot, Stefan Lerch oder Thomas Wörle sind alle kaum verfügbar

Sollte die Wahl auf Kuntz fallen, ist denkbar, dass der ehemalige Assistent Thomas Nörenberg zurückkommt, der die meisten Protagonistinnen bestens kennt, weil er bis zur EM in England zum Trainerteam gehörte. Erfahrung aus dem Frauenbereich brächten zwar aktuelle Bundesliga-Trainer wie Tommy Stroot (VfL Wolfsburg) oder Stephan Lerch (TSG Hoffenheim) mit, die aber kaum ihre Arbeitgeber so früh in der Saison im Stich lassen dürften.

Ähnlich verhält es sich bei Thomas Wörle. Der von 2010 bis 2019 erfolgreich mit den Fußballerinnen des FC Bayern arbeitende Coach würde das Anforderungsprofil als Bundestrainer erfüllen, doch ist der ehemalige Profi ganz bewusst zurück in den Männerfußball gegangen, wo er gerade mit langem Anlauf den SSV Ulm 1846 in die 3. Liga geführt hat. Auch sein Name wurde offenbar bereits besprochen. Der DFB will derweil weder eine "Zeitschiene" nennen noch "Wasserstandsmeldungen" herausgeben, wie Pressesprecherin Sonja Alger auf Anfrage sagte.

Anja Mittag findet die Lage schwierig

Dass die Arbeitspapiere mit Voss-Tecklenburg und Carlson bereits vor der WM bis 2025 ausgedehnt worden sind, engt den Spielraum zusätzlich ein. Die zuletzt in die Verantwortung aufgerückte Carlson hat darauf verwiesen, dass ihr Vertrag einen weiteren Einsatz bei den nächsten Nations-League-Paarungen gegen Wales (27. Oktober) und auf Island (31. Oktober) erlaube, aber eigentlich will die 45-Jährige dann nicht mehr den Kader anleiten.

Wenn sich alle Möglichkeiten zerschlagen, könnte bei der früheren Bundestrainerin Silvia Neid angeklopft werden, die aber 2016 ganz bewusst mit dem Olympiasieg zurückgetreten ist. Die 59-Jährige leitet die Abteilung Trendscouting Frauen- und Mädchenfußball beim DFB. Allein dass ihr Name medial besprochen wird, sollte Neid schon schmeicheln, deren lange Erfolgsliste unerreicht bleiben dürfte.

Insgesamt gilt, was Weltmeisterin Anja Mittag als Kolumnistin im Fachmagazin "Kicker" festgehalten hat: "Die Lage ist schwierig. Die Ungewissheit kann zermürbend sein. Deswegen wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn alle beim DFB sagen: Wir machen einen Neustart." Nun gibt es immerhin erste Namen.