FIFA WM 2022 Suárez und Cavani - Uruguays Legenden auf WM-Abschiedstour
In der Stadt Salto wurden im Abstand von drei Wochen die zwei größten Fußballer Uruguays geboren: Luis Suárez und Edinson Cavani. Nun gehen sie in eine letzte gemeinsame WM.
In Salto, einer 100.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Uruguays, gibt es seit Jahren eine Diskussion um eine Statue. Mitten in der Innenstadt steht lebensgroß der wohl berühmteste Sohn der Stadt. Luis Suárez reckt in der Fußgängerzone drei Finger in die Höhe - der typische Jubel des Stürmers.
Die Statue ist so etwas wie die Hauptattraktion der drittgrößten Stadt in Uruguay. Touristen machen Fotos mit ihr, rivalisierende Fans verunstalten sie, die "Salteños" richten sie wieder her und Luis Suárez erschien zu ihrer Einweihung - per Videobotschaft. Und genau hier beginnt die Diskussion. "Suárez war schon ewig nicht mehr bei uns in Salto", erzählt Marcelo Almada im Sportschau-Interview.
Suarez lässt sich nicht blicken - Cavani verkörpert Salto
Almada, ein sympathischer Mann Ende 50 mit sportlicher Statur und tiefen Lachfalten um die Augen, ist der Präsident des Club Deportivo Artigas, dem Verein, bei dem einer der besten Stürmer des vergangenen Jahrzehnts seine ersten fußballerischen Schritte machte.
Dass das Nicht-Erscheinen von Suárez und seine Statue überhaupt in der Stadt debattiert werden, liegt an einem anderen Weltklasse-Stürmer, der drei Wochen nach Suárez in Salto geboren wurde: Edison Cavani. "Cavani ist sehr viel mehr Salteño als Suárez", sagt Almada.
Eine Statue hat Cavani nicht
Der Stürmer mit der langen Mähne, der unter anderem für Neapel, Paris und Manchester United auf Torejagd ging, ist jedes Jahr in seiner alten Heimat. Auf Instagram postet er Videos von sich, wie er mit dem Pferd über die Felder seines Herkunftsortes reitet, wie er kocht, wie er seinen Bruder und Vater im Arm hält. "Meine geliebte Erde", steht oft darunter. Doch eine Statue hat er in Salto nicht. Eine Ungerechtigkeit finden viele.
Cavani: Im Schatten von Suárez
Cavani stand in seiner Karriere oft im Schatten von Luis Suárez, mit dem er seit fast 15 Jahren den Sturm der uruguayischen Nationalmannschaft bildet. Zwar hatte Cavani eine Weltkarriere, doch an die Erfolge von Suárez kam er nie ganz heran.
Gemeinsam mit Diego Forlán kam das Sturmduo mit dem Team in den hellblauen Trikots 2010 bis ins WM-Halbfinale. Suárez hatte mit sechs Torbeteiligungen und einer Torwarteinlage in der 120. Minute gegen Ghana großen Anteil am guten Abschneiden seiner Mannschaft. Cavani konnte sich mit einem Tor und einer Torvorlage nicht ganz so in den Vordergrund spielen.
Suárez Copa-Held, Cavani nur auf der Ersatzbank
Und auch beim Sieg der Copa América ein Jahr später hatte Cavani nur eine Nebenrolle. Während Suárez mit zwei Toren im Halbfinale und einem Tor und einer Vorlage im Finale Uruguay zum größten Erfolg der jüngeren Geschichte verhalf, war Cavani Ersatzspieler.
WM 2022 in Katar - das Ende einer Ära?
Bei der WM 2018 traten Suárez und Cavani das erste Mal als gleichberechtigtes Sturmduo auf. Cavani traf drei Mal, Suárez zweimal und Uruguay schied erst im Viertelfinale gegen den späteren Weltmeister Frankreich aus. Nun spielen sie mit 35 Jahren ihre vierte und voraussichtlich letzte gemeinsame WM.
Klub-Präsident: "In Salto leben wir den Fußball"
Dass zwei der größten Fußballer des Landes aus dieser 100.000-Einwohner-Stadt kommen ist mehr als nur Zufall. "In Salto leben wir den Fußball. Du wirst geboren, wächst auf dem Fußballfeld auf, und dort stirbst du auch", sagt Almada, der mit 58 Jahren jedes Wochenende in der Altherren-Mannschaft von Artigas antritt - bei Temperaturen um die 35 Grad. "Bei uns ist es heißer als in Katar", sagt Almada. An die 40 Mannschaften gäbe es in Salto, erzählt er. Alle auf Amateurniveau. Seit kurzem gibt es einen Verein, der in der 3. Liga spielt.
Wenn man auf Wikipedia die Liste der berühmten Söhne der Stadt anschaut, findet man ein paar Politiker, einige Dichter, Poeten, einen Cellisten - und 36 Fußballer. Darunter José Andrade, Rubén Bentancourt und David Texeira. Doch Cavani und Suárez sind mit großem Abstand die berühmtesten Namen auf dieser Liste.
Suárez' Biss in die Schulter - typisch Salto?
Man merke, so Almada, dass die beiden in Salto das Fußballspielen gelernt haben. "Der typische Fußballer in Salto ist kraftvoll, schnörkellos und tut alles, um zu gewinnen", sagt Almada und fügt an: "In Salto geht eigentlich kein Spiel zu Ende, ohne dass jemand verletzt vom Platz getragen wird. Die Leute geben auf dem Feld alles. Sie sind heißblütig." So findet man in den Ursprüngen von Luis Suárez also zumindest eine Erklärung, wie es zu der berühmten Szene kommen konnte, als er Giorgio Chiellini bei der WM 2014 in die Schulter biss.
Suárez und Cavani haben auf dem Platz zwei komplett unterschiedliche Persönlichkeiten. Suárez wirft sich in jeden Ärger hinein, den er finden kann. Er provoziert, spuckt, schimpft. Sein Spiel ist eine Mischung aus Aggressivität und Genialität. Cavani ist geradliniger. Er ist ein Modellathlet, der sich nur selten Ärger einhandelt und besonders durch seinen Abschluss und sein Kopfballspiel beeindruckt.
Cavani: Aus ärmlichen Verhältnissen an die Weltspitze
Vielleicht lassen sich diese unterschiedlichen Seiten auch mit der Vergangenheit erklären. Cavani kommt aus einer armen Familie. Sein Vater war Straßenarbeiter, die Familie konnte sich vieles nicht leisten. Doch besonders Vater und Sohn waren innig miteinander verbunden. Cavani war schon als Kind ein guter Stürmer. Er wechselte zwischen verschiedenen Vereinen hin und her und gab schließlich mit 14 Jahren sein Debüt in der Herrenmannschaft, die sein Vater trainierte.
Cavani blieb in Salto, bis er 16 Jahre alt war. Einen früheren Wechsel in die Hauptstadt Montevideo traute er sich nicht zu. Er wollte bei seiner Familie in Salto bleiben. Erst als der Wunsch vom Profifußball so groß, die Aussicht auf Erfolg ausreichend gut und die Chancen in Salto zu gering waren, ging er den Schritt zu Danubio FC.
Suárez: Zwischen Kasernen und Fußballfeld
Suárez kommt aus einer Militärfamilie. Er wuchs zwischen Kasernen und dem Fußballplatz auf. Sein Vater spielte bei Artigas, sein Onkel trainierte ihn. Als die Herrenmannschaft von Artigas bis in das Finale eines uruguayischen Amateurpokals kam, war Suárez bei jedem Spiel vor Ort. "Er war unser Maskottchen", erzählt Almada und zeigt ein Mannschaftsfoto, auf dem der kleine Luis grinsend vor dem Team im Stadion steht.
Schon früh war klar, dass er Talent hatte. "Wenn ich mit seinen alten Mannschaftskameraden rede, erzählen mir alle, wie kräftig er schon mit fünf Jahren war. Er hat immer alle einfach weggeschoben." Doch bei Artigas blieb Suárez nicht lange. Als der kleine Luis sieben war, wurde sein Vater in die Hauptstadt verlegt. Luis weigerte sich erst, aus Salto wegzuziehen, blieb bei seiner Oma, gab nach einem Monat schließlich doch nach - und wurde schnell in die Akademie von Nacional Montevideo aufgenommen.
Für den Atlético-Wechsel gab es 800 Dollar von der FIFA
Eine Weile kam er jedes zweite Wochenende zurück in seine alte Heimat - natürlich um Fußball zu spielen. Doch eines Tages spielte er sein letztes Spiel, ging fort und kehrte seitdem nicht mehr nach Salto zurück.
Das letzte Mal, das der CD Artigas etwas von Suárez hörte, war 2020. Suárez war für neun Millionen Euro zu Atlético Madrid gewechselt und die FIFA schickte dem Ausbildungsverein eine Abfindung: "800 Dollar", erzählt Almada und zuckt lachend mit den Schultern: "20 Bälle. Immerhin."
Die letzte WM für Uruguays große Generation
Nun tritt das Duo mit 35 Jahren zu seiner letzten gemeinsamen Weltmeisterschaft an. Beide Stürmer sind an den Enden ihrer Karrieren angekommen und Uruguay ist - mal wieder - als Geheimfavorit angereist. Es ist das Ende einer Fußballergeneration des 3,5-Millionen-Einwohnerlandes, das den Weltfußball bei vielen Turnieren gehörig durcheinandergebracht hat. Neben Cavani und Suárez werden wohl auch Diego Godín, Fernando Muslera und Martin Caceres zum letzten Mal bei einer WM für Uruguay auflaufen.
Beim ersten Spiel gegen Südkorea war Suárez noch blass geblieben. 64 Minuten lang mühte er sich ab, wartete auf Bälle, die aber nie ankamen. Für Marcelo Almada auch die Schuld des Trainers. "Luis ist jetzt 35 Jahre alt. Wenn er den Ball im Mittelfeld annehmen und damit 30 Meter bis zum Tor laufen soll, ist er müde, bevor er überhaupt beim Strafraum ankommt." Als Suárez nach gut einer Stunde ausgewechselt wurde wartete dort Cavani an der Seitenlinie, um ihn abzuklatschen.
Doch eine Statue für Cavani?
Cavani fand deutlich besser in das Spiel war bei mehreren gefährlichen Aktionen beteiligt. Doch für ein Tor reichte es nicht. Die Hoffnungen der Nationalmannschaften ruhen nun nicht mehr alleine auf Suárez und Cavani. Das 3,5-Millionen-Einwohnerland hat schon wieder hervorragende Talente hervorgebracht. Mit Darwin Núñez und Fede Valverde stehen zwei der teuersten Spieler der Welt im Kader.
Nichtsdestotrotz ist Uruguay auf die Erfahrung und die Tore ihrer beiden Legenden angewiesen. Sonst droht vielleicht sogar das Vorrunden-Aus. Spätestens, wenn es wieder bis ins Viertelfinale geht, dürfte für Cavani auch eine Statue in Salto errichtet werden. "Und Luis soll sich bitte auch mal wieder blicken lassen", sagt Almada.